Tina Terrahe untersucht in ihrer Dissertation Heinrich Steinhöwels ‚Apollonius‘

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Geschichte des Apollonius von Tyrus wird auch als ‚Lieblingsbuch des deutschen Mittelalters‘ bezeichnet. Heinrich Steinhöwels ‚Apollonius‘-Bearbeitung, ist in einer breiten Überlieferung verfügbar, die von der enormen Popularität des Werkes zeugt. Allerdings verkannte die stark geistesgeschichtlich ausgerichtete Forschung des 19. Jahrhunderts den ‚Apollonius‘ als trivialen und sprachlich miserablen Unterhaltungsroman, der Steinhöwels späteren sogenannten humanistischen Übersetzungen diametral entgegenstünde und somit seinem bedeutungslosen Frühwerk zuzuordnen sei. Diese aus moderner Perspektive haltlose pejorative Einschätzung wurde von der germanistischen Literaturwissenschaft praktisch unverändert beibehalten, weshalb das Werk bis heute nur in einem wissenschaftlich unzulänglichen Handschriftenabdruck von 1873 zugänglich war und daher in der aktuellen Forschung nahezu keine Beachtung fand.

Tina Terrahes Dissertation stellt den ‚Apollonius‘ in einer kritischen lateinisch-deutschen Paralleledition seinen lateinischen Vorlagen gegenüberstellt. Auf der Basis eines detaillierten Material-Anhangs, der sämtliche Informationen zu Überlieferung und Textgenese versammelt, situiert sie Autor und Werk im sozialhistorischen Umfeld. Dabei werden sowohl literarhistorische als auch sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte miteinander verknüpft, wobei insbesondere die literarischen, kulturellen und politischen Vernetzungen fokussiert werden.

Die zeitgenössische Rezeption belegt, dass Apollonius von Tyrus als realhistorische Figur im weltgeschichtlichen Kontext verstanden wurde. Dementsprechend müssen künftig 1. die Kategorien „Fiktivität“ und „Historizität“, aber auch 2. die Gattungstermini „Roman“ und „Historiographie“ für Texte dieser Zeit grundsätzlich neu überdacht werden. Gleiches gilt 3. für den Humanismus-Begriff, der in Bezug auf Heinrich Steinhöwel generell und den ‚Apollonius‘ im Speziellen massive Probleme verursacht hat. Daher plädiert die Verfasserin dafür, den Humanismus-Begriff grundsätzlich weiter zu fassen und die herkömmlichen kategorischen Gattungszuweisungen aufzubrechen. Stattdessen sollten Texte wie der ‚Apollonius‘ vielmehr anhand der Tradierungs- und Überlieferungsdetails (mitüberlieferte Texte, Besitzereinträge, Bibliotheksgeschichte et cetera) im sozialhistorischen Rezeptionskontext verortet werden.

Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert grundsätzlich nicht die Bücher von regelmäßigen Mitarbeiter / innen der Zeitschrift sowie Angehörigen der Universität Marburg. Deren Publikationen können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Tina Terrahe: Heinrich Steinhöwels 'Apollonius'. Edition und Studien.
De Gruyter, Berlin 2013.
300 Seiten, 99,95 EUR.
ISBN-13: 9783110297317

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch