Lyrik zum Lachen

Über komische Gedichte und ihre Beliebtheit

Von Dieter LampingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dieter Lamping

Für den Zöllner
zum 24.2.2014

„Von Humor und Lyrik“ ist ein Essay von Karl Kraus aus dem Jahr 1921 überschrieben. Schon im ersten Satz erfährt der Leser alles Wichtige zum Thema: „In diesem Sommer“, schreibt Kraus, „habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, die überwältigende Humorlosigkeit der deutschen Literatur von zahlreichen berühmten Beispielen auf mich einwirken zu lassen.“ Zu diesen „Beispielen“ gehörten nicht nur Gerhart Hauptmann und Ludwig Anzengruber, sondern auch Heinrich Heine und die „Dioskuren der Witzlosigkeit“: die „Xenien“-Dichter Goethe und Schiller. Die Beziehung zwischen „Humor und Lyrik“, so darf man die Erkenntnisse von Karl Kraus zusammenfassen, ist zumindest in der deutschen Literatur Beziehungslosigkeit. Am Ende weiß der strenge Richter nur eine Ausnahme zu nennen: seinen geliebten Nestroy, der aber nicht unbedingt unter die Lyriker gehört.

Karl Kraus hat mit seinem Essay ein populäres Vorurteil bestätigt: dass es beim Lesen von Gedichten nicht viel zu lachen gibt. Einiges scheint für diese Befürchtung zu sprechen. Sind Ernst und Pathos nicht schon von Anfang an fest mit der Gattung verbunden, zumal in der Hymne und der Ode? Gibt es nicht eine schier endlose Reihe schwerblütig-seriöser Lyriker von Pindar und Vergil über Dante und Hölderlin bis zu George und T.S. Eliot? Allerdings tritt spätestens mit dem Römer Martial auch ein Dichter auf, der sein Publikum zum Lachen bringen will – natürlich immer auf Kosten anderer, deren Fehler und Mängel er ausstellt. Doch diese Tradition komischer Lyrik, die nicht immer viel Achtung und Beachtung gefunden hat, dürfte das Verständnis der Gattung kaum geprägt haben.   

Komisch, denken viele, sind Gedichte nur, wenn sie misslingen. Man lacht über sie, überrascht und belustigt, wenn sie schlecht sind: eines holprigen Verses, eines verunglückten Reimes, einer schiefen Metapher wegen. Dafür gibt es zahllose Beispiele. Nicht wenige hat die selige Friederike Kempner geliefert. Es sind Gedichte wie dieses:

Poesie ist Leben,
Prosa ist der Tod,
Engelein umschweben
Unser täglich Brot.

Die Freude, die viele Leser bei der Lektüre solcher Gedichte empfinden, ist Schadenfreude. Sie war in diesem Fall so groß, dass Friederike Kempners Gedichtbände eine Zeit lang Bestseller waren.

Sich über schadhafte Verse lustig zu machen und sie dem Gelächter preiszugeben, ist das Geschäft von Parodisten. Ihnen geht es, als literarischen Literaturkritikern, immer darum, künstlerisch Misslungenes und Zweifelhaftes mit den Mitteln der Komik zu kritisieren. Die Liste der Parodisten ist lang – sie reicht in der neueren deutschen Literatur etwa von Goethe („An den Kuchenbäcker Händel“) bis zu Robert Gernhardt („Über Vergänglichkeit“). Viele Parodisten waren Lyriker nur, insofern sie die Lyrik anderer parodiert haben. Objekte ihrer komischen Kritik sind aber nicht allein die Kempners aller Zeiten und beiderlei Geschlechts. Einer der meistparodierten deutschen Autoren ist bis heute, nicht ganz zu Unrecht, Friedrich Schiller.

Natürlich gibt es auch absichtlich komische Gedichte, die die eigentliche Lyrik zum Lachen ausmachen. Neben der Parodie gehören zu ihr allem Gattungen wie das satirische Epigramm und das Nonsensegedicht. Beide haben eine eindrucksvolle Geschichte, auch in der deutschen Literatur. So hat Martial große Nachfolger von Lessing bis Erich Kästner gefunden. Christian Morgenstern und Joachim Ringelnatz sind Meister des lyrischen Unsinns geworden. Damit ist aber der ganze Bereich komischer Lyrik noch lange nicht ausgemessen. Fabeln und Grotesken wären etwa noch zu nennen, Fastnachtsverse und allerlei Gelegenheitsdichtung. Selbst eine scheinbar zutiefst englische Gattung wie der Limerick hat sich in der deutschen Literatur etabliert. Die klassischen Limericks von Edward Lear etwa hat Hans Magnus Enzensberger ins Deutsche übertragen.

Komik in lyrischen Gedichten beruht in der Regel entweder auf einem Einfall oder auf einer Sprachverwendung, die zum Lachen reizen. Komische, nicht selten witzige Einfälle kennzeichnen vor allem das satirische Epigramm. So ist es beispielsweise in den wenigen Gedichten, die Georg Christoph Lichtenberg, als Lyriker zur linken Hand, geschrieben hat, wie die „Grabschrift auf Herrn B.“:

Hier liegt
und rezitiert nicht mehr,
das ist
hier liegt begraben
J. Christoph B…
trotz seines patriotischen Sinnes
mehr eine Anthologie der Deutschen,
als ein Deutscher.
Sein ganzes Leben
war ein Sinngedicht,
denn
Er brachte den klügsten Einfall den
er jemals hatte
ans Ende,
Er starb.
Doch Nein,
er ward vielmehr vergriffen
und wir zweifeln nicht
daß
Er an jenem Tage auf besseres Papier
wieder aufgelegt werden wird. (B 400)

Der komische Einfall, der diesem satirischen Epigramm zugrunde liegt, besteht im herabsetzenden Vergleich eines Schriftstellerlebens mit eben einem solchen Sinngedicht, wie es im 18. Jahrhundert genannt wurde. Lichtenberg spielt dabei mit Gattung und Gattungsbezeichnung. Er imitiert eine Grab- oder Gedenkinschrift, und dieses Epitaph wird, wie schon gelegentlich bei Martial, zum Spottgedicht auf den (vermeintlich) Toten. Anders als im Leben des Herrn B. folgt allerdings in Lichtenbergs Gedicht Witz auf Witz. Dabei wird es auch zum poetologischen Text: zu einem Epigramm über das Epigramm. Das könnte angestrengt wirken, wenn es nicht so gut gemacht wäre, mit leichter Hand. Dass komische Einfälle allerdings nicht auf das Epigramm beschränkt sind, beweisen beispielsweise die „Palmström“-Gedichte Christian Morgensterns oder kleine Erzählgedichte wie „Im Park“ oder „Die Ameisen“ von Joachim Ringelnatz.

Komische Sprachverwendung findet sich zunehmend in moderner Lyrik. Sie ist oft die andere, eher belustigende Seite der viel beschworenen Sprachkrise und der aus ihr entstandenen Sprachexperimente. Mit sprachlichen Normverletzungen hat schon Christian Morgenstern Heiterkeitserfolge erzielt – etwa als er in seinem gleichnamigen Gedicht den Werwolf von einem Dorfschullehrer grammatisch ‚beugen’ ließ:

„Der Werwolf“, sprach der gute Mann,
„des Weswolfs, Genitiv sodann,
dem Werwolf, Dativ, wie mans nennt,
den Wenwolf, – damit hats ein End.“

In diesem Fall kann man sogar bedauern, dass ‚wer’ keinen Plural hat. Morgenstern hätte ihn auch noch deklinierend gemeistert.

Nicht selten verbinden sich auch komische Einfälle mit komischer Sprachverwendung in einem Gedicht – wie in Kurt Schwitters’ zum Klassiker der Nonsenselyrik avanciertem ‚Merz’-Gedicht „An Anna Blume“:

Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe Dir!
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, —- wir?
Das gehört beiläufig nicht hierher!

Wer bist Du, ungezähltes Frauenzimmer, Du bist, bist Du?
Die Leute sagen, Du wärest.

Laß sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht.
Du trägst den Hut auf Deinen Füßen und wanderst auf die Hände,
Auf den Händen wanderst Du.

Der Nonsense hat, unter den Lyriken des 20. Jahrhunderts, viele Anhänger gefunden, bis in die Gegenwart hinein. 1968 hat Günter Bruno Fuchs eine Anthologie „Die Meisengeige. Zeitgenössische Nonsensverse“ zusammengestellt, in der etwa, neben altbewährten Dadaisten wie Hans Arp und Raoul Hausmann und neueren Spaßmachern wie H.C. Artmann und Ernst Jandl, auch sonst eher für ihren Ernst bekannte Lyriker wie Erich Fried, Johannes Bobrowski, Ernst Meister und Paul Celan vertreten sind.

Wer, weniger verdrossen als Karl Kraus, komische Gedichte sucht, wird also leicht fündig. Ihre Zahl ist unüberschaubar. Dennoch haben es nicht viele in den lyrischen Kanon geschafft, im Wesentlichen, neben Wilhelm Busch, bloß Christian Morgenstern und Joachim Ringelnatz. Dafür mag es viele Gründe geben, nicht zuletzt den, dass Komik nicht immer gelingt, Komiker auch nicht unbedingt geschmackssicher sind. In solchen Fällen verweigert der Leser, der das nicht komisch findet, dann einfach das Lachen.

Gleichwohl findet komische Lyrik nicht selten ein großes, treues Publikum, das ihr lange anhängt. So haben etwa Eugen Roths teils humoristische, teils ironische „Ein Mensch“-Gedichte noch immer ihre dankbaren Leser. Manche Verfasser komischer Lyrik werden geradezu verehrt, auch wenn das poetisch nicht recht gedeckt ist. Der letzte, dem das Publikum über Gebühr für seine Lach-Lyrik zugetan war, ist Robert Gernhardt. Sein manchmal nicht eben feiner, eher karnevalesker Witz ist selbst von größeren Dichtern wie dem immer um Pointen bemühten Peter Rühmkorf gerühmt worden.

Warum hat die komische Lyrik so anhängliche Leser? Spaßmacher sind immer beliebt, auch in der Literatur. Sie verbreiten gute Laune und scheinen vor allem das Wohlbefinden des Publikums fördern zu wollen. Ihre Gedichte haben den Charme der Leichtigkeit. Vor allem, wenn sie weniger geistreich als lustig sind, ja einfach nur blödeln, nehmen sie mancherlei Last von den Lesern, auch intellektuelle. Sie ersparen ihnen nicht nur den angeblich gattungstypischen, für manche furchterregenden Ernst der Lyrik, sondern auch jede Art der Anteilnahme. Denn die Freiheit, die sie im Lachen schenken, ist ebenso vital wie kühl, eine heitere, selbstvergnügte Gleichgültigkeit.

Freude machen können sie allerdings nur, wenn sie den Geschmack der Leser teilen, zumindest kennen und bedienen. Auf diese Weise kann dann sogar ein manchmal bitterböser Satiriker wie Karl Kraus zum lyrischen Humoristen werden:

Unsere Post
Dies ist nun hierzuland der Brauch:
die Post ist findig, doch verliert sie auch.
Du beklagst den Verlust von einem Brief?
Du wusstest doch selber, es gehe schief!
Was immer dir widerfährt durch die Post,
ein jeder Verlust hat in sich schon den Trost.
Du gabst einen Brief auf die Post – nun eben:
da hattest du ihn doch aufgegeben.

Literaturhinweise

Karl Kraus: Die Sprache. Hg. von Christian Wagenknecht. Schriften Band 7. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Taschenbuch 1987. Zitat S. 199.

Ralph-Rainer Wuthenow: Deutsche Gedichte 1830-1900. Nach den Erstdrucken in zeitlicher Folge. Epochen der deutschen Lyrik, Band 8. München: dtv 1970. Zitat S. 280 (Friederike Kempner).

Theodor Verweyen und Gunther Witting (Hgg.): Deutsche Lyrik-Parodien aus drei Jahrhunderten. Stuttgart: Reclam 1983.

Georg Christoph Lichtenberg: Schriften und Briefe. Band 1: Sudelbücher Hg. von Wolfgang Promies. München: Hanser 1967. Zitat S. 148 (B 401).

Christian Morgenstern: Gesammelte Werke in einem Band. München: Piper 1969. Zitat S. 207.

Günter Bruno Fuchs (Hg.): Die Meisengeige, Zeitgenössische Nonsensverse. Frankfurt a.M. und Hamburg: Fischer Bücherei 1968.

Kurt Schwitters: Das literarische Werk. Hg. von Friedhelm Lach. Band 1: Lyrik. Köln: DuMont 1998. Zitat S. 58.

Karl Kraus: Gedichte. Hg. von Christian Wagenknecht. Schriften Band 9. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Taschenbuch 1989. Zitat S. 185.

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag gehört zu Signet von Simone Frieling.