Auf 160 Seiten um die Welt

Folker Reicherts europäische Weltbilder des Mittelalters

Von Marc-André KarpienskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marc-André Karpienski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Großformatig und auf glänzendem Papier gedruckt tritt uns „Das Bild der Welt im Mittelalter“ von Folker Reichert entgegen. Im Stile eines coffee table books erblickt man aufgeschlagen auch sogleich die gesüdete Weltkarte des Fra Mauro von 1459. Dieser ganzseitige Abdruck ist aber einer der wenigen im Buch, ansonsten wird es eher kleiner im Format. Abbildungen von Karten und Buchmalereien sind also nicht das dominierende Element. Das Buch ist kein reines Schaustück zum oberflächlichen Blättern, denn der Text erhält einen breit gefächerten Überblick über die mittelalterlichen Weltvorstellungen. Damit sind geografische, religiöse und völkerkundliche Kenntnisse von der und Bewertungen über die Welt gemeint, die sich in unterschiedlichen Texten, Bildern und Karten des Mittelalters finden.

Folker Reichert ist schon durch einige Veröffentlichungen zum Reisen im Mittelalter oder den europäisch-asiatischen Kontakten hervorgetreten, so dass er als Experte für das Thema des Buches gelten kann. Aus dem Erbe der Antike entwickelt er dabei das christlich-europäische Weltbild des Mittelalters, um dann über Wundergestalten, die auf Karten und in Texten exotische Orte bevölkern, zu den Entdeckungen in Asien zu kommen. Diese gelangen den Europäern im Zuge der mongolischen Invasionen unter Dschingis Khan und seinen Nachfolgern. Nach den Entwicklungen der Kartographie werden zum Schluss Reisen und Entdeckungen des Spätmittelalters thematisiert. Ein nach Kapiteln und einzelnen Schlagworten sortiertes Literaturverzeichnis und ein nach Personen, Orten und Karten (in dieser Reihenfolge) aufgeteiltes Register runden den Band ab.

Für wen ist dieses Werk gedacht? Man kann wohl schreiben: Für den interessierten Laien. Während der halbherzig Interessierte zwar mit den Bildern ein faszinierendes Panoptikum mittelalterlicher Weltdarstellungen erhält, erschließen sich erst im Zusammenhang mit der Textlektüre vollends Sichtweisen und Bedeutungen. Leicht lesbar geschrieben erhält der Leser einen Überblick über die mittelalterlichen Weltvorstellungen. Dabei werden anhand von Leitpersonen und ihren Werken immer neue Facetten verdeutlicht.

Dennoch ist dieses Buch „nur“ ein buntes Überblickswerk. Der Laie findet vieles, was seinen Wissensdurst löscht, aber dem forschenden Historiker wird darbend bewusst, dass es mehr zu erfahren gibt. Es stehen zwar Endnoten am Ende jedes Kapitels, die aber nur die direkten Zitate nachweisen. An manch anderen Stellen wird im Buch nicht weiterverwiesen, wo ich gerne mehr Informationen gehabt hätte, zum Beispiel dort, wo in einem Satz auf die erste Europa-Karte verwiesen wird. Auch ein in Klammern gesetzter Hinweis auf die Abbildungen wäre dort hilfreich, wo Text und Bild durch ein Umblättern getrennt sind. Im Hinblick auf die Nachweise ist jedoch positiv hervorzuheben, dass bei den Beschreibungen der Abbildungen immer der genaue Fundort angegeben ist, was viele andere Werke in diesem Format nicht tun.

Die fortlaufende Erzählung weiß, wie schon erwähnt, zu gefallen, aber für den systematischen Studieneinstieg und das schnelle Nachschlagen ist dieses Buch weniger geeignet. Dies ist aber nur das kleinliche Gemeckere eines Historikers, der auch entsprechende Fachbücher finden und konsultieren kann.

Der erzählende Sprachstil führt manchmal zu launigen Kommentaren („Wieder war es nichts mit der Freiheit des Mannes.“), wenn es zum Beispiel um mittelalterliche Vorstellungen über das Paarungsverhalten von Seidenraupen geht. Manche Wertung verwundert auch, denn ob es nur die „überlegene Tapferkeit“ der Mamluken war, die ihnen zum Sieg über die Mongolen verholfen hat, darf man bezweifeln. Äußerst selten ist ein sprachliches Bild komplett verrutscht, zum Beispiel, wenn von Isidor von Sevilla und seinen Geschwistern, die alle Geistliche wurden, als „geistliche[r] Dynastie“ geschrieben wird, obwohl die Geschlechterabfolge hier kaum passt.

Das gute inhaltliche Gesamtbild wird aus meiner Sicht dadurch getrübt, dass die beschriebenen Leitpersonen sehr ausführlich dargestellt werden und der Nutzen solch weitschweifender Biografien sich nicht erschließt. Nur selten erklären diese, warum die Personen etwas so schrieben oder malten. Auch dort, wo der Fokus von den Personen wegrückt, findet sich diese Vorgehensweise. Bevor man erfährt, dass Reisende zu den Khanen der Mongolen aufgebrochen sind und damit das europäische Wissen um Asien erheblich erweiterten, verfolgt man auf mehreren Seiten die mongolische Eroberung. An diesen Stellen fehlt eine Fokussierung auf das Thema des Buches.

Durchmischt bleibt der Eindruck der letzten beiden Kapitel. Der Abschnitt zum weitgereisten Pilger Arnold von Harff hätte eine breitere Kontextuierung gebraucht, als nur, dass er „repräsentativ“ ist. Auch im letzten Kapitel zu den „Neue[n] Welten in Übersee“ fehlt mir eine Einleitung, die erklärt, warum Sebastian Münster wichtig ist und wie er und seine Arbeit für jene Zeit stehen. So lässt man sich von der interessanten Darstellung gefangen nehmen, aber fragt sich dann doch: Ist das wichtig für das Thema?

Wichtig wäre es gewesen, ein wenig mehr zu den kosmologischen Grundlagen zu schreiben, also zu erklären, in welche Vorstellungen von größeren Strukturen die Erde eingebettet ist. Auch hätten weitere Hinweise zu kulturellen Transferprozessen von Wissen und Vorstellungen oder der Verweis auf gänzlich andere Bilder der Welt den Horizont des Lesers noch einmal erweitert. Ein guter Abschluss wäre ein eigenständiges Schlusskapitel gewesen, das übergreifende Strukturen und Perspektiven aufzeigt.

Als Fazit kann man formulieren, dass der forschende Wissenschaftler dieses Buch nicht unbedingt braucht, aber der historische Laie und interessierte Historiker einen guten Überblick über mittelalterliche Weltbilder erhält, während er dieses Werk auch nach einem harten Arbeitstag mit Genuss liest.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

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Folker Reichert: Das Bild der Welt im Mittelalter.
Primus Verlag, Darmstadt 2013.
160 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783863123703

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