Eine Orgie der Gier

Martin Scorseses „The Wolf of Wall Street“ ist eine Satire auf die amerikanische Finanzindustrie – und eine Hymne an die Dekadenz

Von Daniela OttoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniela Otto

Mein Auto, mein Haus, mein Boot? Reicht nicht. Schon eher mein Lamborghini, meine Villa, meine Yacht. Leonardo DiCaprio kann nach seinem opulenten Auftritt im „Great Gatsby“ in seinem neuesten Film gleich weiter feiern. Auch in „The Wolf of Wall Street“ regiert der große Rausch: Geld, Drogen, jede Menge Sex – Martin Scorsese inszeniert das Leben des Aktienhändlers Jordan Belfort als schier endlosen Luxus-Exzess. Der Dauerorgie zuzusehen macht dabei soviel Spaß, dass man glatt vergessen könnte, diese kritisch zu hinterfragen.

Eigentlich sollten gleich die ersten Filmszenen bedenklich stimmen: Mag man diesen Typen? Der schwerreiche Börsenmakler Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) protzt von der ersten bis zur letzten Sekunde mit seinem Vermögen. Irgendwie ist das unsympathisch. Irgendwie aber doch auch cool. „The Wolf of Wall Street“ kokettiert mit dieser Ambivalenz: Der Film führt ein destruktives, moralisch verkommenes Kapitalismus-System vor Augen und lädt es doch zugleich mit einer anrüchigen Ästhetik der Dekadenz auf, die seltsam attraktiv erscheint. Unzählige Male kommt das Wort „Fuck“ vor, es wird Gewinn maximiert, Koks konsumiert und immer und immer wieder kopuliert. Zweifelsohne, in diesem Film dominiert das Obszön-Pornographische. Und eine Frage muss erlaubt sein: Ist reich sein wirklich so – pardon – geil?

„The Wolf of Wall Street“ ist eine Filmbiographie. Scorsese hat das Leben des Börsenmaklers Jordan Belfort verfilmt, der mit nicht ganz legalen Mitteln ein Millionenvermögen an der Börse macht. Gemeinsam mit seinem Nachbarn Donnie Azoff (Jonah Hill) gründet er das Unternehmen Stratton Oakmont und verdient an Penny-Stocks, Aktien von niedrigem Wert und geringem Handelsvolumen, jedoch hoher Provision, viel Geld. Aus einfachen Verhältnissen kommend, erliegt Belfort schnell dem Reiz des Reichtums. Er kauft eine Prunkvilla, fährt einen Luxuswagen und nimmt eine Droge nach der anderen. Seine bodenständige, brünette erste Frau Teresa (Cristin Milioti) ersetzt er durch die elegante, platinblonde Naomi (Margot Robbie), die schlichtergreifend besser zu seinem Lifestyle passt. Überhaupt sind die Frauen hier primär Lustobjekt oder schmuckes Beiwerk. Aufschrei? Fehlanzeige. Wie alles ist hier auch die Liebe käuflich und keine (bis auf Naomi am Schluss) beschwert sich über dieses Geschäft. 

Doch die Drogen- und Partyexzesse bleiben nicht ohne Folgen. Belfort, der täglich einen regelrechten Pillen-Cocktail zu sich nimmt, ist bald ein körperliches Wrack. In seinem schlimmsten Moment liegt er sabbernd am Boden und kann sich kaum mehr bewegen, er robbt wie ein Baby – die Regression des sonst so mächtigen Mannes ist perfekt. Die Würde mag in diesem Augenblick dahin sein, und doch muss vielen, die sich täglich ins triste Büro schleppen, der Arbeitsalltag in Stratton Oakman reizvoll erscheinen. Hier wird Geld verdient und Party gemacht, das eigene ökonomische Genie in unendlich narzisstischer Attitüde gefeiert. Und hierin liegt auch die Problematik des Films, der ansonsten ein weiterer großer Wurf des Regisseurs ist: Kritik an diesem Lebensstil, der eine einzige große Orgie der Gier ist, übt er kaum. Gewiss, Belfort muss für seine unsauberen Geschäfte im Gefängnis büßen, doch er wird auch als Motivationstrainer wiederauferstehen. Leonardo DiCaprio spielt diesen Broker dermaßen pointiert und bewusst over the top, dass die künstlerische Hochstilisierung dieses Lebensstils klar wird. Dennoch verlässt man den Kinosaal nicht unbedingt angewidert von oder entsetzt ob all der Raffgier. Geld mag, wie es das alte Sprichwort sagt, den Charakter verderben. Doch fast ist man versucht zu denken: Wer braucht schon einen guten Charakter, wenn man solch ein Leben führen kann?

The Wolf of Wall Street, USA 2013
Regie: Martin Scorsese
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Jonah Hill, Margot Robbie
Länge: 179 Min.

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