Echte Kreativität auf der Basis des Funktionalismus

Das Berliner Bauhaus-Archiv dokumentiert das Werk der Porzellan-Designerin Barbara Schmidt

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dem Bauhaus-Archiv, Museum für Gestaltung, Berlin, geht es nicht nur um die Geschichte und die Wirkungen des Bauhauses, sondern es will auch „eine Plattform für die Kreativen in der Hauptstadt sein“, bekundete deren Direktorin, Annmarie Jaeggi, bei der Ausstellungseröffnung. So hat es jetzt der Berliner Porzellan-Designerin Barbara Schmidt eine erste Gesamtschau ausgerichtet, die die Vielseitigkeit ihres Schaffens – Porzellanserien wie freie künstlerische Arbeiten – dokumentiert (bis 4. November 2013). Als einstige Absolventin der Burg Giebichenstein im Sinne des Bauhauses ausgebildet, ist sie seit 1993 für den Entwurf der  Kahla/Thüringen Porzellan GmbH zuständig und hat seit dem vergangenen Jahr auch eine Professur für Experimentelles Design an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee inne. Ihr Porzellan ist ganz auf Form und Funktion  reduziert, seine Schönheit beruht auf der perfekten Harmonie der Proportionen. Dabei ist ihm eine weiche Linienführung zu eigen.

Der Katalog zur Ausstellung wirft einen Rückblick auf die letzten zwei Jahrzehnte im Schaffen von Barbara Schmidt, die als eine der wichtigsten Vertreterinnen ihres Mediums bezeichnet werden kann. Renate Luckner-Bien beschäftigt sich mit dem Thema „Porzellan für die Serie von Barbara Schmidt“, während Kirsten Jäschke Überlegungen zum gestalterischen Kosmos dieser Porzellan-Designerin anstellt. „Esskultur neu gedacht“ behandelt Klára Nemecková am Beispiel von Barbara Schmidts Entwürfen für Kahla. Ein Gespräch zwischen den Geschwistern Barbara und Jochen Schmidt gibt Auskunft über die Perspektiven einer Designerin, die Erziehung zum guten Geschmack, Gestaltungsfragen und künftige Projekte. In einem zweiten Teil werden dann in Wort und Bild die Porzellanideen und -arbeiten der Künstlerin vorgestellt.

Schon mit ihrer Kahlaer Serie „Aronda“ (1994) sollte Barbara Schmidt Erfolg haben. Ihren verschiedenen Gefäßtypen gab sie eine Ovalform, die Kaffeekanne glich einem auf den Kopf gestellten Ei. Ein Aufenthalt im Winter/Frühjahr 1994/95 in Finnland brachte ihr die Entdeckung des sich auf der Porzellanhaut reflektierenden Lichts ein. Sie experimentierte mit der Form der Kreuzblüte in unterschiedlichen Varianten, keramischen Materialien und Techniken. Zu komplexeren Gebilden angeordnet, schweben sie wie ein schneeiger Blütenreigen in der Luft. Anstelle des üblichen Service von Kaffeekannen, Terrinen und Saucieren trug sie der veränderten Lebenswelt mit „Update“ (1998) Rechnung, indem Schalen, Teller und Tassen in verschiedenen Größen multifunktional verwendet werden können.  Trotz dieser Grundformen kann bei jeder Mahlzeit „eine andere Landschaft auf dem Tisch entstehen“.„Skin“ (2000), das sind hauchdünne Fliesen, die den Abdruck von Körperformen – Ohr, Brust, Bauchnabel, Hand, Fuß – wiedergeben.  Die Geschirrserie „Five Senses“ (2001) – alle Sinne sollen beim Kochen und Essen beteiligt sein – ist modular aufgebaut und gliedert sich in Gruppen von Tassen, Tellern, Schüsseln, Krügen und Küchenhelfern, die mit eigenen, dem jeweiligen Gebrauch entsprechenden Formmerkmalen versehen sind. Sie reihenweise auf dem Tisch ausgebreitet zu sehen, bereitet solch ästhetischen Genuss, dass man gar nicht wagen würde, sie dann auch tatsächlich zu benutzen. „Cumulus“ (2002) wiederum, „Porzellan für Ordnungsliebende“, beschränkt sich auf das Allernötigste: Schale, Tasse, trapezförmiger Löffel; auf einem Tablett, wechselbar ausrichtbar, Seite an Seite oder übereinander, reicht es für einen schnellen Imbiss oder Kaffee und nimmt kaum Platz ein.

Robotertechnik hat die Produktion von „Elixyr“ (2004) in großer Stückzahl – großzügige, unrunde Tellerformen, schalenförmige Gefäße – möglich gemacht, während „Cumulus Zwiebelle“ (2006) das traditionelle Zwiebelmuster in sparsamer Weise erfrischend neu  gestaltet. In anderen Studien (2006) sind  Blattadern auf dem Porzellan reliefert, die auf der Rückseite den  Standfuß bilden. Den Stümpfen von  ausgedienten Weihnachtsbäumen hat Barbara Schmidt in dünnwandigen Porzellanrepliken eine zweite Existenz gegeben („Last Christmas“, 2008). Die Tassenserie „Centuries“ (2010) schließlich spielt auf die lange Porzellangeschichte an und vereint komplexe Ornamentik mit reduzierter Form, elegante Feinheit historischer Details (etwa historische Henkelformen) mit modernem Gebrauchskomfort. Das zentrale Motiv der Serien bildet eigentlich die Schale, die nicht nur in ihrer Multifunktionalität überzeugt, sondern sich auch in einem offenen, spannungsvollen  System von kombinierbaren Gefäßen souverän behaupten kann.

Die Ausstellung und die sie begleitende Publikation geben nicht nur Einblicke in die Entwurfsstrategien und -prozesse von der Idee bis zum fertigen Produkt, sondern sie zeigen auch filmische und fotografische Arbeiten von Künstlerkolleginnen und -kollegen, die sich mit dem Werk von Barbara Schmidt auseinandersetzen. Eine in jeder Weise Anregung und Freude vermittelnde Präsentation.

Titelbild

Poesie & Industrie. Barbara Schmidt - Porzellandesign.
Bauhaus-Archiv, Berlin 2013.
178 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783922613497

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