Verdichtete Lebensweisheit

In seinem Antiroman „Die gemeinsame Asche“ erzählt Zlatko Pakovic eine serbische Familiengeschichte

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der „Edition Balkan“, einer Buchreihe, die der Dittrich Verlag seit 2010 in Kooperation mit CULTURCON, einem, wie es in der Selbstdarstellung heißt, „Dienstleistungsunternehmen für die Bereiche Kultur, Freizeit, Tourismus und Medien“ auflegt, erscheinen „intelligente und poetische Texte“ in „erstklassigen Übersetzungen“. So jedenfalls formuliert der Verlag seinen Anspruch und fügt hinzu, dass er damit „literarisches Neuland“ betrete. Nun mag dieses Neuland denjenigen, die seit jeher schon der kraftvollen und pulsierenden Literatur des Balkans zugeneigt waren und sind, so neu nicht erscheinen, aber auch sie würden im Zweifel eine gezielte Förderung und Bereitstellung von Texten aus diesem Teil Europas begrüßen.

So wie die von Zlatko Paković. Der Schriftsteller und Theaterregisseur aus Belgrad ist hierzulande noch ein eher unbekannter Autor. Einer größeren Öffentlichkeit auch außerhalb seines Landes bekannt wurde er als Theatermann. In einer verlassen Fabrikhalle in Novi Sad inszenierte er sein mit Rajko Đurić verfasstes Stück „Zoran Djindjić umbringen“, das seitdem zuweilen auf Theaterfestivals zu sehen ist. Das Stück reflektiert den Zustand Serbiens. Anlass ist die Ermordung von Zoran Djindjić, der seit 2001 serbischer Premierminister war. Nach den verheerenden postjugoslawischen Kriegen war er der erste, der glaubhaft eine Abkehr von der nationalistischen Politik und die Bildung eines demokratischen und europäischen Serbiens eingeleitet hatte. Am 12. März 2003 wurde er auf offener Straße erschossen. Die Mörder kamen aus den nationalistischen Kreisen im Umfeld des 2006 verstorbenen Ex-Premiers Milosevic, dem Hauptverantwortlichen für die ,Jugoslawienkriege’ in den Jahren 1991 bis 1995.

In der „Edition Balkan“ liegt nun also Zlatko Pakovićs Text „Die gemeinsame Asche“ in der Übersetzung aus dem Serbischen von Mascha Dabić vor. Ein knapper Text, nur 64 Seiten lang. Ist das der Grund, warum der Autor seinen Text einen „Antiroman“ nennt? Tatsächlich handelt es sich um einen sehr bewusst und gezielt verdichteten Text. Er besteht aus zwei Teilen, betitelt „Die Alte Welt“ und „Die neue Welt“. Beide Teile bestehen aus knappen, mit römischen Ziffern nummerierten Textteilen, zuweilen nur wenige Zeilen lang, vereinzelt mehr als eine Seite umfassend. Ergänzt wird der Haupttext durch einige Fußnoten, in denen der Autor Mitteilungen wie Erinnerungen, Träume, Eindrücke, ja sogar die Notierung von Liedern abseits des Haupttextes unterbringt. In dieser, die herkömmliche Erwartungshaltung irritierenden Form ist der Text ein „Antiroman“ – umso erstaunlicher, dass der Klappentext ungerührt einen „Roman“ ankündigt, der „über vier Generationen die Geschichte einer Familie“ erzählt.

Die verdichtete literarische Form konzentriert sich ganz auf die Abfolge von Tod und Geburt und den durch diese ewige Wiederkehr von Anfang und Ende sichergestellten Fortgang des Lebens. Ein Mann stirbt im alten Jugoslawien, er ist Vater. Sein Sohn ist bei ihm, er wird bald selber Vater sein. Es ist Krieg und er flüchtet in die neue Welt, nach Australien. Dort wird er zum Großvater. Gemeinsam kehren Großvater, Tochter und Enkelin nach Serbien in die veränderte Stadt zurück. Eine Zeitlang erkundet der „Sohn/Vater“ mit seiner Enkeltochter die alte neue Stadt Belgrad. Dann stirbt er. Seine Tochter verschüttet die Asche ihrer Eltern. „Der Novemberwind verweht die Asche, und obwohl der Urneninhalt nahe der Flussoberfläche ausgeschüttet wurde, sind weder Ljudmilla noch die anderen Anwesenden sicher, dass nicht doch noch einige Staubkörnchen ans Ufer gelangt sind, ans Ufer der Donau oder der Save, aber darüber sprechen sie nicht und werden sie auch nicht sprechen.“

Der Reiz dieses Textes ergibt sich aus seiner strengen Konzentration auf die Abfolge von Tod und neuem Leben als zentrale Triebkraft des Lebens, mithin seiner Geschichte(n). Letztere freilich sind aus dieser Perspektive winzig. Deshalb ist es konsequent, sie nicht zu erzählen. Die menschlichen Angelegenheiten scheinen aufgehoben in einer ewigen Wiederkehr, die zu durchschauen oder gar zu bestimmen dem Menschen versagt ist. Die Ahnung des über das Einzelleben hinausweisenden Anderen bettet die Menschen in einen Strom des Lebens – eine tröstliche, beruhigende Einsicht, über die man mit diesem Büchlein sinnend nachdenken kann.

Titelbild

Zlatko Pakovic: Die gemeinsame Asche. Antiroman.
Übersetzt aus dem Serbischen von Mascha Dabic.
Dittrich Verlag, Berlin 2013.
64 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783943941234

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