Fotografien vom Verschwinden

Maix Mayers Fotoband „Die vergessenen Orte der Arbeit“

Von Stephan KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kann ein Prozess wie das Verschwinden von Arbeit(splätzen) und das Vergessen der zugehörigen Orte im Medium der Fotografie festgehalten werden? In dieser Weise etwa ließe sich nach dem Projekt fragen, das Maix Mayers Farbbildband „Die vergessenen Orte der Arbeit“ beinhaltet. Die Auswahl der Fotografien wird von erläuternden Texten von Emilia Thalheim begleitet. Es werden insgesamt zehn ‚vergessene Orte‘ vorgestellt, die sich alle in mitteldeutschen Industriestädten in Sachsen oder Sachsen-Anhalt befinden. Der Herausgeber Olaf Jacobs weist in seinem Vorwort mit Blick auf die Region auf deren zentrale Bedeutung in der deutschen Industriegeschichte hin. Jacobs skizziert in aller Kürze, welchen wirtschaftlichen Stellenwert Mitteldeutschland und damit auch „die vergessenen Orte der Arbeit“ (einst) besaßen. Leipzig ist gleich mit drei Beispielen (VEB Schwermaschinenbau Transport- und Verladeanlagen Leipzig, VEB Polygraph Reprotechnik Leipzig, VEB Brau- und Malzkombinat Sternburg) in dem Band vertreten. Hinzu kommen das RAW Salbke (Magdeburg), die Kunstseidenspinnerei in Elsterberg, das KKW Stendal, das renommierte Waggonwerk in Görlitz, die Streichholzfabrik Riesa und aus Zeitz das Kinderwagenwerk ZEKIWA sowie die bekannte Zucker- und Schokoladenfabrik Zetti.

Emilia Thalheim liefert zu jedem fotografisch vorgestellten Betrieb beziehungsweise Betriebsgelände einen Text, der die Geschichte des jeweiligen Werkes und damit des Ortes und seines Vergessen Werdens wiedergibt.

Mayers Bilder sind behutsame Dokumentationen, sie zeigen immer wieder die riesigen Hallen und Verwaltungsräume, fangen zum Teil halb demontierte beziehungsweise teilabgetragene Anlagen oder Bauten ein. Es sind Orte, „durch die die Arbeit gegangen war“, wie Volker Braun im „Schichtbuch“ schreibt. Mayers Kamera aber hält auch Details fest: den stillstehenden Deckenventilator, verschiedene Beleuchtungsröhren oder – mit symbolischer Wirkung – die auf dem Fensterbrett zurückgelassene typische Industriewanduhr. Die einzelnen Bilder tragen keine Bildunterschrift, keine Erklärung des Gezeigten. Mayer überlässt es dem Betrachtenden, zu erkennen, ob eine Betriebskantine, Lager- oder Speicherräume, Werkstätten oder Montagehallen zu sehen sind; ganz so, als erstrecke sich das Vergessen auch auf die einstige Funktion und Bedeutung der fotografierten Betriebsräume und Anlagen. Nicht leicht zu identifizieren sind diese Funktionen auch, weil die Mehrzahl der Bilder vor allem die Leere der Hallen und Arbeitsplätze sichtbar macht und so das Verschwinden der Arbeit und der Arbeitenden inszeniert. Sie sind nur noch in den Zahlen der Erläuterungen von Thalheim präsent. Dennoch sind Mayers Bilder beileibe keine nostalgischen Verklärungsmedien, sondern sachlich-zurückhaltende Einblicke. Sie zeigen quasi retrospektivisch, was war, wo zum Zeitpunkt der Aufnahme Vergessenheit herrscht. Sie weisen – ohne dies explizit aussprechen zu müssen – auch darauf hin, dass das Verschwinden der Arbeit nach 1990 keine zufällige und auch keine notwendige Entwicklung war. Mayers Fotografien können und wollen dies nicht zurückdrehen, doch diese beredten Bilder widersetzen sich dem ansonsten lautlosen Vergessen.

Titelbild

Olaf Jacobs (Hg.): Die vergessenen Orte der Arbeit.
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2013.
159 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783954620234

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch