Entzauberung eines Mythos

Dieter Berg stellt Richard Löwenherz vor

Von Ina KargRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ina Karg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Mittelalter hat bekanntlich seit geraumer Zeit Hochkonjunktur. Die Zeit, die man gemeinhin so bezeichnet, war von Anfang an ein Konstrukt der Humanisten, die in der Rückbesinnung auf die Antike die Zeit ‚dazwischen‘ als die ‚mittlere‘ bezeichneten. Im Grunde genommen ist es so geblieben mit dem Unterschied, dass sich jede Generation ihr Mittelalter baut, das seinerseits zu Mythen- und Legendenbildung dient: Eine letztlich stets weitergeführte und in ihren Facetten ineinander verwobene Rezeption der Rezeption.

Insbesondere um prominente Persönlichkeiten des Mittelalters haben sich Mythen gebildet und ihnen gerade dadurch Bedeutung und bleibende Attraktivität verliehen. Eine von ihnen ist Richard Löwenherz. Hinter die Fassade legendärer Bedeutungszuweisungen zu blicken und ein aus historischer Perspektive verantwortbares Portrait zu zeichnen, ist der Anspruch des Historikers Dieter Berg, der in Zusammenarbeit mit Thorsten Reich als Regisseur und Axel Thielmann als Sprecher ein Hörbuch über den englischen König vorgelegt hat. In 19 Szenen, die auf zwei CDs verteilt sind, wird äußerst illustrativ und in vielen Einzelheiten das Leben Richards I., eines Plantagenêt, Sohn Heinrichs II. von England und Eleonores von Aquitanien nachgezeichnet. Bekanntlich ist er als Richard Löwenherz, englisch Richard I the Lionheart und französisch Richard Ier Cœur de Lion in die Geschichte eingegangen. Zur Sprache kommen in Bergs Darstellung: Die Jugend und die Konflikte mit dem Vater und den Brüdern; der Aufbruch und die Durchführung des dritten Kreuzzuges, bei dem das Ziel der Rückgewinnung Jerusalems für die Christen nicht erreicht und ‚nur’ ein Waffenstillstand mit Sultan Saladin vereinbart werden konnte; die Gefangenschaft durch Leopold von Österreich auf dem Rückweg vom Heiligen Land; die komplizierten Beschaffungsmaßnahmen für ein Lösegeld, das Richard die Freiheit wieder garantierte; und schließlich die Sicherung seiner Herrschaft danach. In seiner Regierungszeit von etwa 10 Jahren hat er kaum 10 Monate in England verbracht.

Der Verfasser hält sich an die historische Abfolge der Geschehnisse, weist jedoch immer wieder auf Zusammenhänge hin, was den Verstehensprozess beim Hören sehr gut unterstützt. Allerdings muss er gelegentlich dafür auf Vermutungen zurückgreifen, wo historische Fakten offenbar fehlen oder eine Handlungsmotivation allenfalls erschlossen werden kann. Sich die reichen Details in der dargebotenen Fülle zu merken, ist kaum denkbar und wohl auch nicht beabsichtigt. Doch stellt sich aufgrund von Komponenten, die sich durch die gesamte Lebensgeschichte ziehen, ein recht klares Bild dieser interessanten und schillernden historischen Figur ein. Durchgehend wie der sprichwörtliche rote Faden ist zum einen die Auseinandersetzung zwischen Richard und Philipp II. von Frankreich, ein Konflikt, der durch Richards Hinhaltetaktik bezüglich der Eheschließung mit Philipps Schwester Alice begründet und von einem steten Wechsel zwischen Kämpfen und Waffenstillstandsvereinbarungen beziehungsweise Friedensverhandlungen geprägt ist. Ferner spielte vor allem Richards Mutter Eleonore eine äußerst wichtige Rolle im Leben des Plantagenêt, insofern sie in Konfliktsituationen immer zu ihm hielt und für ihn genehme Lösungen erwirken konnte. Und schließlich stand Richard ständig vor der Frage der Finanzierung seiner Unternehmungen: Gelder für den Kreuzzug, für die Lösegeldzahlung und für die militärischen Aktionen mussten beschafft werden, was eine für England kaum vorstellbare finanzielle Belastung bedeutete und Richards Herrschaft nicht unbedingt stabilisierte. Eine wichtige Einsicht, die das Hörbuch vermitteln kann, ist vor allem die, dass in dieser Biografie Privates als Strategie für Politik und Machtansprüche diente und jede Aktion zudem Auswirkungen bis in großpolitische Handlungsfelder hatte: Persönliche und machtpolitische Spiele und Intrigen sind in ein komplexes Geflecht von Ereignissen, Konstellationen und Situationen eingebunden, die teils von Richard herbeigeführt wurden, teils sich aber auch unabsichtlich ergaben und unvorhergesehene Probleme bereiteten.

Das Hörbuch beginnt und endet mit der Referenz auf den ‚Mythos Richard Löwenherz‘, der ihn zu einem idealen Herrscher und sein Leben zum „chevaleresken Entwurf“ stilisiert. Die Verherrlichung habe, so Dieter Berg, schon zu Lebzeiten eingesetzt und Richard selbst habe sich als Artus inszeniert. Auch die englische Geschichtsschreibung habe das Ihre dazu beigetragen und selbst in jüngster Zeit sei das Bild, das die Geschichtswissenschaft von ihm zeichnet, immer noch nicht ganz einheitlich. Die Absicht des Verfassers, diesen Mythos zu entzaubern, ist ihm voll und ganz gelungen. Die fehlerhafte Angabe von Saladins Tod (nicht 1183, sondern 1193) ist dabei eine zu vernachlässigende Kleinigkeit. Für ein interessiertes Laienpublikum, dem eine geschichtswissenschaftlich verantwortbare Darstellung angeboten werden soll, zeichnet Bergs Portrait eine Persönlichkeit, die in vielfältigen Konstellationen mit ihren historischen Ko-Akteuren allen Widrigkeiten und Intrigen zum Trotz immer wieder Situationen im eigenen Interesse entscheiden konnte, die keinen Anstrengungen ausgewichen ist und keine Strapazen gescheut hat. Der Blickwinkel ist ein europäischer, was verständlich sein mag, wenn es um eine solche Figur geht, was aber in einer eventuellen Anschlusskommunikation in der Rezeption des Hörbuchs – etwa im Geschichtsunterricht – aufgegriffen werden müsste. In der arabisch-islamischen Welt allerdings, das sollte auf jeden Fall festgehalten werden, prägt Richards Kreuzzug und das Massaker von Akkon nachhaltig ein höchst unerfreuliches Bild von den christlichen Kreuzrittern.

Titelbild

Dieter Berg: Richard Löwenherz.
Primus Verlag, Darmstadt 2012.
2 CDs, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783654602479

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