Rumänien medial inszeniert

Ein Sammelband nimmt Formen individueller und kollektiver Selbstdarstellung in Presse, Fernsehen, Film und Literatur in den Fokus

Von Anke PfeiferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Pfeifer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Angesichts des Titels des vorliegenden Sammelbandes „Rumänien. Medialität und Inszenierung“ fiel der Rezensentin spontan die sogenannte und in der Mediengeschichte bis dato als einzigartiges Ereignis verzeichnete „Tele-Revolution“ ein: als am 22.12.1989 Rumäniens Staatsoberhaupt Nicolae Ceauşescu mit dem Hubschrauber vor den aufgebrachten Volksmassen floh, wurde kurze Zeit später die rumänische Fernsehanstalt besetzt. So generierte ausgerechnet das (Massen-)Medium Fernsehen nach jahrelangen Programmbeschränkungen zu jenem (Tat-)Ort, an dem die Revolution per Statements und wie auf einer Bühne stattfand, ja geradezu medial inszeniert wurde.

Und natürlich bezieht sich dann Michèle Mattusch darauf in ihrem „Einstieg“ zum Band, der unter Herausgeberschaft dreier RumänistInnen der Humboldt-Universität zu Berlin die Ergebnisse der Sektion ‚Rumänien Praktiken medialer Inszenierung und Transformierung‘ des XXXII. Romanistentages 2011 präsentiert. Die Inszenierung der damaligen Ereignisse geriet für Medientheoretiker zu einem „exemplarischen Fall“, „wie die Bilder Geschichte machen“. Er präsentiert zugleich die beispielhafte Verflechtung von Mensch und Medien. Und gerade diesen Aspekt ihrer beider „Verstricktheit“, die „Untersuchung des medialen Menschen der Gegenwart“ sieht sie als lohnenden Forschungsgegenstand an, der ihrer Ansicht nach in der „Kommunikationszentriertheit“ gegenwärtiger Forschungen zu wenig Aufmerksamkeit erhält.

Kritisch merkt die Mitherausgeberin in ihren theoretischen Ausführungen zum Thema Medien eine deutliche Diskrepanz „zwischen der Vielfalt der Medientheorien und der sie meist ignorierenden empirischen Untersuchungen“ an, die sie auch in Bezug auf den Band konstatiert. Aber sie zeigt auch einen konzeptionell interessanten Ansatz auf, um dieses Defizit einer Konzentration auf Vermittlung zu beheben. Dazu möchte sie den Fokus stärker auf „die aisthetische Perspektivierung des Mediumbegriffs“, auf den Aspekt der Affizierung gerichtet sehen und exemplifiziert ihr Ansinnen vorab anhand der Analyse von Skizzen des bedeutenden rumänischen Schriftstellers Ion Luca Caragiale aus dem 19. Jahrhundert, in denen dieser das Medium Zeitung und dessen Akteure, den Journalisten und den Leser, parodierte. Mattusch zeigt anschaulich, wie in Caragiales Texten die Nachricht aus der Zeitung „zum unverzichtbaren Bestandteil der Welt seiner Protagonisten“ wird und die Zeitung „zum Impulsgeber der Rede, die von der Nachricht lebt“, temporäre „Gemeinsamkeit“ hervorbringt und letztlich die öffentliche Meinung generiert. So wird „das Massenmedium Presse als Medium […] zum Thema der Literatur“, die hier unter anderem spätere Kritik an den Massenmedien vorwegnimmt.

In Anlehnung an Martin Seel geht Mattusch von zwei Methoden für die Medienanalyse aus, der Semiotik und der Phänomenologie, und konstatiert für den Band die Orientierung auf „beide Ansätze, den empirisch-analytischen Zugriff und den aisthetischen“.

Einleitend hätte man sich in diesem Kontext noch eine Auseinandersetzung mit den titelgebenden Begriffen Medialität – Maren Huberty geht in ihrem Beitrag zumindest kurz darauf ein – und Inszenierung gewünscht.

Die Beiträger widmen sich ganz unterschiedlichen Medien und Fragestellungen, übrigens fast ausschließlich zu aktuellen Themen. So richtet sich der Fokus vor allem auf Print- und Online-Zeitschriften, Fernsehen, aber auch auf Film und schöngeistige Literatur. Die Beiträge zu den Massenmedien konzentrieren sich auf die Untersuchung ihrer Vermittlungsrolle beziehungsweise der vermittelten Inhalte. Analysiert werden die Funktionen von Literatur- und Kulturzeitschriften in Bezug auf literarische Kanonbildung nach 1989, verbunden mit einem Rückblick auf die Rolle von Zeitschriften in der rumänischen Kulturgeschichte (Florin Oprescu), die Debatten zur Exilliteratur in verschiedenen Periodika (Simona Antofi), die Propagierung der 1956 eingesetzten Methode des sozialistischen Realismus in der „La Revue Roumaine“, die in drei Weltsprachen erschien und sich an ein ausländisches Publikum richtete (Doiniţa Milea).

Mit dem Siegeszug der digitalen Medien erlangen Interdependenz und Transmedialität eine neue Dimension. Der „Kreislauf des Medialen“, den Mattusch in ihren theoretischen Ausführungen beschreibt, wird beispielhaft illustriert in Edith Ottschofskis Aufsatz zum „Fall Oskar Pastior“, der die Macht der Medien, die Deutungshoheit an sich zu ziehen, zeigt.

Der Aspekt der Interaktion wird ebenso deutlich in Dumitru Tucans Beitrag zur Praxis von affektiven Reaktionen widerspiegelnden Internet-Kommentaren in der Online-Presse, die er anhand der rumänischen Reaktionen auf eine Grafik zu rumänischen „Mafiaclans“ in Frankreich untersucht. Dabei erstellt er verschiedene Kommentar-Typologien.

Auf die Tradierung stereotyper Bildern von Rumänen, sogenannten „sozio-kulturellen Imaginarien“, in ausländischen Medien nehmen zwei andere Beiträge Bezug und ergänzen damit bereits vorliegende deutschsprachige Untersuchungen zum Medienbild der Rumänen. Das medial vermittelte Bild Rumäniens analysiert Maren Huberty in französischen Medien und Ioana Scherf in der deutschen Presse. Geht es in erstgenannter Analyse um „die Funktionsweise medialer Kommunikation“ sowie die Bedingtheit von Fremd- und Eigenbildern, die in der problematischen Gleichsetzung der Ethnie der Roma mit Rumänen eine besondere Brisanz erhält, so ist im zweiten Text die Tradierung kultureller Stereotypen durch Phraseologismen als eine mögliche Realisierungsform von Klischees Gegenstand der Erörterung. Sprachwissenschaftlich angelegt ist auch die Untersuchung von Corina Martinaş zur Standardsprache und ihren Varianten im Fernsehjournalismus.

In der Kunst erfolgt die Inszenierung von Wirklichkeit durch verschiedene mediale Verfahren. Heidi Flagner untersucht den intermedialen Charakter des Films „Der Tod des Herrn Lăzărescu“ sowie seine intertextuellen Bezüge. Die „aisthetische Perspektivierung des Mediumbegriffs“ zeigt sich dann insbesondere in den drei Beiträgen zur rumänischen Gegenwartsliteratur, die „die postmoderne Medialisierung“ von Texten als „Mittler zwischen sinnlicher Präsenz und unvordenklichen Entwürfen“ analysieren. Valeriu P. Stancu fokussiert anhand von zwei Fallbeispielen, zeitgenössische Romane von Răzvan Rădulescu und T. O. Bobe, auf die „Interdependenz von medialem und Imaginärem“ unter besonderer Berücksichtigung des „Mediums Sprache“ und der „graphischen Oberfläche“ des Textes. Mattusch widmet sich dem „existenzielle[n] Schreibprojekt“ „Orbitor“ von Mircea Cărtărescu und erforscht hier den Zwischenraum als „ästhetische[s] Kippspiel“ „vor dem Hintergrund von aisthesis und Anästhetik“. Brigitte Heymann schließlich erarbeitet die „Traum- und Körperschrift“ Cărtărescus ebenfalls im genannten Werk, das im Übrigen bestens geeignet scheint, Affizierung der Sinne bei Autor wie Leser herauszuarbeiten.

Kritisch angemerkt werden muss, dass vier der zwölf Beiträge in rumänischer Sprache aufgenommen wurden, ein Umstand, der für die – allerdings recht kleine Zahl – von Spezialisten mit entsprechenden Sprachkenntnissen selbstredend keine Hürde darstellt. Allerdings sind sie komparatistisch arbeitenden Wissenschaftlern anderer Disziplinen so leider nicht zugänglich. Dies ist umso bedauerlicher, da die rumänische Kultur sowohl in der Forschung, die sich mit dem Raum des östlichen beziehungsweise südöstlichen Europa beschäftigt, als auch in der Romanistik – auch Romanisten beherrschen heutzutage wohl eher selten die rumänische Sprache – relativ wenig Aufmerksamkeit findet. Für ein Buch, das sich an den deutschsprachigen Markt wendet, scheint dies ein ziemliches Manko, denn auch die kurze inhaltliche Vorstellung der einzelnen Beiträge am Ende der Einleitung kann die Lektüre leider nicht ersetzen.

Der Band bietet neben den über die Rumänistik hinausgehenden theoretischen Aspekten auf jeden Fall ein sehr interessantes Themenspektrum und gewährt punktuelle kommunikations-, sprach-, literatur- und filmwissenschaftliche Einblicke in die rumänische Kultur.

Titelbild

Maren Huberty / Michèle Mattusch / Valeriu Stancu (Hg.): Rumänien - Medialität und Inszenierung.
Frank & Timme Verlag, Berlin 2013.
284 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783865964731

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