Epochenprägende Strömungen

Über zwei Einführungen zum Sturm und Drang und zur Aufklärung

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Jahr 1781 darf man getrost zu den Schlüsseljahren des 18. Jahrhunderts rechnen, starb doch in diesem Jahr mit Gotthold Ephraim Lessing einer, der Pionierarbeit auf fast allen Gebieten der Kunst geleistet hatte. Gleichzeitig erschienen Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ und Friedrich Schillers „Räuber“, zwei Werke, die als herausragende Beispiele von Aufklärung und Sturm und Drang gewertet werden. Den beiden die Epoche prägenden Strömungen hat die Wissenschaftliche Buchgesellschaft jeweils einen Sammelband gewidmet, obwohl sie entschieden ineinander greifen. Trotzdem oder gerade deshalb scheint es den Autoren ein Anliegen zu sein, festgefahrene oder überholte Urteile aufzuweichen und in Frage zu stellen. Deshalb bieten die Beiträge überwiegend theoretisch und methodisch innovative Forschungen, was allein schon die Anmerkungen belegen, die meistens auf Sekundärliteratur des 21. Jahrhunderts verweisen.

So geht es etwa Marie-Hélène Quéval in ihrem Aufsatz über Johann Christoph Gottsched darum, den Leipziger Professor und Lehrer Johann Wolfgang Goethes gegen den Vorwurf des schematischen Rationalismus zu verteidigen und seine Bedeutung für die Etablierung einer nationalen Literatur als Instanz der Vernunft hervorzuheben. Untersucht werden aber auch die Widersprüche in Personen und Werken des Zeitraums, etwa bei Christian Fürchtegott Gellert, den Sikander Singh gleichsam exemplarisch verstrickt sieht „zwischen der rhetorischen Auffassung von Poesie, der Gefühlskultur der Empfindsamkeit und dem emphatischen Subjektivismus des Sturm und Drang“. Hugh Barr Nisbet hebt den auffallenden Gegensatz von Theorie und Praxis im Werk von Lessing hervor, ohne indes seine Wirkung zu schmälern, die er bis in die Gegenwart verfolgt.

Ein persönliches Dilemma entdeckt Helga Meise auch bei der „ersten deutschen Schriftstellerin“ Sophie von La Roche, der das Schreiben als notwendiger Broterwerb diente und die zwar damit große Erfolge erzielte, gleichwohl aber eher geringe Wertschätzung durch die männlichen Zeitgenossen erfuhr. Sie erschloss die Erziehung als Literaturthema für und durch Frauen. Von der universitären Bildung ausgeschlossen, wird das Lesen für die Frauen zu einer Form der gesellschaftlichen Teilhabe. Indem sie Gender-Unterschiede sozial definiert, erweitert Sophie von La Roche das Projekt Aufklärung entscheidend. In der Person Georg Forsters und dessen Werk „Reise um die Welt“, 1778 und 1780 in zwei Bänden erschienen, sieht Stefan Greif die Aufklärung an ihre Grenzen stoßen, indem sie unter dem Zeichen der Vernunft stehend die Stigmatisierung anderer Kulturen toleriert.

Georg Christoph Lichtenberg wird von Arnd Beise als „exemplarische Gestalt der Spätaufklärung“ verstanden, weil der Göttinger Gelehrte „einerseits dem Aufklärungsprojekt verhaftet, es zugleich kritisch reflektiert.“ Mit guten Gründen streitet Lichtenberg gegen Johann Caspar Lavaters „Physiognomische Fragmente“ (1775-1778), die gleichzeitig von den Stürmern und Drängern begrüßt wurden, was allerdings wiederum Stephan Pabst als wirksame „Öffentlichkeitspolitik“ im Rahmen des Literatursystems der Zeit interpretiert. In allen Beiträgen wird erkennbar, dass die Aufklärung in ihren bedeutenden Vertretern der Vereinnahmung einer vielgestaltigen Empirie durch ein logisches System misstraut, worin sich auch die relativistische und perspektivistische Erkenntnistheorie Lessings begründet.

Der Aufklärungsband ist eher personenorientiert, während sich nur zwei Beiträge überpersonalen Fragestellungen widmen, etwa dem „anthropologischen Wissen der Aufklärung“ oder dem Einfluss der „radikalen französischen Philosophie“ auf die deutsche Aufklärungsliteratur. Allerdings werden mit den Personen auch zentrale Probleme verbunden, zum Beispiel „Schiller und die Aufklärung“ oder Moses Mendelsohns Stellung innerhalb der jüdischen Aufklärung (Haskala).

Die meisten Autoren bieten neben prägnanten Begriffserklärungen einen kurzen Überblick über den aktuellen Forschungsstand, weshalb der Band dem Anspruch der Reihe gerecht wird, „Studierenden, Lehrenden und anderen Interessierten zuverlässig Auskunft über maßgebliche Autoren und Gattungen der Epoche“, so der Herausgeber Michael Hofmann, zu geben. Diesem Prinzip fallen leider einige nicht ganz unbedeutende Autoren des 18. Jahrhunderts zum Opfer, wie etwa Johann Schnabel, Karl Phillip Moritz, Friedrich Nicolai oder Johann Karl Wezel. Leider fehlt dem Band auch eine Kurzvita der jeweiligen Beiträger.

Der dem Sturm und Drang gewidmete Band ist stärker an Problemen und Einzelwerken orientiert. Aus der Ablehnung einer schematischen Epocheneinteilung ergibt sich allerdings auch hier, dass der Sturm und Drang nicht als Gegenbewegung zur Aufklärung oder lediglich als Folge- und Begleiterscheinung und erst Recht nicht als Vorläufer der Romantik gesehen werden kann, sondern trotz Verstandeskritik und Gefühlsemphase als Teil der Aufklärung gewertet werden muss.

So sieht etwa Joachim Jacob in Johann Gottfried Herders „Fragmente über die neuere deutsche Litteratur“ (1766-1767) eine Programmschrift, obwohl das „Originalgenie“ die Regelpoetik, wie sie einige Aufklärer propagieren, ablehnt. Indem Herder die Rückbesinnung auf die Tradition der Literatur geradezu als Anstoß zur poetischen Praxis versteht, fallen Theorie und Praxis, Poetik und Poesie zusammen.

In den „Kraftkerlen“ des Sturm und Drang sieht Marianne Willems die „Pathogenese“ eines selbstbestimmten Individuums, wie es noch im Erziehungsideal der Aufklärung lag. Im „Kraftkerl“ ist demnach einerseits die herrschende Ständegesellschaft bereits aufgelöst, andererseits die Beziehung zur Sozialität, welche der Aufklärung noch wichtig ist, in ein prekäres Verhältnis geraten.

Das 18. Jahrhundert, an dessen Ende mit der französischen Revolution das bürgerliche Zeitalter beginnt, war eine Epoche stürmischer Veränderungen und beginnender Modernisierungsprozesse. Der große Historiker Peter Gay („The Enlightment“) sieht die Träger dieser Bewegung als eine Familie, zwar mit unterschiedlichen Persönlichkeiten und heftigen Auseinandersetzungen, aber auch zahlreichen Gemeinsamkeiten. Verstand und Emotionen, mithin Schlüsselbegriff der Epoche, sind darin keine Gegensätze, sondern Triebkräfte, die sich schließlich im Menschenbild des Humanismus vereinen, das bis heute wirkt.

Titelbild

Michael Hofmann (Hg.): Aufklärung. Epoche Autoren Werke.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2013.
246 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783534247257

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Titelbild

Matthias Buschmeier / Kai Kauffmann (Hg.): Sturm und Drang. Epoche Autoren Werke.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2013.
244 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783534249428

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