Grenzräume, kresy, pogranicza

Izabela Drozdowska-Broerings detaillierte Studie „Topographien der Begegnung“

Von Stephan KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als 34. Band der Posener Beiträge zur Germanistik legt die Poznaner Germanistin Izabela Drozdowska-Broering ihre beiderseits der deutsch-polnischen Grenz(en) angesiedelte literaturwissenschaftliche Untersuchung „Topographien der Begegnung“ vor. Der Band gliedert sich übersichtlich in einen theoretischen Teil, mit dem die Arbeit beginnt, und einen analytischen Teil, der nochmals nach polnischen Regionen aufgeteilt ist. Der Band wird durch eine Sammlung von insgesamt neun Gesprächen Drozdowska-Broerings mit polnischen und deutschen Autorinnen und Autoren abgerundet. Schon mit dieser Struktur macht Drozdowska-Broering sehr deutlich, in welchem konkreten Sinn das Stichwort ‚Topografie‘ zu verstehen ist: als historisch, kulturell und letztlich auch literarisch geprägter Raum, der zudem durch seine Nähe zu einer Grenze beziehungsweise deren Bedeutung (mit) geprägt ist. Vor diesem Hintergrund wirft die Autorin ihre zentrale Frage nach dem Anderen in den von ihr untersuchten Texten aus der deutschen und polnischen Gegenwartsliteratur auf. In engem Zusammenhang mit diesem Forschungsthema steht für Drozdowska-Broering die Lesbarkeit von historisch-politisch-kulturellen (Grenz-)Räumen. Dazu diskutiert Drozdowska-Broering in ihrem theoretischen Teil parallel deutsche und polnische Begrifflichkeit und behandelt auf diese Weise das Problem der Bezeichnung der betrachteten Regionen, das fraglos für alle Texte und gerade auch im Rahmen dieser komparatistisch angelegten Studie virulent ist. Gerade für den polonistisch wenig oder gar nicht informierten Leser bieten diese vergleichenden Überlegungen im Kontext mit den profunden, oft motivisch angelegten Einzeluntersuchungen im zweiten Teil beträchtlichen Erkenntnisgewinn. Es wäre daher, so eine kleine Anmerkung, vielleicht sehr nützlich gewesen, die Inkongruenz von Eigennamen, wie etwa polnisch Pomorze und deutsch Pommern, nicht nur zu erwähnen, sondern auch ausführlicher zu erläutern. In diesen Zusammenhang gehören auch zwei weitere Anmerkungen: Dass Szczecin/Stettin in der deutschen Gegenwartsliteratur keine Rolle spielt, ist insofern zu korrigieren, als Julia Francks preisgekrönter Roman „Die Mittagsfrau“ (2007) nicht nur im Stettin des Jahres 1945 beginnt, sondern die Stadt und ihr Umland dort auch immer wieder in erinnernden Rückblenden auftauchen. Nicht ganz zutreffend ist auch der Befund, Thematisierungen des Holocaust seien in der deutschsprachigen Literatur mit Bezug zu Polen abwesend. Die Thematik taucht motivisch bei Franck auf und gerade auch in Uljana Wolfs Gedichten in „kochanie, ich habe brot gekauft“ (2005).

Doch dies bleiben Einzelhinweise, die Drozdowska-Broerings weitreichenden Blick auf ihre Untersuchungsgegenstände nur ergänzen sollen.

Ihre Beschreibung der betrachteten Literatur als dialogische Struktur, die eigentlich asymmetrische Referentialiserungsmöglichkeiten insbesondere mit Bezug auf die Räume bietet, ist unbedingt hervorzuheben. Im Fall der polnischen Texte diagnostiziert sie unter anderem Strategien der geschickten Prototypisierung und Mythologisierung (auch von Geschichte), während sie bei den deutschen Texten nostalgisch grundierte Bezugnahmen (bis hin zu Klischeehaftigkeit) bezeihungsweise eher das Fehlen von Begegnungen mit dem Anderen herausarbeitet. Die Schauplätze stehen dann im Vordergrund.

Der Band stellt so eine hoch informative und ausgezeichnet recherchierte, fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema dar, die Lektüre von „Topographien der Begegnung“ ist ein Gewinn.

Titelbild

Izabela Drozdowska-Broering: Topographien der Begegnung. Untersuchungen zur jüngeren deutschen und polnischen Prosa der "Grenzräume".
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2013.
316 Seiten, 59,95 EUR.
ISBN-13: 9783631629567

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