Alter Wein

Über Erich Kästners „Der Gang vor die Hunde“

Von Roman HalfmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Halfmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Erstaunlicherweise“, erklärt der Herausgeber der Neuausgabe des jahrzehntelang unter dem Titel „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten bekannten Romans, „hatte aber bisher keine Leserin, kein Leser die Möglichkeit, den Roman so zu lesen, wie der Autor ihn geplant hatte; unglaublich, dass Kästner trotz all seiner Erfolge diese Wiedergutmachung versagt geblieben ist“.

Zwei Motive also motivieren die 2013 veröffentlichte Neuausgabe unter der Leitung des Kästner-Kenners und Biografen Sven Hanuschek: Eine Art Entschädigung begangenen Unrechts am Autor und, daran verknüpft, den Anspruch einer endlich kritischen und damit neu zu lesenden Ausgabe eines Klassikers der Neuen Sachlichkeit: „Der originale Duktus ist wiederhergestellt“, so lautet es abschließend im ausgezeichneten Nachwort, „die Streichungen sind wieder eingefügt – und wir können selbst beurteilen, wie gefährlich Literatur einmal sein konnte“.

Der letzte Flaneur

Natürlich, der vielen doch unbekannte „Kästner für Erwachsene“ ist unterm Strich über jeden Zweifel erhaben und immer wieder lohnenswerte Lektüre: Der Protagonist Jakob Fabian mäandert durch das Berlin um 1930, sich den in schaler Dekadenz versunkenen Esprit der Goldenen Zwanziger besehend, die Zuckungen politischer und gesellschaftlicher Krisen verspürend, – und erahnt hellsichtig das Dräuen nahender Schrecken. Fabian, der entgegen dem alternativen Titel im Grunde kein Moralist ist, sondern den Menschen bereits aufgegeben hat, dies aber nicht recht wahrhaben will und sich daher gar zu gerne vom Gegenteil überzeugen lassen würde, geht am Ende unter.

Trotz des hitzigen Treibens und Pendelns zwischen Bordellen, Kneipen und dubiosen Studios sind die Ereignisse unterkühlt dargestellt, da Fabian wie ein Flaneur die Großstadt Berlin durchstreift und auch in den Wirrungen einer eigenen Liebesgeschichte seltsam distanziert zu Frau, Liebe und letztlich sich selbst verbleibt. So berührt ihn nichts und folgerichtig findet er nirgends einen Halt – konsequent dann auch am Ende der Tod durch Ertrinken. Die weiteren auftretenden Figuren bleiben blass und dienen zumeist als Stichwortgeber fein ausgearbeiteter Dialoge, stets in bittre Pointen mündend und natürlich an die Lyrik Kästners gemahnend.

So sind es immer wieder die Freunde, die Frauen, einige wenige Bekannte, die Fabian aus der natürlichen Lethargie reißen und überhaupt erst in Bewegung bringen, dann aber ihre Schuldigkeit getan haben. Labude, der Freund, ist da eine Ausnahme, auch Cornelia, die kurzzeitige Geliebte: Doch obgleich sie beide eine Entwicklung durchmachen und Tragisches erleiden, wird dies für den Leser nicht in der ganzen Tragweite offenbar, da sie beide letztlich Typen bleiben und als solche gemeint sind: der Freund als scheiternde intellektuelle Alternative zum kommunistisch-nationalsozialistischen Sumpf, die Geliebte als gefallene Frau.„Ich sehe zu und warte“

Es sind dies nicht unbedingt Schwächen, sondern eben Folgen der Erzählhaltung, die immer wieder im Verlauf thematisiert werden: „Du hältst die Welt für eine Schaufensterauslage“, erklärt eine verhinderte Liebschaft einmal und benennt damit das Problem Jakob Fabians sowie die Ausgangslage des Romans, der aus der Not eine Tugend macht: Eine Schaufensterauslage, naturgemäß mit allen Mitteln im Aufmerksamkeit buhlend, kann man immerhin in Ruhe betrachten. Und so betrachtet Kästner mit dem Blick des Flaneurs das Ende der Weimarer Republik, welches einer Menschheitsdämmerung gleichkommt, die aber gleichgültig macht in all dem Schreien, Toben und der Raserei: „Das tägliche Pensum“, heißt es zu Beginn über die Nachrichtenflut in der Zeitung: „Nichts Besonderes“.

Kein Wunder, dass es hierbei explizit zugeht: Sexualität, Aggressivität, Dummheit, Verfall – all dies wird seziert und mit der typischen Kästner’schen Pointe gewürzt, bleibt aber eben doch eine moralische Bankrotterklärung. Und sie bleibt es, da der Held, Fabian, kein Held ist, obgleich er, als einziger in diesem Reigen, das Zeug hierzu hätte – und dass er kein Held sein will, es womöglich auch nicht sein kann, das ist der eigentliche Skandal des Textes. Und dieser Skandal macht das Werk so gefährlich – nicht die sexuellen Abenteuer, die Blinddarmuntersuchungen oder ähnliches mehr: Da ist es dann eigentlich egal, ob nun in der Neuausgabe ein unmoralischer Satz mehr zu finden ist oder eine Bordellszene expliziter dargestellt wird, die Kritik findet sich bereits voll ausgereift in der Erzählhaltung selbst, also letztlich in Fabian.

Womit nicht gemeint ist, dass die Neuausgabe nun vollkommen sinnlos sei, doch haben wir es im direkten Vergleich zu den früheren Fassungen doch mit nur marginalen Änderungen zu tun, die keine neue Lektüreerfahrung nach sich ziehen, geschweige denn den Charakter einer Neuentdeckung annehmen. Nein, „Der Gang vor die Hunde“ ist vielleicht nicht Kästners bestes Werk, aber wohl doch sein wichtigstes – und zu unrecht zu wenig bekannt –, weshalb eine Renaissance dringend nötig und gerecht scheint.

Titelbild

Erich Kästner: Der Gang vor die Hunde. Roman.
Hg. von Sven Hanuschek.
Atrium Verlag, Zürich 2013.
320 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783855353910

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