Unter dem Schleier

Edmund Jacobys „Wer war König Artus?“ überzeugt nur teilweise

Von Jürgen WolfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Wolf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

König Artus gehört heute zu den prominentesten Mittelaltergestalten überhaupt. Jeder weiß – vermeintlich – um den glänzenden Herrscher und vor allem um seine Tafelrunde. Vor allem die in den hoch- und spätmittelalterlichen Epen berichteten Heldentaten seiner Ritter – exemplarisch herausgehoben seien Parzival, Gawein, Lanzelot, Merlin – aber auch die Liebesabenteuer seiner schönen Gemahlin Ginevra haben die Menschen seit dem 12. Jahrhundert bewegt und bis in die Moderne die Literaten zu immer neuen Geschichten inspiriert. Eine ganze Reihe dieser Werke – Chretiens „Conte du Gral“, Wolframs „Parzival“ oder der „Lancelot-Gralzyklus“ – avancierten schon im Mittelalter zu Klassikern. Aber im Mittelalter ist Artus mehr als Literatur; er ist auch eine historische Figur. Über ihn, seine Taten und seine Gefährten wird in umfänglichen Geschichtswerken etwa eines Geoffrey von Monmouth, eines Wace oder eines Malory von den Zeitgenossen durchaus anerkannt im Duktus des Geschichtsschreibers berichtet.

Edmund Jacoby widmet sich in seiner Suche nach König Artus beiden Genres, ohne allerdings offenzulegen, was er wann und wo entnimmt und worauf er sich denn im Einzelnen bezieht. Nur scheinbar präzise werden zu Beginn Berichte über die Zeit, Quellenstudien und historische Daten in die Darstellung eingeflochten: „Vor ungefähr 800 Jahren – im Hohen Mittelalter – galt Artus als der beste aller Könige“, heißt es etwa. Auch werden Beziehungen zu realhistorischen Herrschern geknüpft, um die Historizität, aber mehr noch die Validität der Berichte zu festigen. Doch all diese historischen Verortungen werden nie aufgelöst. Weder im kurzen einleitenden Überblick noch bei den folgenden Einzeldarstellungen legt Jacoby jemals offen, in welchem Text man sich denn nun befinde, aus welchem Artus-Werk erzählt beziehungsweise paraphrasiert wird; von Reflektion oder Analyse ganz zu schweigen. Der höchste Grad der Reflektion ist die beinahe gebetsmühlenartig wiederholte Frage, „ob es Artus wirklich gegeben hat“ und der Verweis auf „Sagen“.

Versucht man das Versteckspiel aufzulösen, werden die ersten Ausführungen zum „Kampf um Britannien“ wohl aus der hochmittelalterlichen „Historia regum Britannie“ des Geoffrey of Monmouth (nach 1135) oder der frühneuzeitlichen Artussumme Malorys (um 1470) – vermutlich allerdings vermittelt durch irgendeine moderne Artusvariante – stammen. Vielleicht sind aber auch beide Darstellungen zusammengeflossen. Mit reichlich historischen Daten und Figuren, aber auch Etymologien und Ereignisberichten aufgepeppt, erweckt die Darstellung fortwährend den Eindruck einer verifizierten Artusgeschichte. Und genau dies scheint auch die Intention, denn mit dem Pathos eines Geschichtsforschers wird verwiesen auf „Dokumente […], die noch aus der Zeit der Kämpfe zwischen Briten und Angelsachen stammen“. Irritierend wirken dabei allerdings die reichlich eingeflochtenen Pseudodialoge und die vielen beinahe märchenhaften Wunderberichte. Sogar Wieland der Schmied – kommt er doch wohl aus anderen Zusammenhängen – hat seinen Auftritt.

Von Vortigern über Merlin und Utherpendragon spinnt Jacoby die ‚Geschichte‘ bis hin zur Geburt von Uthers Sohn Artus. Stellenweise schimmern offensichtlich die ‚Nebel von Avalon‘ durch, denn unser Autor entwickelt ein besonderes Faible für Druiden, Wunder und Träume. Stellenweise folgt Jacoby dann aber auch wieder fast wörtlich der „Historia“ Geoffreys. Überhaupt scheinen Geoffrey und/oder Malory das Gerüst für die gesamte Darstellung abzugeben, in die dann die großen Vers- und Prosaepen eingeflochten werden. Und da wird es spannend, denn ohne es zu Wissen – beziehungsweise es zu thematisieren –, folgt Jacoby hier einem bereits im 13. Jahrhundert zur Perfektion entwickelten Prinzip, wie man es aus einigen großen Chrétien-Sammelhandschriften und den umfänglichen Textzeugen des Prosa-Artuszyklus kennt: Wie in einem Konvoi werden hier die epischen Erzählungen zu den Helden der Tafelrunde mit den historischen Berichten vergesellschaftet. Auch damals wurden die jeweiligen Einzelquellen nicht offengelegt – was im Mittelalter den niederländischen Geschichtsschreiber Jacob van Maerlant (um 1230-90) übrigens zu schärfster Kritik veranlasste, weil er das valsche und logentlike aus den historischen Berichten herausgelöst haben wollte.

Aber folgen wir weiter der Jacoby-Erzählung: Artus wird König. Wir hören von der Tafelrunde, von den geheimnisvollen Feen, von Ginevra und dem Tafelrundenritter Gawein. Auf CD Zwei wird die Artusgeschichte über Lanzelot und Parzival beziehungsweise den Gral letztlich bis hin zu Modred und dem Ende des Artusreichs weitergesponnen. Jacoby perfektioniert dabei das System der ‚verhüllenden‘ Quellenverweise und spricht ständig von „Sagen, die einen geschichtlichen Kern haben“. Darauf, dass er den Schleier auch nur einmal lüftete, wartet der Hörer vergeblich, was bei nahezu allen Berichten jedoch problemlos möglich gewesen wäre, denn die vermeintlichen „Sagen“ sind nichts anderes als die mittelalterlichen Artusepen und -chroniken, aus denen Jacoby einmal mehr eine ‚schöne‘ Artusmelange anrührt. Die Parzivalgeschichte, hier wird in weiten Teilen wohl Wolframs „Parzival“ paraphrasiert, gerät dabei fast zu einem Märchen – für Kinder über 10 Jahren nicht geeignet.

Was bleibt nach diesem verwirrenden Hörerlebnis als Fazit? Ein schön erzähltes Artusmärchen, das offensichtlich viel mehr sein will. So wird man jedenfalls die unzähligen Hinweise auf Quellen, Forschungsergebnisse und Wissenschaftlichkeit verstehen müssen. Verwirrend dabei ist allerdings, dass nicht einer dieser Verweise aufgelöst wird; nicht eine der Quellen wird offengelegt. Immer bleibt Jacoby im Vagen, im Sagenhaften – und im Parzivalteil sogar im Märchenhaften. Wer wissen will, „wer war König Artus“, ist mit diesem Hörbuch jedenfalls ‚verraten und verkauft‘.

Titelbild

Edmund Jacoby: Wer war König Artus?
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2010.
2 CDs, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783534601578

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