Absonderlichkeiten der Politik

Robert Hültners „Am Ende des Tages“ rekonstruiert bayerisch-preußische Verhältnisse und das politische Gelände in den 1920er-Jahren

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die 1920er-Jahre sind uns sehr nah, und dennoch ist in den vergangenen 90 Jahren einiges geschehen, das uns von den Verhältnissen jener Zeit entfernt. Zwar sind die alten Animositäten zwischen Bayern und Berlinern (vulgo Preußen) bis heute nicht verschwunden, aber die Bayern haben sich mittlerweile daran gewöhnt, dass ihre Hauptstadt in Preußen liegt, so wie sich die CSU daran hat gewöhnen müssen, dass eine Preußin heute Kanzlerin ist und nicht mehr der gemütlich Pfälzer mit dem Sinn für Machtverhältnisse.

In den 1920er-Jahren war das noch einigermaßen anders. Da hat sich der Freistaat noch als echter Freistaat gefühlt, der sich nur ungern an das Gängelband der Preußen hat legen lassen. Ob er sich freilich gern die Hauptstadt der Bewegung hat zuschreiben lassen, weiß man nicht so recht. Aber als Rückzugsort für so manch republikfeindliche Leute hat er sich doch hergegeben.
Das mag angesichts des Gefälles zwischen dem modernistischen Berlin und den abgelegenen Arealen bäurischer Existenz im Hochgebirge (ja, noch heute funktioniert dieses Phantasma) auch einigermaßen nachvollziehbar sein. Was gegen dieses merkwürdige Gebilde im Norden – gottlos, kompliziert, diffus, vorlaut und arg schnell, und dann auch noch ohne Kaiser – war, konnte so schlecht nicht sein.

Hültners „Am Ende des Tages“ kehrt nun zurück in jene 1920er-Jahre, in denen die Hüter der Republik ihre größten Feine sein konnten: Er spielt mit historischen Figuren und Vorfällen ebenso wie mit den erfundenen Gestalten, die er in die Szenerie der 1920er Jahre verfrachtet.

Das tut er mit großer Umsicht und Kenntnis – historisch gesehen ist sein Krimi seriös und belastbar. Die desaströsen Strategien der politischen Eliten, die den Untergang der Weimarer Republik maßgeblich befördert haben, bilden die Basis der Geschichte, in der es um verschwundenes Geld ebenso geht wie um ein Fehlurteil gegen einen bayrischen Bauern, der seine Frau erschossen haben soll.

Nach dem verschwundenen Geld, mit dem der Verständigungspolitiker (das war mal ein Schimpfwort) Gustav Stresemann eine krude Auslandsorganisation finanzieren will, forscht ein Berliner Privatdetektiv im tiefsten Bayern. Seine Aufgabe: herauszubekommen, wer dahinter steckt, dass das Flugzeug, das 100.000 Mark ins Ausland schaffen sollten, abstürzte. Das Geld ist jedenfalls verschwunden.

Nazis und alte Freikorpsleute streiten sich um das Geld, das der klammen Nazi-Partei aus der schlimmsten Not helfen soll. Der Adressat hingegen, der auf sein Geld wartet (mit dem er die Vorherrschaft seiner Truppe ausbauen will), droht mit politischen Konsequenzen. Die verdeckten Strategien der deutschen Außenpolitik drohen öffentlich zu werden. Kein Wunder also, dass Stresemann das verhindern will.

Ist nur die Frage, ob ein Privatdetektiv aus dem Norden die rechte Wahl ist, um bayerische Leute auf dem Lande auszuhorchen.

Ganz anders steht es um den eigentlichen Helden des Romans, Paul Kajetan, der sich von den Toten zurückmeldet. Soll heißen, der Mann, der statt seiner tot gemeldet worden ist, war ein rechtsradikaler Kriminalbeamter, der Kajetan an den Kragen wollte und dabei selber drauf ging. Nun taucht Kajetan wieder auf und will sich wieder ehrlich machen. Was auch nach einigem hin und her gelingt.

Er soll sogar wieder in den Polizeidienst aufgenommen werden. Bis die Formalitäten erledigt sind, kann er sich die Zeit mit einem Fall vertreiben, der seit einigen Jahren von einem Anwalt ohne große Fortschritte betrieben wird. Sein Klient sitzt für den Mord an seiner Frau. Der Anwalt, Dr. Herzberg, versucht eine Wiederaufnahme, die ihm bislang aber misslungen ist. Kajetan soll nun den Fall noch einmal untersuchen, um neue Beweise zu finden.

Das gelingt ihm – alles andere wäre auch eine Enttäuschung. Und als Bayer fällt ihm der Zugang zu seinen Landsleuten auch leichter als dem saupreußischen Fremden. Was nicht verhindert, dass die Untersuchungen beider Fälle am Ende auf einen einzigen Täter zielen und die ungleichen Ermittler zur Kooperation gezwungen werden.

Das ist hübsch gemacht, anregend zu lesen und birgt auch einige Überraschungen, was sich für eine so komplizierte Zeit wie die 1920er-Jahre auch gehört. Hültner hat einen echten Kriminalfall der frühen 1920er-Jahre zur Folie genommen und darum herum den zweiten Fall ums Geld und seine ganze Geschichte gebaut.

Wenn man ihm Vorhaltungen machen will, dann sind es zwei: Zum einen ist die Konvergenz der beiden Fälle, dem persönlichen und dem politischen Fall, einigermaßen konstruiert. Man kann das hinnehmen, aber es wirkt eben gewollt. Und zum anderen ist es ein einigermaßen großes Eingeständnis des Autors, dass er am Ende die Ermittlung in das große Geständnis des Manns im Hintergrund münden lässt. Besser ging das Buch wohl nicht zu beenden, was eben auch darauf verweist, dass es echte Beweise in solchen Gemengelagen nicht eben häufig gibt.

Titelbild

Robert Hültner: Am Ende des Tages. Roman.
btb Verlag, München 2013.
316 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783442751853

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