Eine deutsche Affäre

Zwei neue Publikationen beleuchten das Werk von Wilhelm von Scholz

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zuletzt sind in der öffentlichen Kontroverse um die Pflege der Grabstätte auf dem Friedhof des Konstanzer Stadtteils Allmannsdorf des ob seines Verhaltens während der Nazidiktatur umstrittenen Dichters Wilhelm von Scholz (1874-1969) sowie um die Umbenennung des Wilhelm-von-Scholz-Weges in Konstanz teils scharfe Debatten geführt und noch hitzigere Leserbrief-Schlachten im „Südkurier“ geschlagen worden. Der Sohn des letzten preußischen Finanzministers unter Bismarck war in den 1920-er und 1930-er Jahren des letzten Jahrhunderts ein vielgelesener und einflussreicher Schriftsteller. Von 1926 bis 1928 stand er als Präsident der Berliner Akademie der Künste der Sektion Dichtung vor. Allerding war er auch ein Ja-Sager zum Hitler-Regime. So unterzeichnet von Scholz 1933 das Treuebekenntnis zum „Dritten Reich“, entwirft einen Weihespruch für das „Ehrenmal für die gefallenen Nationalsozialisten“ im Innenhof des Konstanzer Rathauses oder huldigt Hitler zu dessen 50. Geburtstag in einem peinlichen Gedicht. Zudem wendet er sich in seinem „Selbstverrat“ nicht nur von seinen Werken wie „Der Jude von Konstanz“ ab, sondern er verleugnet auch jüdische Freunde. Andererseits setzt er sich aber auch für die jüdische Mitbürgerin Rahel bin Gorion ein.

Nun widmen sich zwei neue Publikationen dem Dichter und seinem Werk.

Hendrik Riemer versucht in seiner Monografie „Der Konstanzer Dichter Wilhelm von Scholz (1874-1969)“ eine „biografische Annäherung“ – so der Untertitel –, indem er die „Persönlichkeit“ des fast 70 Jahre in Konstanz in einer „schlossartigen Villa auf großem Parkgrundstück mit ehemals direktem Seeanstoß“ lebenden Dichters, „an den Inhalten seiner Werke“ messen will. Anhand von autobiografischen Äußerungen und „authentischen Texten und anderen Quellen“ beleuchtet Riemer das familiäre Umfeld der Familie des Dichters. Zudem nimmt er dessen „Militär- und Studienzeit“ sowie seine „Bewertung von historischen Gesellschaftsumbrüchen“ in den Blick, um „Rückschlüsse auf sein politisches Selbstverständnis“ zu ziehen. Wenngleich Riemer offenlassen muss, ob von Scholz „ein Nazi war, der das diktatorische gesellschaftliche Herrschaftssystem aus Überzeugung bejahte und unterstützte“, ergibt sich aus seiner biografischen Lektüre der von Scholzschen Werke das Bild eines eitlen, bis nach 1945 uneinsichtigen „nationalkonservativen Chauvinst[en], der in der NS-Zeit seine Wertvorstellungen ausleben konnte, und damit zur Stabilisierung des Systems beitrug.“

Riemer gebührt das Verdienst, mit seiner Studie die Konturen für die „nationalkonservative“ Wertesystem des Dichters Wilhelm von Scholz nicht zuletzt mit vielen Belegen aus Archivquellen profiliert zu haben. Informativ ist auch sein Überblick über die verschiedenen Scholz-Kontroversen nach 1945. Dennoch stellt seine Engführung von Werk und Person mit besonderer Akzentuierung auf die Zeit zwischen 1993 und 1945 nicht zufrieden. Denn nicht nur sind etwa zwei Drittel des von Scholzschen Œuvres vor 1933 entstanden, sondern auch sein Fazit vom uneinsichtigen Opportunisten und nationalkonservativen Chauvinisten, der nach 1945 in der Auffassung verharrte, dass er sich für sein Verhalten während der Naziherrschaft nicht „zu rechtfertigen und zu entschuldigen“ habe, bleibt vor weiterführenden Fragestellungen stehen. Denn Wilhelm von Scholz und sein Werk bieten sich zu einer weit grundsätzlicheren Diskussion an, lässt sich an ihm in der Tat, wie der Konstanzer der Literaturwissenschaftler Klaus Oettinger bereits 1989 formulierte, die „Pathologie der bürgerlichen Intelligenz im 20. Jahrhundert“ erörtern.

Eine solch breite Diskussion unternimmt der von Manfred Bosch und Siegmund Kopitzki herausgegebene Sammelband „Wettlauf mit dem Schatten. Der Fall (des) Wilhelm von Scholz“. Er bietet ein vielstimmiges Bild eines Autors, der auch mehr als viereinhalb Jahrzehnte nach seinem Tod in Konstanz polarisiert. Eröffnet wird dabei die Chance, sich der „Fremderfahrung der Vergangenheit“ zu stellen, wie Aleida Assmann in ihrem glänzenden Beitrag „Formen des Vergessens“ formuliert. Insofern beabsichtigen die 16 Beiträge der Aufsatzsammlung nicht viel weniger als „die bisherige Diskussion kritisch“ zu resümieren, um damit zu einem „produktiven Verständnis eines Phänomens“ beizutragen, das in der Tat „über den Fall von Scholz weit hinausreicht.“

Die wichtigsten biografischen Stationen und einige Aspekte der Konstanzer Rezeption beleuchtet eingangs Arnulf Moser in seinem Beitrag „Wilhelm von Scholz und seine Familie“. Der wechselvollen Geschichte des von Scholzschen Konstanzer Domizils, der Villa Seeheim, gilt Ilse Friedrichs Interesse. Die farbigen Abbildungen geben einen guten Einblick in das Innere der Villa. Wohltuend, dass sich Friedrich nicht scheut, Position zu beziehen und für ein Engagement der „öffentlichen Hand“ zugunsten der Villa plädiert.

Aufschlussreich ist auch der Essay von Dorothea Cremer-Schacht, die den bislang wenig beachteten Komplex „Wilhelm von Scholz und die Fotografie“ erhellt. Denn von Scholz war nicht nur vielfach selbst auf Porträts abgebildet, sondern hatte gut ein Vierteljahrhundert selbst leidenschaftlich fotografiert.

Während Kopitzki die wechselvolle Beziehung zum Dichter Rainer Maria Rilke beleuchtet, skizziert der Konstanzer Autor und Literaturwissenschaftler Hermann Kinder die je anders gelagerten Naturerlebnisse bei Hesse und von Scholz.

Für den Scholz- und den Kleist-Interessierten gleichermaßen Erkenntnisgewinn bringend ist der Aufsatz von David Bruder. Er zeigt anhand der hochpolitischen Kleistrede 1927 zu Kleists 150. Geburtstag zum einen die Widersprüchlichkeit von Scholz zur Weimarer Republik, zum anderen nutzt Scholz diese Rede nach dem Krieg für Rechtfertigungsversuche.

Dicht, luzide und leicht verständlich ist Aleida Assmanns Aufsatz „Formen des Vergessens. Der Fall von Wilhelm von Scholz“ ein Kabinettstück in diesem Sammelband. Aus den fünf Formen des Vergessens, die im durchaus exemplarischen Fall des von Scholz greifen, folgert sie: „Wilhelm von Scholz war kein Ausnahmefall, sondern eher der Repräsentant einer breiten Bevölkerungsschicht. So leicht werden wir diese Geschichte nicht los. Wir brauchen die Vergangenheit nicht nur zur Selbstbestätigung, sondern auch als konkreten Hinweis auf latente Gefahren, denen die Demokratie ausgesetzt ist.“

Auf weitere Beiträge stärker einzugehen muss an dieser Stelle aus Platzgründen leider unterbleiben. Ob der Dramatiker (Elisabeth Erdmenger), die Entnazifizierung durch einen einfachen Verwaltungsakt (Jürgen Klöckler), der „Selbstverrat eines Ästheten“ (Helmut Weidhase), die Beziehung zur Neuklassik (Ralf Gnosa), der Scholz-Preis (Peter Hölzle), die Nachlässe in Marbach (Gunilla Eschenbach) und in Konstanz (Michael Kuthe) im Blick stehen: Der Band bietet ein Kaleidoskop an Informationen zu Glanz und Elend der Intelligenz im 20. Jahrhundert, am Ende in der Dokumentation von Manfred Bosch in Briefen und Manuskript-Auszügen in ihrer schillernden Bandbreite auf den Punkt gebracht.

Letztlich ist der Band nicht nur die ideale Publikation zur gleichnamigen Ausstellung, die 2013 drei Monate im Gaienhofener Hermann-Hesse-Höri-Museum zu sehen war, und zu den ebenfalls 2013 erfolgten Aufführungen des umstrittenen Scholz-Dramas „Der Jude von Konstanz“ am dortigen Stadttheater, sondern darüber hinaus dazu angetan, die „‚Wunde Scholz‘ offenzuhalten, um unserer eigenen intellektuellen Zurechnungsfähigkeit willen“, so die Herausgeber einleitend.

Anmerkung der Redaktion: Die hier überarbeitete und geringfügig erweitere Fassung erschien erstmals am 3. August 2013 in der Online-Ausgabe des „Südkurier“ unter dem Titel „Eine offene Wunde. Zwei neue Bücher über den umstrittenen Konstanzer Dichter Wilhelm von Scholz“

Titelbild

Hendrik Riemer: Der Konstanzer Dichter Wilhelm von Scholz. 1874 – 1969 ; eine biographische Annäherung.
Hartung Gorre Verlag, Konstanz 2013.
281 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783866284494

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Titelbild

Siegmund Kopitzki / Manfred Bosch (Hg.): Wettlauf mit dem Schatten. Der Fall (des) Wilhelm von Scholz.
UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz ; München 2013.
288 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783867643849

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