Scharfsinniger Jurist und engagierter Ankläger der NS-Täter

Über Ronen Steinke „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“

Von Norbert KugeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Norbert Kuge

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zum 50. Jahrestag des Auschwitzprozesses hat Ronen Steinke eine Biografie des Mannes geschrieben, ohne den dieser wichtige und bedeutende Prozess, der eine Zäsur in der Strafverfolgung von NS-Tätern in der Bundesrepublik bedeutete, wohl nie eröffnet worden wäre. Trotz dieser wichtigen Rolle ist die Person Fritz Bauer der Öffentlichkeit nahezu unbekannt. Es ist daher nur zu begrüßen, dass mit dieser Biografie im Zusammenhang mit den Berichten über den Prozess an diesen großen Juristen und Streiter für eine zeitgemäße Justiz und Ahndung der NS-Verbrechen erinnert wird. Der im Titel avisierte Auschwitz-Prozess selbst wird allerdings nur kurz im Buch abgehandelt.

Fritz Bauer war zeitlebens in Deutschland als Jurist ein Außenseiter und erhält durch das Vorwort des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, nun posthum gleichsam eine Rehabilitierung und Lob von höchster Stelle. Wer war dieser Fritz Bauer?

1903 in Stuttgart als Sohn des jüdischen Geschäftsmanns Ludwig Bauer geboren, besuchte er ein altsprachliches Gymnasium und legte sein Abitur ab, um dann in Heidelberg Jura zu studieren. Nach nur einem Jahr in Heidelberg setzte er in München und später in Tübingen sein Studium fort und trat dort auch der jüdischen Studentenverbindung „Burg Raueck“ bei. Denn nach den „Eisenacher Beschlüssen“ der Burschenschaften war „Juden und Judenstämmlingen“ die Mitgliedschaft in einer deutschen Burschenschaft verboten. Ein erster privater „Arierparagraf“, wird Fritz Bauer später bemerken. Bereits in dieser Zeit zeigte sich bei ihm eine Haltung, die ihn sein ganzes Leben ausgezeichnet hat:  Seine Religionszugehörigkeit hat er nie öffentlich thematisiert, vielmehr vertrat er die Meinung, dass die Religion eine reine Privatsache sei. Bereits während des Studiums war er politisch in der SPD aktiv und seine Dissertation beschäftigte sich mit der Rolle von Trusts in Deutschland. Eine ökonomisch anspruchsvolle und die Rolle von Trusts durchaus positiv bewertende Arbeit, die ihm eigentlich eine Karriere in der Wirtschaft garantiert hätte. Später hat er dann seine Meinung über die Rolle und Bedeutung von Trusts und Kartellen geändert, sie eher marxistisch, also kritisch beurteilt. Bauers Interesse und Neigung galt der Strafrechtspraxis und er wurde mit 27 Jahren einer der jüngsten Amtsrichter in Deutschland. Daneben war er aber auch weiter politisch aktiv, hielt Reden und engagierte sich in der SPD, wo er unter anderem mit Kurt Schumacher zusammenarbeitete und die Saalschutz-Truppen des Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold in Stuttgart leitete. Schon damals war er ein Außenseiter innerhalb der Justiz und er selbst bezeichnete die politische Einäugigkeit der damaligen Justiz als juristische Ouvertüre der NS-Herrschaft. Unmittelbar nach der Machtübernahme der Nazis wurde Bauer verhaftet und kam erst in das KZ Heuberg und danach in ein Gefängnis, wo er nach sieben Monaten entlassen wurde, nachdem er vorher ein Treuebekenntnis zur neuen Regierung unterzeichnet hatte. Nach der Entlassung war ihm natürlich der Justizapparat verschlossen und er arbeitete notgedrungen in der Stofffirma des Vaters mit, bevor er 1936 nach Dänemark emigrierte.

Steinke beschreibt ausführlich die Bemühungen Bauers, in Dänemark als Rechtsanwalt, am Gericht oder an der Uni arbeiten zu dürfen. Trotz guter Kontakte blieben ihm diese Möglichkeiten verschlossen, da in Dänemark zu diesem Zeitpunkt die Emigranten durchaus kritisch gesehen wurden. Auch ein Bittgesuch an Max Horkheimer blieb erfolglos. Bauer verfasste Artikel für Zeitschriften und schrieb 1941 ein Buch, in dem er seine früheren Ansichten über den Trust revidierte. Nach der Besetzung Dänemarks durch die deutschen Truppen floh er 1943 nach Schweden, wo er unter anderem Willy Brandt und Bruno Kreisky traf und sich mit ihnen anfreundete. In Schweden erlebte er auch das Ende des Krieges.

Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück mit dem dezidierten Wunsch, bei der Errichtung eines neuen demokratischen Staates und beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Justiz mitzuwirken. Obwohl er mit führenden SPD-Politikern bekannt war, wurde seine Bewerbung um den Posten des Generalstaatsanwalts in Hannover abschlägig beschieden. Er musste die Erfahrung machen, dass auch nach 1945 Juden in der deutschen Politik und Justiz nicht erwünscht waren. Schließlich wurde er 1950 Generalstaatsanwalt in Braunschweig, wo er 1952 in einem Prozess gegen den führenden Politiker der damaligen Sozialistischen Reichspartei, Ernst Otto Remer, die Anklage vertrat. Remer hatte bei Auftritten die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 als „Landesverräter bezeichnet, die vom Ausland bezahlt worden seien“. Als der damalige Bundesinnenminister Lehr Strafanzeige erstatte, wollte der Bearbeiter den Fall wegen angeblicher Erfolglosigkeit zu den Akten legen. Als Fritz Bauer von der Sache erfuhr, schaltete er sich sofort ein und übernahm selbst den Fall. Damit wurde er zum ersten Mal über den Bereich der Braunschweiger Provinz hinaus einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Wirksam nutzte er den Prozess, um zu demonstrieren, dass man gegen die ewigen Nazis etwas ausrichten konnte und gleichzeitig würdigte er in der Öffentlichkeit den Widerstand des Attentates vom 20. Juli als herausragende moralische und ehrenvolle Tat.

Ab diesem Zeitpunkt wandelte sich in der Öffentlichkeit die Einschätzung des Attentats vom 20. Juli von einer Ablehnung zu einer Würdigung im Sinne eines moralischen Widerstandes. Noch in einer anderen wichtigen Personalie war Fritz Bauer involviert. Er soll den israelischen Mossad mit Beweismitteln zu Adolf Eichmann versorgt haben, darunter auch dessen Aufenthaltsort in Argentinien. Diesen Lebensabschnitt Fritz Bauers von der Jugend bis zum Generalstaatsanwalt schildert Steinke ausführlich und detailreich und gibt damit ein reiches Bild von seiner Entwicklung. Dass es überhaupt zum Auschwitz-Prozess kam, ist einem Zufall zu verdanken: Ein Journalist schickte dem zwischenzeitlich nach Frankfurt gewechselten Fritz Bauer Papiere zu, die er von einem ehemaligen KZ-Häftling erhalten hatte, der diese Papiere zufällig beim Brand des SS-und Polizeigerichtes in Breslau auf der Straße gefunden hatte. Sie enthielten Namenslisten von Wachmännern, Dokumente über Tötungen und so weiter. Bauer erkannte sofort die Brisanz der Dokumente und schickte sie nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof, der die Zuständigkeit für den Fall festzulegen hatte, da es um einen ausländischen Tatort ging. Der Bundesgerichtshof beauftragte die Staatsanwaltschaft Frankfurt mit dem Fall Auschwitz. Damit hatte Fritz Bauer endlich die Gelegenheit, mit den Ermittlungen zu beginnen, um zumindest für das KZ Auschwitz die Täter vor Gericht zur Verantwortung ziehen zu können. Bauer war zwischenzeitlich nach Frankfurt gewechselt und stand in Frankfurt an der Spitze des größten Strafverfolgungsapparats der Bundesrepublik. Bauer bündelte nun alle Ermittlungen in Sachen Auschwitz in Frankfurt. Einige Staatsanwaltschaften in der Bundesrepublik hatten zwar vereinzelt ermittelt, meist aber lustlos und halbherzig – und in der Regel wurden die Ermittlungen schnell eingestellt. Bauer stellte eine Gruppe von drei jungen Staatsanwälten zusammen, die die Ermittlungen führen und die Anklage im Prozess vertreten sollten. Man fragte bei allen Staatsanwaltschaften im Lande nach, welche Erkenntnisse über Auschwitz vorlägen. Nur wenige antworteten und man schaltete zusätzlich Zeitungen, Radiosender und jüdische Organisationen in aller Welt ein, um Überlebende als Zeugen für den Prozess zu gewinnen. Nach zwei Jahren machten sie 1.500 Zeugen ausfindig, von denen sie dann 250 in den Zeugenstand riefen. Bauer selbst blieb während des Prozesses im Hintergrund, er vertrat nicht die Anklage vor Gericht, ließ das Rampenlicht den jungen Staatsanwälten, er agierte im Hintergrund. Er wollte mit diesem Prozess „ eine möglichst hohe aufklärerische Wirkung“ erzielen. Er versuchte auch weitere Verfahren nach Frankfurt zu ziehen, setzte etwa 20.000 DM zur Belohnung aus, um Josef Mengele in Frankfurt vor Gericht zu bekommen, was aber misslang. Bauer vertrat damals die umstrittene Position, dass nicht allein die Ermordung der Juden und anderer Häftlinge das Problem von Auschwitz sei. Er war der Auffassung, „Auschwitz beginnt nicht erst mit den Toten von Auschwitz und Birkenau. Die Leute mussten hingebracht werden, das sind also viele, viele Täter.“ Mit dieser Argumentation lag er aber nicht mit den Frankfurter Richtern auf einer Linie, die zu Recht befürchteten, dass diese Konstruktion automatischer Schuld vom Bundesgerichtshof verworfen würde. „Man setzt das Urteil aufs Spiel“, war die Kritik der Richter. Dabei ging es Bauer weniger um Vergeltung oder Strafe, sondern um Aufklärung und Prävention. Er verfolgte zielstrebig seinen Weg und setzte seine Ziele durch, auch wenn er über seine Auffassung mit anderen in Streit geriet. So überwarf er sich mit Hermann Langbein vom Auschwitz-Komitee.

Der Auschwitz-Prozess war die große Zäsur in der Verfolgung der Nazitäter in Deutschland. Dies ist das Verdienst Fritz Bauers, auch wenn die Urteile, die im Prozess letztlich gesprochen wurden, weder die Opfer, die Zeugen noch die Ankläger zufriedenstellen konnten. Leider kommt der Prozessverlauf selbst bei Steinke eindeutig zu kurz, man hätte gerne mehr über Interna der Anklage und über Probleme während des Prozesses erfahren. Denn gerade dieser Prozess war ja exemplarisch für den Umgang Deutschlands mit der Verfolgung der NS-Täter und erregte auch zu Recht weltweit Aufmerksamkeit. Insofern ist auch der Titel etwas irreführend, denn mit „Auschwitz vor Gericht“ hat der Leser mehr erwartet. Steinke zeichnet insgesamt ein umfassendes Bild von der Person und vom Leben Fritz Bauers, von seiner Herkunft, seinen politischen und rechtlichen Ambitionen, dem Exil und den Problemen bei seiner Rückkehr nach Deutschland, den Auseinandersetzungen um die juristische Verfolgung der NS-Täter und seinen letzten, einsamen Jahren in Frankfurt.

Er verschweigt auch nicht die Probleme Bauers mit seiner vermuteten Homosexualität und er thematisiert ebenso Bauers tragisches Verhältnis zum Judentum. Trotz des Einwandes hinsichtlich des Titels und der Vernachlässigung des Prozesses selbst lohnt es, diese neue Biografie zu lesen, denn man lernt einen Fritz Bauer kennen, wie die meisten Leser ihn wohl noch nicht kannten. Nebenbei erfährt man auch einiges über die Zeitumstände und über die Probleme von engagierten, der Demokratie und der Aufklärung von Verbrechen der NS-Zeit verpflichteten Juristen in der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik. Was kann man mehr von einer Biografie über einen der nicht gerade zahlreichen engagierten und kritischen Juristen erwarten?

Titelbild

Ronen Steinke: Fritz Bauer. oder Auschwitz vor Gericht.
Piper Verlag, München 2013.
348 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783492055901

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