Schwanengesang auf die siebte Kunst

Ari Folman macht aus Stanislaw Lems Roman „Der futurologische Kongreß – Aus Ijon Tichys Erinnerungen“ eine philosophische Reflexion über die Zukunft des Films: „The Congress“ (2013)

Von Nathalie MispagelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nathalie Mispagel

Die Filmkarriere von Robin Wright (Robin Wright) ist am Ende. Was einst mit „Die Braut des Prinzen“ so hoffnungsvoll begann und mit „Forrest Gump“ zum Durchbruch führte, hat sich im Sande des Vergessens verlaufen. Laut ihrem Agenten Al (Harvey Keitel) hat sie zu viele falsche Entscheidungen getroffen. Anstatt von Hollywood hofiert zu werden, lebt sie heute zurückgezogen in einem umgebauten Hangar am Rande eines Provinzflughafens mitten in der Wüste. Nur Tochter Sarah (Sami Gayle) und Sohn Aaron (Kodi Smit-McPhee), der unter dem Usher-Syndrom, einer erblichen Hörsehbehinderung, leidet und sich für Flugdrachen begeistert, teilen diese mehr oder weniger freiwillige Einsamkeit. Als eines Tages die ‚Miramount Studios‘ mit einem unerhörten Vertragsangebot an Robin herantreten, verändert das nicht allein ihr Dasein, sondern markiert eine technologische wie kulturelle Wende unserer Gesellschaft.

Schon immer war die siebte Kunst eine, die sich ständig neu erschuf – und dabei den Stand der Technik widerspiegelte. Erst kamen Ton und Farbe, später Widescreen, schließlich 3D sowie Computer-Effekte. Und demnächst verschwinden die menschlichen Darsteller. So lautet zumindest eine der Theorien in der aktuellen Diskussion um das kommende Kino. In „The Congress“ ist jene Hypothese bereits Realität geworden. Studioboss Jeff Green (Danny Huston) will Robin Wright komplett scannen, Körper, Mimik, Gestik, Proxemik, sogar ihre Emotionen, um sie dann als virtuelles Geschöpf für künftige Filme einzusetzen. Das Studio kauft sämtliche Rechte an ihrem computerisierten Charakter, sie erhält im Gegenzug ein Vermögen. Robin, die dann selbst nicht mehr schauspielern darf, stimmt zu. Als 20 Jahre später der Vertrag ausläuft und ein weiterer geschlossen werden soll, haben sich die medialen Möglichkeiten erneut verändert. Noch grundlegender als je zuvor.

Die Illusion

Spätestens mit „Waltz with Bashir“ (2008) hat der israelische Regisseur Ari Folman internationale Aufmerksamkeit errungen und eine Art Neo-Genre erschaffen: die Doku-Animation. Auch „The Congress“ bewegt sich stilistisch auf extravaganten Wegen. Die erste Hälfte, die in der Gegenwart spielt, ist ein ‚live action movie‘, die zweite Hälfte ein Zeichentrickfilm. Dieser erzählt von der nahen Zukunft und zeigt sie in suggestiver Optik. In 20 Jahren sind synthetische Drogen entwickelt, mit denen man sich in eine reine Fantasiewelt halluzinieren kann. Diese Illusion von Wirklichkeit ist ein Riesengeschäft. Deshalb wollen die ‚Miramount Studios‘ Robin Wrights Abbild in eine chemische Formel umwandeln, auf dass sie von jedermann konsumiert werden kann.

Ari Folman, der auch das Drehbuch für „The Congress“ schrieb, hat sich an Stanisław Lems Roman „Der futurologische Kongreß – Aus Ijon Tichys Erinnerungen“ orientiert, allerdings erst im zweiten Teil seines Filmes bei der Darstellung einer apokalyptischen, beklemmend absurden Zukunftsvision. Lems pessimistisch-galliger, betont anti-ideologischer Science-Fiction-Klassiker, eine Allegorie auf die kommunistische Ära, thematisiert Psychopharmaka, die Gefühle verfälschen und Wahrnehmung manipulieren, als gesellschaftsmodifizierendes Element sowie als Mittel zur Bürgerkontrolle innerhalb eines überbevölkerten, diktatorischen Staates: „Wir narkotisieren die Zivilisation, denn sonst ertrüge sie sich selbst nicht.“

Ari Folman formt daraus eine philosophisch-humanistische Parabel über die Macht der Entertainment-Industrie, verhandelt auf einer Metaebene gleichzeitig die Macht von künstlichen Paradiesen, von Cyber-Illusionen und Second-Life-Fiktionen. Sollten Drogen früher die Wirklichkeit überdecken, werden sie in Zukunft eine neue Realität oder gleich mehrere schaffen. Das ist die denkbar fatalste aller Dystopien.

Kunstvoll wird solch ein paradoxes Lebensgefühl in die Bildsprache überführt. Als Robin Wright 20 Jahre nach ihrem verhängnisvollen Vertragsabschluss eine Tagung von ‚Miramount‘ als Ehrengast besucht, betritt sie eine ‚strictly animated zone‘. Hier ist alles mega-bunt wie bei einem psychedelischen Trip und hyper-munter wie in einem anarchischen Cartoon. Die Zeichentrickfiguren scheinen direkt aus den 1920/30er- Jahren zu kommen, als die Gebrüder Fleischer mit dem 1914 erstmals eingesetzten Rotoskopieverfahren große Trickfilmerfolge feierten. Doch ihre schlichte, im Keyframing-Verfahren animierte Erscheinung verschafft ihnen keine kindlich-harmlose Aura, akzentuiert vielmehr ihre groteske Künstlichkeit. In ihren Bewegungen liegt etwas marionettenhaftes. Eben das sind sie auch: euphorisierte Gliederpuppen, kontrolliert von mächtigen, Halluzinogene produzierenden Konzernen.

Die Identität

Menschlicher Individualismus und technischer Perfektionismus werden in unserer Gegenwart wie Götzen angebetet, sind in Wahrheit freilich nur Chimären. Sorgten früher Religion oder Klassengesellschaft für moralischen wie sozialen Druck, üben heute Medien und Mode einen gewaltigen Einfluss aus. Vor allem der Unterhaltungssektor wird von körperlicher Uniformierung, Selbstoptimierungsdruck, Konkurrenz- und Disziplinierungsmoral, also von Erfolgsterror und Jugendwahn beherrscht. Wenn Geschäftsführer Green anbietet, das digitale Alter Ego von Robin Wright auf ewige Anfang-30 einzufrieren, ist das gleichzeitig eine beleidigende Zurückstufung der physischen, zwar ungemein attraktiven, aber eben doch alternden Robin. Indem sie gewissermaßen das Copyright am eigenen Ich verliert und dieses auf jegliche Art vermarktet werden kann, gibt Robin ihre Identität auf. Zumindest die ihrer medialen Persönlichkeit, und jene ist es primär, die in einer technologisch vernetzten Gesellschaft wahrgenommen wird. Dass sie vielleicht nicht real oder echt ist, spielt keine Rolle im ‚Zeitalter des Alias‘.

Ohnehin muss bei der Analyse von „The Congress“ sehr vorsichtig mit Begriffen wie ‚real‘, ‚echt‘, ‚wahr‘ umgegangen werden. Schon in der Hauptfigur überschneiden sich lebende Schauspielerin (Robin Wright), dramatische Rolle (sagen wir: Robin 1.0) und synthetische Kreatur (Robin 2.0). Umso bemerkenswerter ist, wie die Darstellerin Robin Wright sich diese Figur erschließt, sich ihr geradezu ausliefert. Robin 1.0 trägt ihren Namen, teilt einen Großteil ihrer authentischen Filmografie und hat die gleichen Probleme als nicht mehr ganz junger Star im Filmgeschäft. Mit feiner Würde balanciert Robin Wright diesen Charakter aus, zeigt sich unnachahmlich verletzbar, um zugleich die Kraft einer reifen Persönlichkeit auszustrahlen. Die künstliche, in schematischen Sci-Fi-Streifen verheizte Robin 2.0 ist dagegen nur ein glattes, gestyltes Action-Babe. Zweifelsohne sehr erfolgreich, jedoch im besten Sinne des Wortes tod-langweilig.

Solche Seitenhiebe auf Hollywood, wo Wahrheit als Ware vermarket wird, machen aus „The Congress“ eine scharfsichtige, nur minimal an der Wirklichkeit vorbeischrammende Satire auf das Entertainment-Business. Gleichzeitig wird über die mögliche ‚Echtheit‘ von Kino und Schauspielkunst reflektiert. Als Robin 1.0 gescannt werden soll, um Robin 2.0 zu erzeugen, ergibt sich eine bemerkenswert tiefgründige Sequenz. Eingeschlossen in einer gewaltigen Stahlkugelkonstruktion aus Kameras und Lichtern soll Robin die ganze Gefühlsskala eines Menschen herunterspielen. Doch angesichts von schierer Technik versagt sie. Erst eine Lebensbeichte von Al, die halb wahr und halb erfunden sein mag, entlockt ihr alle Emotionen zwischen Freude und Trauer, zwischen Melancholie und Leere. Sind diese Affekte nun weniger real, bloß weil sie bewusst für den Moment hervorgerufen wurden? Eine Frage, die sich jeder Kinogänger nach emotional aufwühlenden Filmerlebnissen stellen könnte.

Der Wille

Ari Folman hat ein narrativ wie visuell elaboriertes Werk geschaffen, das thematisch etwas überambitioniert ausgefallen ist. Die unterschiedlichen philosophischen Motive, kombiniert mit cineastischen Verweisen etwa auf Werke von Stanley Kubrick, verbinden sich mit Kulturpessimismus zu einem hochkomplexen Konglomerat, das eher zum assoziativen Nachdenken denn zur gezielten Diskussion herausfordert. Vor allem im zweiten Teil wird die Handlung immer unübersichtlicher: Während Robin Wright auf dem Kongress weilt und als ‚neue Droge‘ den enthusiastischen Besuchern vorgestellt werden soll, stürmen Rebellen das Hotel. Im Zuge des anschließenden Chaos wird sie per Kryonik eingefroren und erst Jahre später aufgetaut. Erneut hat sich die halluzinatorische (Schein-)Welt transformiert, ist nochmals surrealer geworden. Aus Städten erblühen Blumen, aus Armen werden Flügel, die Bewohner haben das Äußere von historischen Persönlichkeiten wie Elizabeth I., von berühmten Künstlern und Stars, von fiktiven Göttern wie Horus und Kinohelden oder sind gleich Gemälden entsprungen wie Botticellis Venus. Der Mensch ist zu einer einzigen Referenz an die (Pop-)Kultur geworden. Ein Medienhype auf zwei Beinen, ausgelebt von Avataren.

Durch dieses Panoptikum irrt Robin, begleitet von Dylan Truliner (Jon Hamm). Als Computerexperte erschuf er einst die digitalisierte Robin 2.0 und verliebte sich während 20 Jahren Animationsarbeit in seine entmaterialisierte Kreatur. Das bedeutet Starkult pur: Zuerst entwickelt man seinen persönlichen Traum-(Typ), dann begegnet man ihm in einem (Wach-)Traum. Dort ist selbst der Sex faszinierender anzuschauen, weil er in animierter Form weniger voyeuristisch denn als hypnotische Metapher für Ekstase präsentiert werden kann. Wunsch, Wirklichkeit, Wahn zerfließen durch Chemie und Technologie zu einem Hirngespinst aus der Retorte, untermalt von dem stetig elegischer werdenden Soundtrack Max Richters. So ähnlich hatte Aarons Arzt (Paul Giamatti) einmal die Zukunft des Kinos vorausgesagt, dass nämlich Filme direkt in den Kopf des Konsumenten produziert werden. War die Fantasie einst eine Frage von subjektivem Willen und individueller Entscheidungsfreiheit, mutiert sie damit zum trügerischen Computer-/Psycho-Konstrukt außerhalb menschlicher Kontrolle. Schon Stanisław Lem warnte: „Träumereien siegen immer über das Wirkliche, wenn sie dazu Gelegenheit erhalten.“

Von einer solch pervertierten, weil haltlos indoktrinierten Einbildungskraft erzählt Ari Folman zwar, doch er zelebriert sie nicht im eigenen Film. Schon der Einsatz von Zeichentrickhandwerk ohne 3D und überbordende CGI-Effekte ist ein klares Statement für unabhängige Kreativität. Gleichwohl kann „The Congress“ kein wirklich glückliches Ende nehmen. Zukunft lässt sich nicht zurückdrehen und menschliche Vergänglichkeit nicht überwinden. Hinter all ihren halluzinierten Illusionen wankt die Menschheit zombiegleich dem Ende entgegen.

Zuletzt wird nichts bleiben außer der Sehnsucht nach Liebe. Einer so großen Liebe, dass sie unendlich oft wiederbe- und wiedergelebt werden kann. Und dann werden wieder die Drachen aufsteigen.

The Congress (Israel, Deutschland, polen Luxemburg, Frankreich, Belgien 2013)
R:Ari Folman
Darsteller: Robin Wright, Harvey Keitel, Danny Huston, Jon Hamm