Die Trennung erst beweist die ungeheure Liebe

Barbara Glaubert-Hesse hat die umfangreiche Korrespondenz zwischen den Liebenden Claire und Iwan Goll sowie Paula Ludwig hervorragend ediert

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Du hast so recht: die Trennung erst beweist die ungeheure Liebe“, pflichtete Claire Goll ihrem Mann Yvan bei. Nahezu ein Jahrzehnt später teilen beide noch immer dieses Gefühl. Nun ist er es, der ihr am 13. September 1933 zustimmt: „Du hast recht: daß man in der Ferne dem geliebten Wesen seines Lebens doch immer nur näher kommt“. Sollte dem tatsächlich so sein, dürften Briefe, die ein Liebespaar einander aus der Ferne senden, als stärkster Ausdruck ihrer Liebe gelten. Ob Claire Goll sich 1933 mit der Wendung „geliebtes Wesen“ angesprochen fühlte und angesprochen fühlen durfte, muss allerdings dahingestellt sein. Denn inzwischen liebte der Verfasser dieser Zeilen längst eine andere. Und seine Frau, wie er dieser Anderen später versichert, schon seit ebenso geraumer Zeit nicht mehr. Es war der 17. Juni 1937, als Yvan Goll Paula Ludwig schrieb: „Seit über 7 Jahren liebe ich Claire nicht mehr.“

Die Briefe, welche die drei Liebenden und nicht immer Geliebten einander sandten, hat Barbara Glaubert-Hesse nun in einer hervorragenden Edition herausgegeben. Sie ist unter dem ein Gedicht Yvan Golls zitierenden Titel „Nur einmal noch werde ich Dir untreu sein“ erschienen und enthält neben den Korrespondenzen einige Tagebuchaufzeichnungen. Zudem werden die Dokumente von der Herausgeberin in einem zweiten Band derart ausführlich erläutert, dass kein (Kommentar-)Wunsch offen bleibt. Schließlich werden beide Bände durch zahlreiche Abbildungen, meist Fotografien, bereichert.

Die Korrespondenz zwischen Yvan Goll und seiner späteren Frau Claire Studer beginnt Anfang 1917, wenige Tage, nachdem sich beide kennenlernten und offenbar sofort in Liebe zu einander entbrannt. Paula Ludwig sollte erst Anfang der 1930er-Jahre in das Leben zunächst Yvan Golls und dann beider treten.

Schon die ersten Briefe, insbesondere diejenigen Golls, sind voller Leidenschaft, wobei er auch eine Metaphorik mit etwas derbem und obszönem Einschlag nicht scheut, wenn er die Geliebte am 18. September etwa als „Du Weib, Du Helle, Du Rote, Du offene Frucht – naßoffen“ anspricht. Bereits am Tag zuvor hatte er im Überschwang des frisch Verliebten, dem alles über die Einheit mit der Geliebten Hinausgehende unwirklich scheint, bekannt: „Nichts ist außer Dir. Nichts kann mehr ohne Dich sein.“

Da lässt sich schon ahnen, dass die Realität des Zusammenseins derlei Schwärmerei schwerlich wird standhalten können, wie denn die Tagebucheintragungen Claire Studers alsbald belegen. Am 25. September 1917, also kaum mehr als eine Woche, nachdem sie die Briefe erreichten, vertraut sie ihrem Tagebuch die „Erkenntnis fürchterlicher Einsamkeit“ an. Der Geliebte habe sie „durch seinen Schlaf verraten. Ich wachte und litt über ihn hinweg. Er hat mich der Nacht preisgegeben. O großer Betrug zu glauben, daß die Nähe eines Zweiten Geborgenheit bedeute, nur größeres Bewusstwerden der Verlassenheit.“ Und bald darauf beklagt sie, dass sie „seit Tagen“ vergeblich auf „seine Seele“ warte, jedoch „nur Zärtlichkeit der Hand“ empfange. Zudem habe er sie „ziemlich plump“ aufgefordert, zu gehen. „Das erste Mal seit 6 Monaten. Also so weit sind wir. Hinter d. Maske! Ja natürlich, wenn man nichts Positives geben kann!“ Claire Studer, offenbar todunglücklich in und mit ihrer Liebesbeziehung, wird von einem „Ekel an ihm, an mir an der Welt“ überwältigt, sodass sie Anfang Oktober an zwei aufeinanderfolgenden Tagen nur das eine Wort „Verzweiflung“ niederzuschreiben vermag. Dann aber, zwei Wochen darauf, ändert sich das grundlegend. Sie empfindet ihre Liebe zu ihm nun „täglich tiefer. Ich möchte mich nicht zu sehr in ihm verlieren damit wenn es einmal auch um seinetwillen sein müsste ich mich aus ihm befreien kann.“

Claire Studers Tagebucheintragungen scheinen unmittelbarer, offener und ehrlicher – mit einem Wort: authentischer – als die kunstvoll gedrechselten Briefe, die sie aneinander richteten. Zumal diejenigen Iwan Golls erwecken nicht selten den Eindruck, sie seien auf Effekt angelegt.

Noch im gleichen Monat schlossen sie in Claire Studers Tagebuch einen ‚Ehevertrag‘. Zunächst schrieb Claire Studer selbst, wobei sich die auf die Namen Clarissa Liane getaufte Tagebuchführerin bei ihrem zweiten Vornamen nennt:

„Heute Abend 7 Uhr heirateten Liane u. Iwan. Liane schwor Iwan folgendes:
Ich schwöre Dir Dich nie zu verlassen; denn ich würde mich damit selbst verlassen.
Ich schöre Treue; denn nur so kann ich mir selbst treu bleiben.
Ich will Dich jeden Tag tiefer erkennen um Dich mehr zu lieben zu können; hilf mir deshalb jede Stunde mich selbst zu erkennen.
Ich will immer neben Dir gehen, ganz gleich wie Dein Weg sein wird; denn ich glaube an Dich u. Deine Liebe (ewig im Sinne der Menschen; denn das ist nur kurz.)“

Darunter setzte Iwan Goll die nicht weniger emphatischen Zeilen

„Darauf schwor Iwan Folgendes:
Ich nehme Deinen Schwur an: denn Dein Schwur ist der meine.
Ich will Dich führen, zu Dir selbst zurück: denn das ist gerade der Weg zu mir.
Ich will Dein Mann sein, weil ich an Dich glaube: Du tiefe, Du wahre, Du große Frau. Du Dichterin. Du Liebende.
Ich bin Dein, auch wenn ich gestorben bin. Iwan“

Dieser Ehevertrag war natürlich nicht rechtsgültig und auch nicht auf Rechtsgültigkeit angelegt. Es handelte sich vielmehr um ein ritualisiertes Liebes- und Treueversprechen, das auf diese Weise bekräftigt wurde. Tatsächlich heiraten sollten beide erst vier Jahre später im Juli 1921.

In Zeiten der Trennung wird die Korrespondenz zwischen ihnen nicht selten von Liebesschwüren getragen, wobei diejenigen Claire Golls nun nicht selten ebenso auf Effekt angelegt zu sein scheinen, wie die seinen bereits zu Beginn ihrer Liebe. „ohne Dich wehe ich wesenlos durch die Stadt, an den Menschen entlang“, lautet etwa eines ihrer Liebesbekenntnisse. Selbst ihre gelegentliche Untreue weiß sie noch in eine Liebesbeteuerung zu kleiden, indem sie ihm versichert, „wenn ich Dir ab und zu untreu bin, dann wirklich nur aus Verzweiflung, weil ich Deine segnenden Arme nicht um mich spüre.“ Dies schrieb sie Mitte der 1920er-Jahre.

1931 sollte von Seiten Iwan Golls eine ernsthafte Untreue in die Liebesbeziehung einbrechen und sie schließlich zerstören. Man muss es wohl so sagen, auch wenn Claire und Iwan Goll in den 1940er-Jahren gemeinsam vor den Nazis nach New York flohen.

Scheinbar ganz unverfänglich erzählt Yvan Goll seiner Frau am 22. Februar 1931, er habe in Berlin, wo er sich zu dieser Zeit aufhält, ein „seltsames Bauernmädel, Tochter eines Sargtischlers“ mit „ziemlich holzschnitthafte[m] Kopf“ kennengelernt. Zeilen, die jeden Gedanken daran, er könne sich Hals über Kopf in die so wenig vorteilhaft porträtierte Paula Ludwig verlieben, abwegig erschienen lassen und wohl auch sollen. Denn dass er bereits zwei Wochen darauf zu Paula Ludwig zog, lässt vermuten, er habe da schon Feuer gefangen gehabt. Auch wenn zunächst eine „Krankheit“ Golls als Grund für den zunächst wohl nur als kurzzeitig geplanten Umzug herhalten muss. Seiner offenbar um die Gesundheit ihres Mannes fürchtenden, aber bezüglich der Liebesbeziehung zwischen ihm Mann und Paula Ludwig völlig ahnungslosen Frau schreibt er, es sei „wirklich nicht ratsam, daß Du jetzt nach Berlin kommst.“

Vergleicht man die Briefe, die Yvan Goll an beide Frauen richtete, erscheint es geradezu frappierend, wie sehr sich die Liebebekundungen, die er nun seiner Geliebten schreibt, denjenigen ähneln, die er vor Jahren an seine Frau richtete. In anderer Hinsicht allerdings unterscheiden sich die Korrespondenzen, die der Mann mit beiden führte, ebenso grundsätzlich. So adressiert er Paula Ludwig etwa als „entzückend Mütterliche“, während Claire Goll ihre Briefe auch schon mal mit „Dein Kind“ unterzeichnete. Yvan Goll wiederum verehrt Paula Ludwig nicht nur als „Heilige“ und „ Mütterliche“, sondern vermännlicht sie auch öfter, indem er sie nicht nur mehrfach als „Geliebter“ adressiert, [Herv. R.L.] sondern sie ausdrücklich dafür bewundert, dass ihre Sicherheit „immer männlicher“ werde, um sie allerdings im gleichen Brief – er ist vom 5. Oktober 1932 – wenige Zeilen später auch mittels Femininum als Frau anzusprechen und als schwach zu charakterisieren, indem er sie „Liebste, Ärmste, Traurigste“ nennt. Es lässt sich gar nicht übersehen: Zeichnet er sie stark, so benutzt er die männliche Anrede, zeichnet er sie hingegen schwach, die weibliche. So wird er es auch später halten. In einem Brief aus dem Jahr 1933 etwa lobt er ihre „männlich raue Dichtung“ und wiederum ein Jahr später nennt er sie „tapferer und trotziger Räuber, Eroberer, Befehlshaber, Empörer, Beglücker, Entführer…“. Sich selbst wiederum verweiblicht er. Wenn er sich ihr schwach zeigen will, nennt er sich mehr als nur einmal „dein Mädchen“ oder gar, wie in einem Brief aus dem Juni 1937 „das Mädchen, das Unmännliche, das Untätige, der lächelnde Schatten: das Gegenteil deiner Natur, deines Bluts, deiner Erde.“ Darum rät er ihr, sich von ihm abzuwenden. Dies allerdings in der offensichtlichen Hoffnung, dass sie diesem Rat nicht folgen möge. Wie sehr ihm das Weibliche als das schwache, duldende und passive Geschlecht beziehungsweise Prinzip gilt, macht auch ein, wiederum an sie, gerichtetes Bekenntnis aus dem April des gleichen Jahres deutlich: „Ich hätte eine zarte gehorchende Frau werden müssen, in ein herrschendes Schicksal ergeben.“ Doch gelten ihm ‚männliches‘ und ‚weibliches‘ Prinzip in einer Person durchaus als vereinbar, mehr noch, die Vereinigung beider Prinzipien in einer Person veredelt diese. So preist er die Geliebte etwa, sie sei „männlicher wie alle Männer (Und mädchenhafter wie alle Mädchen)“.

Die Liebesbeziehung ihres Mannes zu Paula Ludwig konnte Claire Goll schwerlich lange verborgen bleiben. Wie sehr sie unter ihr litt, bezeugt etwa ihre Klage aus dem Januar 1932, das Glück habe sie „vergessen“ und sie habe „zu viel geweint“. Dennoch versichert sie ihrem Gatten bald darauf, er brauche sich „über nichts zu schämen“, denn er sei „jahrelang gut“ gewesen. Davon könne er „noch zehren“. Doch schon sein nächster Brief verletzt sie so sehr, dass sie den Kontakt zu ihm abbrechen möchte: „Du schriebst: wie Dich meine Briefe immer enttäuschten. Ach, wenn ich Dir sagen wollte welch große Enttäuschung die Deinen nur zu oft für mich waren […] Ich werde Dir nicht mehr schreiben, denn ich will nichts mehr wissen und Dich nichts mehr von mir wissen lassen […] liebe und lebe, frei und unabhängig.“

Doch hielt ihr Groll nicht allzu lange vor. Noch Ende des gleichen Monats, dem Februar 1932, kann er schwärmen „Und o Dein letzter zarter süßer Brief: wie habe ich Lust bekommen, Dich in die Arme zu nehmen“, wobei er Paula Ludwig nicht viel später „Liebste, angebetete Heilige“ anhimmelt.

Yvan Golls literarische Aktivitäten und seinen Einsatz für sein Werk verfolgt Paula Ludwig mit weit kritischerem Blick als dies Claire Goll je vermochte. „O wie lau bist Du! Wenn Deine Sehnsucht und Deine Inbrunst zu Deinem Werk nicht stärker sind – ja dann sind sie nichts wert – dann gebe auch ich alle Hoffnung auf“, hält sie ihm im Juni des gleichen Jahres vor und macht sich darüber lustig, „daß drei erwachsene Männer täglich über 2 Seiten Prosa sitzen und Worte knobeln.“ Sie halte das für „Charlatanerie der Sprache!“ Goll aber lässt sich von den scharfen Worten nicht beeindrucken. Vielmehr gibt er sich mit kaum verhohlener Arroganz als der Überlegene, der großzügig verzeihen kann: „Du wirst heute deine wilden Briefe sehr bereuen. […] Lass dich bei der Hand nehmen, lass dich trösten, schützen, beraten, du Wilde!“ Das klingt nicht eben, als nähme er ihre Kritik sonderlich ernst. Doch steckt Paula Ludwig keineswegs zurück, sondern betont, „ich stehe zu meinen Briefen“, „höchstens“ im „Ton“ habe sie sich „vergriffen“. Er aber mache sich „nicht einmal die Mühe meine Briefe aufmerksam zu lesen um mich richtig beurteilen zu können.“ Woraufhin er, offenbar die Auseinandersetzung scheuend, recht billig versucht sich herauszuwinden: „Liebes Paulchen Nein, wozu noch diskutieren! Nach deinem Brief hast du recht… und ich hab auch recht. Allein wahr ist das Leid!“

Doch nicht nur seine Tätigkeit als Schriftsteller kritisiert sie. Auch für seinen selbstherrlichen und wenig empathischen Blick des Ehebrechers auf die betrogene Frau hat sie nicht das geringste Verständnis und zeigt zugleich, dass sie sich weit besser in die Situation der Ehefrau einzufühlen vermag als er: „Du schwärmst von jenen Frauen, die lächelnd ihren Ehemännern verzeihen – aber sie waren wohl niemals wahre Frauen dieser Männer in des Wortes tiefster metaphysischer Bedeutung. Und eben deshalb verzehren sich Männer neben ihnen in Sehnsucht nach dem Erlebnis, der Geliebten. Was bleibt auch solchen Frauen anders übrig, als es zu erdulden, wollen sie den Gefährten ihres Lebens nicht aus ihrem Leben verlieren. Sie sind schließlich zufrieden wenn sie an seiner Seite bleiben dürfen. Sie nehmen Teil an seinem Schaffen, sie verstehen ihn. Aber dieses Verstehen, diesen Trost und diese Hilfe kann ein Mann bei jeder Frau und bei jedem Freund finden. Dazu bedarf es keiner Ehe.“

Claire Goll beteuert ihm unterdessen, „nie“ habe sie „einem Anderen eine Kritik an Dir erlaubt oder sie gar begünstigt“. Doch „Paula L.“ arbeite nach Kräften „an der Zerstörung des Bildes“, „das Du von mir im Herzen trägst.“ Er aber bleibe ihr „Mann“, „Bruder“ und „Freund.“ Auf diese verzweifelten Zeilen reagiert er mit der gekünstelt wirkenden Phrase „Meiner Seele Töne gehören Dir.“

Erdrückend sind die gewalttriefenden Metaphern, in die er keinen Monat später seine Sehnsucht nach Paula Ludwig kleidet, von der er sich soeben verabschiedete: „Ich habe eine der schrecklichsten Fahrten meines Lebens hinter mir: wie ein Mensch, dem von oben bis unten ein Stück seines Körpers weggerissen wurde, mit einer roten, blutenden, eiternden Wunde, wurde ich in de[m] schwarzen Nachtwagen entführt: von Dir meinem anderen Teil, mit Krallen, Fäusten, weggerissen! Fetzen um Fetzen. Nerv um Nerv, Nagel um Nagel ging ich in einen provisorischen Tod ein, wurde mein gestriges Ich von mir abgezogen.“

Zwar dürfte das Leben Yvan Golls und somit auch das der ihm nahe stehenden Frauen Zeit seines Lebens vom virulenten Antisemitismus in Deutschland überschattet gewesen sein. Mit der Machtübernahme der Nazis wurde der Judenhass jedoch lebensbedrohlich.

Insbesondere die nicht unmittelbar persönlich betroffene Paula Ludwig scheint sich auch nach der Machtergreifung im „Kampf für die Juden“ engagiert zu haben, was Yvan Goll in einem Brief aus dem März 1933 vielleicht etwas egozentrisch als „ein brennendes Bekenntnis zu unserer Liebe“ interpretiert. Er selbst mag in diesem Kampf allerdings nicht (mehr) mittun. „Ich habe genug zuvor gekämpft, geweissagt, gekniet. Heute – bin ich beinahe ruhig geworden. Ich diskutiere nicht mehr. Ich lebe abgewandt und kann nicht mehr kämpfen. Es käme mir nicht in den Sinn, in einem Manifest oder auch in einer Unterredung über die Nazis zu streiten. Versteh, das kann ich nicht mehr, ich bin viel zu hoffnungslos“. Das müssten die „Nichtbetroffene, aber Hellsichtigen“ schon „alleine“ tun. Dabei, so meint er mit einem Anflug eigenen Antisemitismus’, sei es „ein Glück, dass die Nazis, wenn sie schon vom Blut aus antisemitisch waren, ganz radikal vorgegangen sind.“ Denn er wisse, dass andernfalls „90 % der deutschen Juden Überläufer geworden wären, sich hätten taufen lassen, und die Naziuniform mit größerem Stumpfsinn zur Schau getragen hätten als die Arier.“ Auch von den Juden, die zu dieser Zeit, also im Mai 1933 ins Exil gegangen sind, hält der schon seit einem guten Jahr an der Seine lebende Schriftsteller wenig: „Verachtung verdienen noch viele andere Juden. Zu Tausenden sind sie nach Paris gekommen, und sie jammern, und sie weinen“, während sich die Franzosen „rührend“ benähmen, indem sie sie „pflegen“ und „trösten“. Überhaupt scheint es ihm dem Leiden anderer gegenüber an Empathie zu mangeln. „In Barcelona jammern die Verwundeten“, weiß er im September 1938 sehr wohl. „Wir können ihnen nicht helfen“, fährt er mit offenbar nur gelindem Bedauern fort, über das er sich schnell hinwegtröstet, indem er schließt: „Aber wir können – über uns hinaus – das Göttliche retten, indem wir dankbar sind dem voller werdenden Mond und dem seliger machenden Wein.“

Im Oktober 1939 wiederum erwähnt er beiläufig und mit abfälligem Zungenschlag „das Gejammer der Hausfrauen ganz Britanniens“. Er selbst hatte ´gemeinsam mit Claire Goll einen Monat zuvor den sicheren Hafen New Yorks erreicht.

Nach dem Krieg wiederum klagte Claire Goll angesichts der „geizige[n] Habichtskralle von Tante Gaby“ über die jüdischen „Trägern des ‚Goldbazillus‘“, die sie als „Untermenschen“ beschimpft. Hitler habe „so viele aristokratische Juden, so manches Genie, ermordet, und dieses wertlose Gesindel verstand es, sich mit seinem Geld in Sicherheit zu bringen.“ Eine mögliche Kritik ihres Ehemannes antizipierend, der „nach diesen Zeilen (wie schon einmal zuvor) finden“ könnte, „daß das arische Element in mir einem Ausbruch des Antisemitismus Vorschub leistete“, betont sie, „wie stolz ich auf mein jüdisches Erbteil, meine Verwandtschaft mit Christus, bin.“

Yvan Goll sollte die Herrschaft der Nazis nur um wenige Jahre überleben. Er verbrachte sie wieder in Frankreich, dem Land seiner Geburt, in dessen Hauptstadt er 1950 starb.

Etliche Jahre später, Ende der 1950er- und Mitte der 1960er-Jahre wechselten Claire Goll und Paula Ludwig einige Briefe. Nahe sind sie einander allerdings auch nun nicht gekommen. Paula Ludwig starb 1974 in Darmstadt, Claire Goll lebte bis zu ihrem Tode 1977 in Paris.

Mit dem Briefwechsel der drei in einer nicht unkomplizierten Liebestrias gefangenen DichterInnen hat Barbara Glaubert-Hesse eine herausragende Quelle zur Erforschung deren Biografien und Ouvres erschlossen, die sie zudem kenntnisreich kommentiert. Dafür gebührt ihr großer Dank. Eventuell vorhandene Sympathien gegenüber Claire und vor allem Yvan Goll aber vermag die Korrespondenz nicht zu stärken.

Titelbild

Claire Goll / Yvan Goll / Paula Ludwig: »Nur einmal noch werd ich dir untreu sein«. Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Barbara Glauert-Hesse.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012.
1505 Seiten, 68,00 EUR.
ISBN-13: 9783835310469

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