Autor, Publizist, Weltverbesserer

Wie der amerikanische Schriftsteller Dave Eggers, der jüngst mit „The Circle“ einen neuen Roman vorgelegt hat, zu einem der interessantesten zeitgenössischen Verleger wurde

Von Emily ModickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Emily Modick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1.

Als Dave Eggers im Jahr 2000 wie aus dem Nichts auf den amerikanischen Buchmarkt platzte und mit seinen Memoiren „A Heartbreaking Work of Staggering Genius“ („Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität“) auf Anhieb einen Beststeller landete, hielt ihn so mancher für einen jener typischen Debütanten, die als vorübergehendes Phänomen großen, doch relativ kurzen Erfolg haben. Dave Eggers hat sich jedoch als beständig erwiesen und kontinuierlich weiterentwickelt. Neben seiner nach wie vor erfolgreichen Tätigkeit als Schriftsteller hat er sich besonders auch als Verleger und Herausgeber um die amerikanische Literatur verdient gemacht. Unter dem Sammelbegriff McSweeney’s firmieren: ein Buchverlag mit diversen Imprints, eine Webseite, ein Literaturjournal („McSweeney’s“), eine kulturkritische Publikation („The Believer“) und ein Kurzfilm-DVD-Magazin. Außerdem ist Eggers Begründer mehrerer gemeinnütziger Organisationen und nutzt seine Prominenz, um soziale Missstände in den USA anzuprangern. Um Eggers’ Entwicklung nachzuzeichnen, ist insbesondere ein Blick auf seine beiden ersten Romane aufschlussreich, deren Rezeptionsgeschichte einen nicht unerheblichen Anteil daran hatte, wie und wohin der Autor sich entwickelte. Als Dave Eggers 1993 mit einigen Freunden das „Might“-Magazin gründete, ein kurzlebiges, dem Zeitgeist der sogenannten ‚Generation X‘ entsprungenes Projekt, war der Grundstein für seine weitere schriftstellerische und publizistische Karriere gelegt. Es folgten sein eigenes Literaturjournal „McSweeney’s“ und schließlich seine Memoiren, die ihn über Nacht zum Star machten.

2.

Als „A Heartbreaking Work of Staggering Genius“ auf den Markt kam, hatte Eggers bereits drei Ausgaben seines vierterljährlich erscheinenden Literaturjournals „Timothy McSweeney’s Quarterly Concern“ (kurz: „McSweeney’s“) herausgegeben, begleitet von einer täglich aktualisierten humoristischen Webseite. Die erste Ausgabe mit einer Auflage von 2.500 Exemplaren, die zum Teil von Eggers persönlich verteilt wurden, machte es sich zum Programm, ausschließlich solche Beiträge aufzunehmen, die bei anderen Literaturzeitschriften abgelehnt wurden. Auch wenn diese Vorgabe schnell gelockert wurde (schon bald schrieben namhafte Autoren wie Jonathan Lethem oder Zadie Smith für „McSweeney’s“), so stand sie doch für eine gewisse skeptisch-ablehnende Haltung gegenüber dem elitären literaturkritischen Establishment und für die Absicht, aufstrebenden oder marginalisierten Autoren eine Plattform zu bieten—eine Haltung, die „McSweeney’s“ auch heute noch weitgehend prägt.

Die ersten drei Ausgaben kamen gut an, und Dave Eggers brachte es zumindest in der subkulturellen literarischen Szene New Yorks (er wohnte und arbeitete zu dieser Zeit in Brooklyn) zu einiger Bekanntheit, doch kam der überwältigende Erfolg seiner Memoiren für ihn völlig unerwartet. In ihnen beschreibt er, wie im Abstand von sechs Wochen seine beiden Eltern an Krebs sterben und er mit 22 Jahren zum Erziehungsberechtigten seines 13 Jahre jüngeren Bruders Toph wird. Der Fokus liegt auf Daves außergewöhnlicher Situation, in der er—selbst kaum erwachsen—eine derartige Verantwortung übernehmen muss. Und so wird das Leben der Brüder durchaus auch als muntere Mixtur aus Wettrutschen über die polierten Parkettböden neuer Wohnungen, Frisbeespielen, Arbeit und Schule beschrieben—eine wüste Mischung aus Freiheit und Verantwortung, Trauer und Lebensfreude, Schuld- und Glücksgefühlen. Das Besondere an Eggers’ Memoiren (abgesehen von der ohnehin besonderen Ausgangslage) ist jedoch ihre Form, die in einer ungewöhnlichen Kombination von fiktionalen mit faktualen Elementen zu einer Art postmoderner Version autobiographischen Schreibens wird. Neben explizit erzählenden fiktionalen Momenten und metafiktionalen Einschüben verdankt sich dies vor allem Eggers’ exzessiver Nutzung und Stilisierung des Paratexts.

In „A Heartbreaking Work of Staggering Genius“ macht sich Eggers daran, die Grenzen des Peritexts auszuloten und zu überschreiten. Seitenweise erklärt er, wie sein Buch zu lesen sei (vorzüglich, indem man bestimmte Kapitel überspringe!), liefert eine Liste aller im Text auftauchenden Symbole und Metaphern inklusive Aufschlüsselung, offenbart, wieviel Vorschuss er vom Verlag erhalten hat und lässt den Leser kontinuierlich wissen, dass der Autor sich seiner Selbstreflexivität bewusst ist—nur um diese dann noch einen Schritt weiter ad absurdum zu führen. Ein Beispiel dieser parodistisch überdrehten Selbstbezüglichkeit: „While the author is self-conscious about being self-referential, he is also knowing about that self-conscious self-referentiality.“ Mit diesem elaborierten, postmodern verspielten Peritext versucht Eggers unter anderem, möglichen Kritikern schon avant la lettre den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er erklärt selbst: „As a longtime critic myself, I anticipated all the possible angles a reviewer might take, and incorporated them into the Acknowledgments. So there were no surprises in terms of any reservations or comments anyone made, given that I was much harder on the book than anyone else could possibly be.”

Es war ein Anliegen Eggers’, die größtmögliche Kontrolle über seinen Text zu behalten—auch wenn dieser sich nach Erscheinen von seiner Person löst. Es geschah allerdings das Gegenteil: Eggers musste erfahren, dass der Epitext von ihm nicht kontrollierbar war, egal, wie viele „Vorsichtsmaßnahmen“ er in seinen Text integriert und wie viele Szenarien und Reaktionen er antizipiert hatte. Zunächst lief alles nach Plan. Das Buch erschien, wurde fast einhellig begeistert aufgenommen und entwickelte sich schnell zum Bestseller—Dave Eggers wurde quasi über Nacht zum neuen Superstar der amerikanischen Literatur. Zügig trat er die Taschenbuchrechte seiner Memoiren für 1,4 Millionen Dollar an Vintage ab und erhielt weitere eins-Komma-x Millionen für eine Filmoption. Dieser Mainstream-Erfolg liegt jedoch quer zu dem, wofür er mit „McSweeney’s“ stand und steht, insofern das Journal versucht, einen Gegenentwurf zu großen Verlagen und Literaturzeitschriften zu bilden, Kreativität, Eigensinn und Unabhängigkeit vor Profit stellt und sich damit in der literarischen Subkultur etabliert hat.

Und so wurden dann auch erste Stimmen laut, die Eggers des „selling out“, des ideellen Ausverkaufs, beschuldigten. Für Künstler wie Eggers, die sich eher einem alternativen, subkulturellen Publikum verpflichtet und zugehörig fühlen, muss der Vorwurf des „selling out“ wie ein rotes Tuch wirken—zielt er doch darauf ab, dass der Künster sich an den Mainstream verkauft hat, Geld priorisiert und ehemalige Ideale verrät. Eggers reagierte entsprechend empfindlich auf diesen Vorwurf und gab dem „Harvard Advocate“ ein umstrittenes Interview, das als „Selling Out Rant“ einige Bekanntheit erlangte. Er verwahrte sich höchst erregt gegen den Vorwurf, bezeichnete u.a. den Interviewer als „asshole“ und benahm sich durchweg unprofessionell—die Überforderung Eggers’ von seiner Situation und der Einsicht, dass der Epitext seiner Memoiren unkontrollierbar ist, wurde in diesem Interview evident.

Eggers begriff schnell, dass er sich in eine widersprüchliche Situation manövriert hatte und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Er investierte das Geld aus dem Taschenbuch- und Filmoptionsvertrag in sein Unternehmen: Zusätzlich zu dem Literaturjournal entstand ein McSweeney’s Buchverlag, in dem Eggers von nun an all seine Bücher (und die vieler Kollegen) selbst verlegen sollte.

3.

Sein zweites Buch, der Roman „You Shall Know Our Velocity!“ („Ihr werdet (noch) merken, wie schnell wir sind“), wurde mit Spannung erwartet: Würde der Hype, der um die Memoiren entstanden war, durch das zweite Werk eine Art Bestätigung erfahren?  Würde Eggers sich von den Vorwürfen des „selling out“ befreien können? Wie würde er sich ohne Unterstützung eines großen Verlags auf dem Buchmarkt positionieren? Wie würde er versuchen zu beweisen, dass er noch immer ein Außenseiter des Betriebs war, fernab des Mainstreams? Immerhin bezogen „McSweeney’s“ Distinktionsgewinn und Alleinstellungsmerkmal aus der Idee eines expliziten Andersseins ihres subkulturellen Status’, dessen Glaubwürdigkeit wegen der umstrittenen Rezeption von „A Heartbreaking Work of Staggering Genius“ stark gelitten hatte.

Mit seinem neuen Roman versuchte Eggers nun einen interessanten Spagat zwischen Mainstream und Subkultur: Der neue McSweeney’s Buchverlag druckte eine Auflage von 50.000 Stück, wovon 10.000 exklusiv über die McSweeney’s-Webseite verkauft und die restlichen 40.000 an unabhängige Buchläden verteilt wurden, die bereits zuvor McSweeney’s-Produkte im Programm hatten. Eggers kreierte damit eine Aura der Exklusivität um sein Buch und generierte nebenbei eine unbezahlte Werbekampagne, da alle großen Zeitungen über die ungewöhnliche Publikationsstrategie berichteten. Die Entscheidung, den Roman in seinem Verlag zu veröffentlichen und so auf einen Vorschuss, eine geplante Werbekampagne und eine flächendeckende Distribution zu verzichten sollte die Anhänger Eggers versöhnen, die ihn des „selling out“ bezichtigten. Er ließ es sich jedoch nicht nehmen, den berüchtigen Literaturagenten Andrew Wylie (der im Betrieb auch „der Schakal” genannt wird) zu engagieren, der ihm millionschwere Auslandslizenzen und einen weiteren Taschenbuchvertrag mit Vintage sicherte. So versuchte Eggers eine Balance zu finden zwischen Mainstream und Subkultur, zwischen unabhängigen und großen Verlagen, zwischen geplanten Kampagnen und Mundpropaganda. Die Literaturwissenschaftlerin Sarah Brouillette kommentiert dies als Eggers’ „haphazard and confused wish to attain cultural capital and wide-scale recognition, while at least seeming to pose some continued challenge to the usual publishing system he had previously spoken against”. Indem Eggers „You Shall Know Our Velocity!“ in Eigenregie veröffentlichte, behielt er naturgemäß eine größere Kontrolle über den Text als bei seinem Debüt. So waren nach Erscheinen des Romans Korrekturen und Anmerkungen auf der McSweeney’s-Webseite zu finden—der Text (und seine Leser) wird so an den Verlag rückgebunden, die Webseite selbst wird zum Paratext. Eggers ging jedoch weiter und veröffentlichte eine Neuauflage des Romans, umbenannt in Sacrament, der in dieser Fassung ein zusätzliches, ca. 50 Seiten langes Kapitel enthält, dass die Glaubwürdigkeit des Originaltextes komplett in Frage stellt. Das neue Kapitel wurde auch auf der Webseite veröffentlicht als Zugeständnis an jene Leser, die nicht auch noch die veränderte Neuauflage erwerben wollen. Der Vintage Verlag, der die Taschenbuchrechte hält, veröffentlichte im selben Jahr eine Ausgabe, die zwar das neue Kapitel enthielt, aber wieder in „You Shall Know Our Velocity!“ zurückbenannt war. Eggers schuf also einen Text, der mithilfe seines eigenen Verlags und seiner Webseite Metamorphosen durchlief und scheinbar willkürlich verändert werden und wachsen konnte. Damit bewies er die Flexibilität, Vielseitigkeit und vor allen Dingen kreative Freiheit, die eine derartige verlegerische Unabhängigkeit einfacher zu fördern vermag als ein großer, schwerfälliger Konzern. Zudem wurde die grundsätzliche, letzlich aber wohl auch nicht zu beantwortende, Frage aufgeworfen, ob große Verlage Literatur überhaupt gerecht werden können oder ob sie nicht vielmehr das künstliche, sozusagen willkürliche Ende eines Textes erzwingen, der sich unter anderen Bedingungen möglicherweise noch verändern würde.

„You Shall Know Our Velocity!“ erzählt die Geschichte zweier Freunde, Will und Hand, die innerhalb einer Woche um die Welt fliegen, um dort 80.000 Dollar an Menschen zu verteilen, von denen sie nach eigenem Gutdünken entschieden haben, dass sie es „verdient haben“. Als „Gage“ für ein Foto, das auf die Verpackung von Glühbirnen gedruckt wurde, ist Will eher zufällig an das Geld gekommen. Traumatisiert vom Tod eines Freundes, überfordert von seiner eigenen Omnipäsenz auf Glühbirnenverpackungen und peinlich berührt ob des vielen Geldes, für das er praktisch nichts getan hat, entschließt er sich zu der chaotischen Weltreise mit Hand. Es liegt auf der Hand, gewisse Parallelen zwischen dem Roman und dem real existierenden Dave Eggers zu ziehen: Tod als Trauma und Handlungsauslöser, eine gewisse Beschämung, unverhältnismäßig viel Geld verdient zu haben, und ein damit verbundenes Bedürfnis, es für etwas Sinnvolles einzusetzen.

4.

Im Gegensatz zu seinem Protagonisten sind Dave Eggers’ Investitionen wesentlich nachhaltiger. Mit dem Geld seiner Memoiren gründete er nicht nur den verlegerischen Arm von McSweeney’s, sondern auch die gemeinnützige Organisation 826 Valencia, eine Mischung aus Schreibwerkstatt und Hausaufgabenbetreuung für sozial benachteiligte Kinder, die mittlerweile mehrere Dependenzen in den USA und im Ausland betreibt. Die Organisation bildete den Grundstein für Eggers’ soziales Engagement; mit Voice of Witness entstand eine weitere gemeinnützige Organisation in Form einer Buchreihe. Als Imprint bei Mc Sweeney’s werden hier „oral histories“ (Zeitzeugenberichte) veröffentlicht, die über Menschenrechtsverletzungen in den USA und im Ausland informieren und aufklären wollen.

Parall dazu entwickelte sich auch Eggers‘ Schreiben weg von dem verspielt-postmodernen, hyper-selbstbezüglichen, solipsistischen Stil seiner beiden ersten Werke hin zu ernsteren Themen und einer eher sachlichen Schreibweise. Durch sein Engagement für Voice of Witness stieß er auf die Geschichte Abdulrahman Zeitouns, einem syrischen Einwanderer, dem im New Orleans nach dem Hurrikan Katrina große Ungerechtigkeit seitens der Regierung erfährt. Mit Zeitoun bannte Eggers diese Ungerechtigkeit auf Papier und erhob neben einer spannenden, unglaublichen Geschichte auch scharfe Kritik am Scheitern der Bush-Regierung und dem Umgang mit Einwanderern muslimisch geprägter Länder im Zuge der höchst umstrittenen Patriot Act Gesetze. Mit „What Is the What: The Autobiography of Valentino Achak Deng” (“Weit Gegangen. Das Leben des Valentino Achak Deng“) lenkte Eggers anhand einer „autobiography-by-proxy“ den Fokus auf den Bürgerkrieg im Sudan und die traumatischen Erlebnisse der sogenannten “Lost Boys” (Kriegswaisen). Auch hier prangert Eggers nicht nur die Menschenrechtsverletzungen im Sudan an, sondern zeigt parallel, dass auch die amerikanische Gesellschaft noch immer von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt durchzogen ist.

Gleichwohl blieb und bleibt Eggers seinen Anfängen treu. Auch wenn es längst keinen Außenseiterstatus mehr in Anspruch nehmen darf, nimmt das McSweeney’s-Konglomerat doch noch immer eine Sonderstellung in der amerikanischen Verlagsszene ein. Der Name steht weiterhin für Unabhängigkeit und außergewöhnliche, „handgemachte“ Projekte. Auch wenn das Literaturjournal „Timothy McSweeney’s Quarterly Concern“ mittlerweile zahllose Beiträge namhafter Autoren veröffentlicht hat, ist es seinem anfänglichen Credo treu geblieben: aufstrebende oder marginalisierte Schriftsteller finden hier noch immer eine  Plattform. Nach wie vor wird jede Ausgabe des Journals komplett neu gestaltet. Unter den ungewöhnlichsten Nummern finden sich beispielsweise dreidimensionale Ausgaben in Form eines Kopfes, eines Kartenspiels, eines Stapels von Werbebriefen oder loser Zettel in einem Kasten. Besonders diese Ausgaben wurden, wenig überraschend, schnell zu Sammelobjekten in der McSweeney’s-Fangemeinde und unterstrichen abermals Eggers’ Absicht, die Grenzen des Textes und des überhaupt Publizierbaren auf die Probe zu stellen. Auch die Literaturkritik zeigte sich beeindruckt und belohnte das Journal mit Preisen sowohl für das Design als auch für den literarischen Inhalt.

Mit dem Magazin „The Believer“ wuchs die McSweeney’s-Familie 2003 weiter. Herausgegeben unter anderem von Eggers’ Frau, der Schriftstellerin Vendela Vida, handelt es sich um ein Kulturjournal mit Beiträgen und Rezensionen zu Kunst, Literatur, Film und Musik. In der ersten Ausgabe wurde in einem langen, programmatischen Editorial erklärt, eine grundsätzlich positive und unvoreingenommene Haltung gegenüber allen Werken, die behandelt werden, einnehmen zu wollen. Damit versucht der Believer einen Gegenpol zu etablieren zu einer Rezensionslandschaft, die von zunehmender Gehässigkeit und Missgunst gekennzeichnet ist—eine Entwicklung, die auch Eggers im Epitext seiner Memoiren erleben musste und nun aktiv bekämpft.

Mit „A Hologram for the King“ („Ein Hologramm für den König“) legt Eggers 2012 einen Roman vor, der sich mit dem Mythos des amerikanischen Traums beschäftigt, der hier der Globalisierung zum Opfer fällt. Alan Clay arbeitet sich hoch vom Vetreter zum Manager einer Fahrradfabrik, die auf Grund seiner Entscheidung Teile der Produktion nach China zu verlagern schließlich in Konkurs geht. Nun versucht er wieder Fuß zu fassen indem von einer IT Firma beauftragt wird, vor dem Saudi-Arabischen König Abdullah eine Präsentation zu halten, um ihn für einen Auftrag zu gewinnen: die technische Versorgung der King Abdullah Economic City. Diese (real existierenden) Stadt, die mitten in der Wüste Saudi-Arabiens entsteht, wird bei Eggers zu einem grotesken Ort, an dem Alan mit seinen viel jüngeren Kollegen in Beckettscher Manier auf den König wartet.

Eggers’ jüngstes Werk, der Roman „The Circle“ (2013), entwirft eine nicht allzu ferne Dystopie, in der eine Art Mega-Google alle bestehenden sozialen Netzwerke, Suchmaschinen und Online Shops zu einem globalen, dem titelgebenden „Circle“ vereint. Dies geht einher mit totaler Datenspeicherung und einer mit Überwachungskameras und  -drohnen kontrollierten Welt: Ein Orwellsches Szenario also, extrapoliert aus bedenklichen medientechnologischen Entwicklungen unserer Gegenwart. Auch wenn die Rezensionen durchwachsen sind, so wird doch allgemein das soziale Engagement und die Aktualität hervorgehoben, die Eggers mit seinem Roman trifft.

Verrisse dürften Dave Eggers 14 Jahre nach seinem Debüt kaum noch irritieren. Zum einen hat er sich in vergangenen Jahren (zumindest in den USA) als Bestsellerautor etabliert. Zum anderen fügen sich seine Werke nun in einen viel breiter entfalteten Epitext, der aus seinem Verlag, seiner gemeinnütziger Arbeit und diversen Seitenprojekten besteht. Eggers und seine Werke sind nicht ohne McSweeney’s zu denken—wie auch umgekehrt. Aus einem überforderten, ins Rampenlicht gestolperten Autor, der mit dem Vorwurf des „selling-out“ zu kämpfen hatte, ist mittlerweile ein erfolgreicher Literatur-Unternehmer geworden, der zwar im Mainstream der amerikanischen Verlagsszene angekommen ist, hier aber eine originelle Nische besetzt: McSweeney’s gilt noch immer als jung und cool, unabhängig und anders, experimentell, verschroben und verspielt. Dave Eggers hat es geschafft, seine Glaubwürdigkeit zu bewahren, seine Anhänger kontinuierlich zu begeistern und sich nebenbei als Philantrop und soziale Stimme neu zu erfinden.

Literaturhinweis

Sarah Brouillette: “Paratextuality and Economic Disavowal in Dave Eggers’ You Shall Know Our Velocity“.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

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Dave Eggers: Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität. Eine wahre Geschichte.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Leonie von Reppert-Bismarck und Thomas Rütten.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2003.
560 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3426622815

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Dave Eggers: Ihr werdet (noch) merken, wie schnell wir sind.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006.
496 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-10: 3426195860

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Dave Eggers: Weit gegangen. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen Englisch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008.
765 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783462040333

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Dave Eggers: Zeitoun.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011.
365 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783462042993

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Dave Eggers: Ein Hologramm für den König. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Klaus Timmermann.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013.
348 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783462045185

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Dave Eggers: The Circle.
Alfred A. Knopf, New York 2013.
504 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9780385351393

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