Kein Christ mehr

Der Philosophieprofessor Kurt Flasch zerpflückt die Gründe, warum jemand noch Christ sein könnte

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gegen das Christentum haben viele etwas einzuwenden. Karlheinz Deschner hat in einer vielbändigen Großuntersuchung die Morde, Betrügereien, Fälschungen, Schlächtereien, Hetze gegen die Juden und Andersgläubige haarklein nachgewiesen, durch die ganze Geschichte hindurch. Autoren wie Arno Schmidt haben stolz gemeint: „Atheist? Allerdings!“, auf die stilistische Inkonsistenz der „Heiligen Schrift“ hingewiesen („ein Buch mit, milde gerechnet, 50000 Textvarianten (also pro Druckseite durchschnittlich 30 strittige Stellen!)“) und über Superlative gespottet, indem er beim Buch der Bücher an die „Encyclopedia Britannica“ dachte.

Jetzt hat es ein Philosoph unternommen, mit historisch-kritischem Arsenal die Glaubensgrundsätze zu untersuchen und, um das Ergebnis vorwegzunehmen, durch Unvereinbarkeit mit rationalem Denken aufzuzeigen: Der Mainzer Philosophieprofessor Kurt Flasch zerpflückt in seinem neuen Buch die Gründe, warum jemand Christ sein könnte. Denn wie sehr sich die katholische Kirche auch bemüht, sich selbst zu beschmutzen durch immer wieder auftretende Skandale und den Unwillen, sie aus eigener Kraft aufzuklären (Kindesmissbrauch, schwarze Konten, Vatikanbank, Verbindungen zur Mafia, et cetera), es gibt ja immer noch begeisterte Katholiken, die in all ihrer Schwärmerei auch Gründe für den Glauben haben.

Woran aber glauben sie tatsächlich? An die Unsterblichkeit der Seele? An die Auferstehung des Leibes? An Himmel und Hölle? Eines der größten Probleme sieht Flasch darin, dass die meisten Gläubigen die Glaubensgrundlagen überhaupt nicht kennen, auch, weil sie sich in den letzten 2000 Jahren immer wieder geändert haben: „Spielt die Jenseits-Diesseits-Differenz eine entscheidende Rolle? Tritt das Motiv der jenseitigen Gerechtigkeit hinzu? Ist das Christentum eine Erlösungsreligion, und wovon behauptet es, dass wir erlöst sind? Gehört die Erbsündentheorie wesentlich dazu oder ließe sie sich abtrennen? Und worin genau besteht die Erbsünde? Wie wird sie interpretiert? Ist der Begriff der Seele unentbehrlich, und was heißt ,Seele‘? Gibt es nur noch den Himmel oder auch die Hölle und den Satan?“ Aus dieser Unkenntnis aber entsteht das zweite Problem: Dass sich die meisten einen Glauben zusammenbasteln, sich aus dem „Gesamtangebot der Heilsoffenbarung“ heraussuchen, was ihnen gerade passt – ein bisschen Mystik, ein bisschen Poesie, ein bisschen Homosexuellenhass, ein bisschen Papstdogmengläubigkeit, ein bisschen Marienfrömmigkeit.

Dagegen setzt Flasch, ein profunder Kenner der spätantiken und mittelalterlichen Philosophiegeschichte, seine genauen und gründlichen Überlegungen: „Meine Arbeit besteht darin, seine verschiedenen Ausprägungen historisch genau aufzufassen, sie begrifflich präzis zu unterscheiden und das Ganze abzutrennen von bloßen Wunschvorstellungen über das Christentum.“ Gegen die Metaphysik des Christentums, zum Beispiel über die Existenz Gottes, setzt er philosophische Untersuchungsmethoden, die man über genau diesen Gegenstand schon seit Jahrhunderten kennt; gegen die brutalen Geschichten des Alten Testaments und gegen die Wundererzählungen des Neuen Testaments setzt er seine historischen Kenntnisse; gegen den Anspruch der Kirche, die absolute Macht zu besitzen oder die absolute Wahrheit zu kennen, setzt er die Soziologie und gegen den theologischen Jargon seine sensible Sprachkritik. Philosophie ist bei ihm auch keine Fachwissenschaft, sondern die Fähigkeit, aufgeklärt zu denken, ohne Rücksicht auf eigene Vorurteile und Denkmuster. „Ich beweise keine These, sondern leite an zu einer kohärenten geschichtlichen Analyse. Das Philosophische kommt nicht in immer abstrakteren Begriffsbestimmungen zum Ausdruck, sondern in der Kohärenz der geschichtlichen Analyse.“

Natürlich ist das alles nicht unbedingt neu, vieles dieser Kritik ist immer wieder gesagt worden – aber in dieser Menge, in dieser Konsequenz und auch mit diesem persönlichen, biografisch untermauertem Anspruch ist das Buch von Kurt Flasch beeindruckend. Noch dazu ist er kein vehementer Kirchenkritiker, spricht nicht „aus dem Ressentiment des Kirchengeschädigten“. Im Gegenteil. In seiner Kindheit während der Nazizeit hat er das Christentum „unter denkbar günstigen Bedingungen“ als das Andere erlebt, als einen Gegenentwurf zum gleichgeschalteten Faschismus und als Hort des freien Denkens. Seine Kritik erwuchs aus dem Studium der antiken Texte, die historisch-kritisch geprüft wurden. Da erst entdeckte er, dass die Bibel so nicht stimmen konnte. Und während seiner lebenslangen Beschäftigung mit der Philosophiegeschichte, über die er mehrere Bücher schrieb, lernte er die Argumente für und wider die Dogmen kennen, die Auseinandersetzungen zwischen den christlichen Denkern, die oft genug nur durch ein Machtwort entschieden und beendet wurden.

Von Paulus über Augustinus und Nicolaus Cusanus bis heute untersucht Flasch die christlichen Denker und kommt zu dem Schluss, dass es viele Christentümer gibt, und nicht das eine, von dem die katholische Kirche aus Machtgründen so gern ausgeht. Und er findet übrigens auch ein schönes Bild für die, die die Kirche reformieren wollen. Sie seien, so Flasch, „wie ein freundlicher und sensibler junger Mann, der aus Familiengründen in einen Anglerverein geraten ist, der dann aber seine Sympathie für die Fische entdeckt und vorschlägt, der Anglerverein soll sich in Zukunft mit dem Häkeln von Tischdecken statt mit dem Töten von Fischen beschäftigen“.

Denn hat sie nicht einen strengen Wahrheitsanspruch? „Da ihr Gott der einzige Gott sein soll, muss er es für alle sein“, schreibt Flasch. „Und was sie als sein Wort verkünden, soll für alle gelten. Weil wahr ist, was sie sagen, muss es für alle wahr sein.“ Und das geht nun mal nicht (mehr). Denn wie soll man die unplausiblen, märchenhaften Schöpfungsgeschichten, die Lehre von der unsterblichen Seele, von der abstrusen Jungfrauengeburt, der Trinität, in einen logischen Einklang bringen? Hat Gott die Welt wirklich erschaffen? In den ersten zwei Jahrhunderten glaubte man (und ,wusste‘ deshalb), dass die Welt bald untergehen würde, dann verlagerte sich der Schwerpunkt „von Gottes mächtiger Umgestaltung der Welt auf die Unsterblichkeit der Seele, auf Lohn und Strafe im Jenseits. Das war ein erster Gesamtumbau des christlichen Selbstverständnisses. Dann erschütterte Augustin die Überzeugung, alle Getauften würden errettet. Jetzt endeten nicht mehr nur alle Ungetauften im ewigen Höllenfeuer, sondern auch die Mehrheit der Christen.“ Im 13., 15., 16. und im 18. Jahrhundert: Immer wieder wurde der christliche Glaube verändert, die Dogmen waren andere, und immer mit dem Impetus, jetzt die wirkliche, wahrhaftige, oft auch faktische Wahrheit zu sprechen.

Selbst die katholische Kirche ist inzwischen weit entfernt vom Faktenglauben an die Bibel, wie Flasch im katholischen „Lexikon für Theologie und Kirche“ von 1993 nachliest, wo die Auferstehung „keine beweisbare Tatsache“ ist – andererseits ist immer noch die Tatsächlichkeit der Auferstehung die wichtigste Glaubensgrundlage. Und die Berichte über die Auferstehung? „Wäre ich der zuständige Polizeikommissar gewesen mit dem Auftrag, das Verschwinden der Leiche eines prominenten Mannes aufzuklären, wäre ich zu dem Ergebnis gekommen, das sei bei diesen Zeugenaussagen unmöglich.“

Das Christentum ist also für einen denkenden Menschen nicht zu halten. Warum also glauben die Menschen? Aus Gnade (Die Gnade „soll die vernünftige Besinnung ersetzen. Sie fördert nicht die menschliche Vernunft; sie überwältigt sie“.)? Aus einem Erlebnis heraus? Als geistiges oder geistliches Abenteuer oder Sprung in eine andere Dimension? „Wer springt, möchte doch wissen, wohin er springt und warum er das tun soll“, antwortet Flasch. Auch um den Sinn des Lebens zu verstehen, brauche man den Glauben nicht. Leben, Liebe, Beziehungen – das alles kann dem Leben auch einen Sinn geben.

So ist Flasch ein heiterer Aufklärer, der sich vor allem daran stört, dass die Christen ihren Glauben überhaupt nicht kennen. Kurt Flasch kennt ihn sehr genau und ist deshalb kein Christ mehr, nach keiner Definition.

Titelbild

Kurt Flasch: Warum ich kein Christ bin. Bericht und Argumentation.
Verlag C.H.Beck, München 2013.
280 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406652844

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