Texte aus der Emigration

Zu einer Auswahl von Texten von Hans Natonek

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Schriftsteller und Journalist Hans Natonek (1892-1963) war von 1917 bis 1933 Redakteur und Feuilletonchef der „Leipziger Zeitung“ und der „Neuen Leipziger Zeitung“. Darüber hinaus publizierte er auch in anderen renommierten Zeitschriften wie der „Weltbühne“ oder dem „Berliner Tageblatt“. In mehr als 2.000 Zeitungsartikeln hat Hans Natonek ein vielschichtiges Bild des politischen und kulturellen Lebens der Weimarer Republik gezeichnet. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde Natonek aufgrund seiner jüdischen Herkunft nicht nur aus der Redaktion der NLZ entlassen, sondern auch mit Berufsverbot belegt. 1934 emigrierte der Schriftsteller, zunächst nach Prag, später nach Paris und dann 1940/41 über Marseille und Lissabon in die USA, wo er 1963 in Tucson, Arizona, starb.

Der Lehmstedt Verlag hatte bereits 2006 unter dem Titel „Im Geräusch der Zeit“ Natoneks gesammelte Publizistik der Weimarer Republik herausgebracht. Nun folgt mit „Letzter Tag in Europa“ der zweite Band, in dem der Emigrant Natonek zu Wort kommt. Reichlich hundert Texte versammelt die Auswahl (1933-1963), die sich vor allem auf politisch aktuelle Äußerungen aus dieser Zeit beschränkt. Darüber hinaus hat Natonek auch Novellen, Kurzgeschichten und Glossen geschrieben, die aber oft dem literarischen Geschmack des damaligen Lesepublikums geschuldet waren. Deshalb wurden aus dieser Kategorie nur die anspruchsvollsten Texte ausgewählt.

Die Texte sind dabei nach den Emigrationsorten unterteilt. Natonek beklagt in vielen Artikeln vor allem den Verlust der europäischen Kultur oder die wachsende Distanz der bürgerlichen Zeitungen des Auslands zu dem Thema Emigration. In „Dieses war der dritte Streich“ vergleicht er satirisch die bekannten Wilhelm-Busch-Figuren mit den „bösen Buben der Weltgeschichte“. Seinem Freund und Dichterkollegen Joseph Roth und dessen Werk sind ebenfalls einige Texte gewidmet.

In seinem ausführlichen Essay „Zwischen zwei Sprachen“ (1953) setzt sich Natonek schließlich mit der Misere aller Exil-Schriftsteller auseinander: weiter in der Muttersprache zu schreiben oder den Sprung in eine neue Sprache zu wagen. Den Abschluss der Auswahl bildet das Gedicht „Traum von den leeren Händen“, das wenige Tage vor seinem Tod entstand.

Mit einer für ihn typischen Mischung aus satirischem Spott, kritischer Schärfe, politischer Attacke und doch einfühlsamen Betrachten hat Natonek seine Zeit analysiert. Die Wiederentdeckung dieser Fundgrube unterhaltsamer Texte, die es heute nur noch selten gibt, ist das große Verdienst der Leipziger Autorin Steffi Böttger. Dank ihres Engagements liegt nun die Publizistik von Hans Natonek pünktlich zu seinem 50. Todestag in einer zweibändigen Auswahl vor. Ergänzend ist von ihr auch die Biografie „Für immer fremd“ über das Leben des jüdischen Schriftstellers erschienen.

Titelbild

Hans Natonek: Letzter Tag in Europa. Gesammelte Publizistik 1933-1963.
Herausgegeben von Steffi Böttger.
Lehmstedt Verlag, Leipzig 2013.
280 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783942473699

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