Die Zeit der Helden ist vorbei

Über Heimito von Doderers „Das letzte Abenteuer“

Von Christina LangeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Lange

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es war im Jahre 1953, vor rund 60 Jahren also, da begab es sich, dass der (heute) über jeden Zweifel erhabene Schriftsteller Heimito von Doderer mit einer Novelle im Stile des Ritterromans seinen ganz persönlichen Beitrag zu einem Genre leistete, das man heute vermutlich „Fantasy“ oder „fantastische Literatur“ nennt. Immerhin geht es hier, ganz klassisch, um einen erfahrenen Helden, der durch wilde Wälder zieht, um ein von Barden besungenes Untier zu besiegen und durch diese Tat der Gemahl einer schönen adeligen Witwe zu werden – so scheint es zumindest. Doch Moment – irgendetwas stimmt mit dieser Heldengeschichte nicht. Das fängt schon bei dem Titel an: Heimito von Doderer nennt seine kleine Heldenreise schlicht „Das letzte Abenteuer“. Da schwingt keine Sehnsucht nach weiteren epischen Heldentaten mit, da lockt keine spätere Schlacht des Guten gegen das Böse, im Gegenteil: Vielmehr liegt schon in diesem Titel ein Hauch von Nostalgie und Wehmut, ja, vielleicht von Resignation. Ein Eindruck, der auch nicht verfliegt, wenn man den Text gelesen hat.

Ruy de Fanez, der Protagonist dieses untypischen „Ritterromans“, ist auf der Suche nach seinem letzten Abenteuer. Um die vierzig, stellt er sich noch einmal der Herausforderung und reitet gen Montefal, der Burg der schönen Herzogin Lidoine. Der Weg zu ihrer Burg und ihrer Hand führt, so sagt es eines Barden Lied, durch einen Wald, in dem ein schrecklicher Drache haust, welchen es zu besiegen gilt. Eine passende Aufgabe für einen wackeren Rittersmann, wie es scheint. Doch dann entpuppt sich der mächtige, schlangengleiche Lindwurm als gar nicht hungrig und der Ritter als wenig blutdurstig; nur ein verhältnismäßig kleines Stück von einem Drachenhorn kann Ruy de Fanez dem Untier vom Kopfe trennen. Anstatt weiter auf der Drachenjagd zu beharren, trabt der Ritter samt Gefolge einfach weiter seiner Wege, bis er Burg Montefal erreicht. Hier kann er nicht mal das Drachenhorn als Beweis für seine eher kleine Heldentat vorlegen, aber zum Glück folgt ein anderer „Held“ ihm auf den Fersen und hat das Horn unterwegs aufgelesen. Das genügt der schönen Witwe und sie erwartet stündlich einen Heiratsantrag, entweder von Ruy selbst oder von dem anderen Ritter, dem Finder des Horns. Zuletzt drücken beide Herren sich vor dem Abenteuer der Heirat; Lidoine wird mit Ruys eigenem Knappen verkuppelt, der neben ihm wie ein Kind wirkt. Statt seine Heldenreise im sicheren Hafen des Ehe-Happy-Ends zum Abschluss zu bringen, sattelt der ewig rastlose Ruy sein Ross und zieht weiter, bis er zuletzt sein Ende bei der Verteidigung eines Bauerndorfs gegen bewaffnete Eindringlinge findet. Ein wenig heroisches Ableben für einen edlen Ritter, wie es auf den ersten Blick scheint – und doch vielleicht eine größere Heldentat als ein vermeintliches Ungeheuer zu töten und eine Frau zu heiraten, die man nicht liebt.

Heimito von Doderers Erzählton ist melancholisch, seine bildhafte Sprache entfaltet sich gemächlich und stimmungsvoll. Der Leser begleitet den Helden in seiner Lebenskrise immer tiefer hinein in die schier niemals enden wollende Wildnis des verwunschenen Waldes. Dieser ist, obgleich die Behausung des fremden Ungeheuers, gleichzeitig auch Ort des Idylls und der Schönheit. Das vermeintlich Gefährliche, der fremdartige und bedrohliche Drache, verliert mit einem Mal an Schrecken und wird kontrastiert mit den Gefahren der Domestizierung, des „Gezähmt-Werdens“ durch eine Frau. Ruy de Fanez entscheidet sich gegen letzteres und kehrt sogar zurück in die Wildnis des Waldes. Der Drache, der anfangs als Bedrohung wahrgenommen wird, erscheint nun beinahe als Freund – als Ruys neuer Knappe einen gewitzten Einfall äußert, mit dem das Ungeheuer möglicherweise doch noch zu erlegen wäre, verbietet der Ritter derartige Bemühungen im strengen Ton. Der Drache ist nicht mehr der Feind, das Handeln des Helden wirkt so ziellos wie seine Reise und sein Tod in einem Bauerndorf erscheint unnötig. Wahre Helden und große Abenteuer, so scheint der Text dem Leser ein wenig resigniert, wenngleich in schöner Wortwahl zu suggerieren, gibt es eigentlich gar nicht mehr. Alles Streben danach ist vergebens.

Jetzt erscheint dieser etwas andere „Ritter-Roman“ im Jahre 2013 in einer Neuauflage und bildet damit einen interessanten Kontrast etwa zu Fantasy-Reihen wie George R. R. Martins Bestseller-Fantasy-Reihe „Das Lied von Eis und Feuer“, bei der das „letzte Abenteuer“ noch lange nicht in Sicht ist. Überhaupt gieren Leser und auch Kinogänger anscheinend mehr denn je nach neuem und altem Heldentum – der Erfolg der „Herr der Ringe“-Trilogie und die nun folgenden, unnötig in die Länge gezogenen Filmadaptionen von John R. R. Tolkiens „Hobbit“ seien stellvertretend für viele andere ähnliche, den Markt überschwemmende Fantasy-Geschichten genannt. Und im Gegensatz zu vielen dieser Geschichten erweist sich „Das letzte Abenteuer“ als ein bedeutend modernes Stück Literatur – trotz seines Entstehungsdatums.

Titelbild

Heimito von Doderer: Das letzte Abenteuer.
Verlag C.H.Beck, München 2013.
120 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783406644887

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