Verlorene Schönheit

Über Georg Hermanns Spaziergang in Potsdam

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Georg Hermanns Potsdamer Stadtbeschreibung von 1926 wurde bereits zu DDR-Zeiten wieder aufgelegt. Umso größer ist die Freude, dieses zugleich elegant geschriebene und kenntnisreiche Buch in einer Neuausgabe zur Hand nehmen zu dürfen. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen wurde es von den Literaturwissenschaftlern Gundel Mattenklott und Moritz Reinighaus. Den Anfang des kleinen Werkes bildet jedoch ein Vorwort mit Erinnerungen des Enkels des einst viel gelesenen deutsch-jüdischen Autors an seinen Großvater, dessen Leben tragisch in Auschwitz endete. Insofern zeugt dieses Buch auch von dem fortwirkenden Vermächtnis Georg Hermanns.

Dieser beabsichtigte ausdrücklich keinen Stadtführer über Potsdam im herkömmlichen Sinn zu schreiben, sondern „Schlendergänge im reinsten Sinne als Amateur, ohne jeden Forschungseifer, nur ganz hingegeben dem Zauber dieser Stadt.“ Hierbei geht es Hermann auch nicht in erster Linie um die Verherrlichung der Hohenzollerndynastie und ihrer Residenzstadt, nein, so wie er sich besonders der Persönlichkeit Friedrich Wilhelm IV. zuwendet, weil er „schwache und begabte Menschen, die im richtigen Augenblick versagen, hoch einschätzt“ wendet er sich bei seinen Spaziergängen dem scheinbar Nebensächlichen, Belanglosen zu. Zwar bekundet er, den Leser nicht kunsthistorisch belehren zu wollen, er flicht aber in seine Betrachtungen immer wieder geistreiche Reflexionen über Potsdamer Bauwerke und Gärten und deren Urheber ein. Dies geschieht scheinbar absichtslos im Vorbeigehen, ist aber in Wirklichkeit ein Kunstgriff des Autors, durch den sich für den Leser die Stadttopografie des historischen Potsdamer Zentrums zunehmend weitet und erschließt. Besonderen Reiz entfalten die Schilderungen des Autors dadurch, dass der heutige Leser mit Georg Hermanns Augen ein intaktes Stadtgefüge sieht, das spätestens seit den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs in dieser Form nicht mehr existiert. Imaginär war dieses Potsdam allerdings schon für Hermann, der sein Büchlein aus der Erinnerung im „grün-goldenen“ Odenwald schrieb.

Seine Erzählweise zielt auch nicht in erster Linie auf konkret Erfahrbares, sondern vielmehr auf den wandelbaren Augenblick mit seinen Stimmungen. So spricht er den Leser direkt an: „Kennen Sie die Mittagsstimmung an den ersten heißen Tagen in Sanssouci hier? Kaum ein Mensch weit und breit. Nur Laub und alle Buntheit und alles Blühen“. Diese wie impressionistisch hingetupften Beschreibungen werden von dem leichten Umgangston des Autors unterstrichen, der den Leser lockt „Kommen Sie hier einmal ins Tor hinein“. Auch das Kleine und das Kleinste entgehen nicht dem Blick des aufmerksamen Flaneurs; mehr als einmal sinniert er darüber, wie das Straßenpflaster ein bestimmtes Gebäude umrahmt oder über die künstlerische Gestaltung der Potsdamer Haustüren: „entweder neu und geschmacklos, oder alt und belanglos“. Gerade dieses Beharren auf der Aussagekraft des historischen Details als Sinnbild für das Große und Ganze macht die unwiderstehliche Anziehungskraft von Hermanns Schilderungen aus.

Titelbild

Georg Hermann: Spaziergang in Potsdam.
vbb Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2013.
183 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783942476829

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