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Heinz Helles erstaunliches Romandebüt „Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich gehe“, „Wir sind schön“, „Es tut mir leid“, „Sie wissen nichts“, „Ich bin da“ – fünf Kapitel, keines länger als 40 Seiten, die zusammen den Roman „Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin“ von Heinz Helle ergeben. Ein Philosoph aus Deutschland fliegt in die USA, wo er an einer dortigen Universität über das Phänomen des Bewusstseins forscht, mit dem Ziel, darüber einen abschließenden Vortrag zu halten. Seine Freundin kommt ihn besuchen, sie verbringen schöne Tage zusammen, doch als sie abreist, ist ihm klar, dass die Beziehung beendet ist.

Das klingt nicht gerade nach einem sensationellen Stoff für einen Gegenwartsroman eines 1978 geborenen Autors, der damit immerhin den Ernst-Willner-Preis 2013 in Klagenfurt gewann. Eine Sensation ist dieses Buch mit einem der originellsten Titel auch nicht, aber ein bemerkenswertes Debüt ist es doch. Heinz Helle, der selbst unter anderem in New York Philosophie studiert hat,  unternimmt erst gar nicht den Versuch, etwas ganz von der eigenen Biografie Entferntes zu schreiben, sondern stellt sich selbstbewusst dem Diktum, dass man (vor allem) als junger Autor nur über Selbsterlebtes schreiben kann. Trotzdem sollte man „Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin“ nicht als autobiografischen Roman missverstehen. In meist kurzen Sätzen, fernab von unnötigem Geschwafel, schreibt Helle über seinen Protagonisten, der scharf und konzentriert zu denken vermag, der vor allem sich selbst exakt beobachtet und der bei allem Wunsch nach Nähe und Empathie letztlich doch konstatieren muss, dass er zu tiefen Gefühlen für andere Menschen nicht in der Lage ist. Immer wieder schweift er gedanklich ab, denkt urplötzlich an Geschlechtsverkehr oder erinnert sich ausführlich daran, wie großartig es war, mit mehreren Freunden ein Fußballspiel zu sehen und danach ausgiebig den Sieg zu feiern.

Beeindruckend sind die Gedanken zu der Tatsache, dass seine Freundin, die bei diesem Spektakel dabei war, ihn nie so gut kennen werde, wie die Fußballkumpels, mit denen ihn auf einer anderen Ebene etwas viel Tieferes verbinde. Ebenfalls sehr bemerkenswert sind die philosophischen Überlegungen, die Heinz Helle einschiebt, etwa wenn sein Protagonist während seines Vortrags zum Thema Bewusstsein folgende Theorie entwickelt, sie aber nur für sich denkt, anstatt sie zu äußern: „… denn eigentlich will ich nur sagen, was offensichtlich ist, was jeder weiß, nämlich: Wenn man während man etwas tut, außerdem denkt, dass man etwas tut, ist man weniger gut in dem, was man tut, weil man ja einen Teil von dem, was man braucht, um zu tun oder zu denken, dafür verwendet zu denken, was tu ich hier eigentlich?“

Und damit ist man beim Prolog dieses schmalen, gehaltvollen Buches, in welchem eine Szene aus einem Jugendfußballspiel geschildert wird: ein Junge muss ausnahmsweise ins Tor, ein Gegner stürmt mit dem Ball auf ihn zu, er hat keine Angst vor ihm. Doch plötzlich beginnt er nachzudenken, seine Souveränität schwindet. Der lapidare Schlusssatz lautet: „Das Spiel endet null zu acht.“

Heinz Helle belegt mit diesem Buch, dass man ambitioniertes literarisches Schreiben lernen kann. Von 2009 bis 2012 besuchte er das Literaturinstitut im schweizerischen Biel. Er kann diverse kleinere Veröffentlichungen vorweisen, wurde mit Preisen und Stipendien gefördert, dann nach Klagenfurt eingeladen, wo er den oben genannten Preis erhielt. Diese Karriereplattform ist noch immer so gut und wichtig, dass – wie im vorliegenden Fall – ein namhafter Verlag das Potenzial sowohl inhaltlich als auch bezogen auf den Buchmarkt erkannt hat. Ohne pointiert witzig sein zu wollen, ohne comedyhaftes Veralbern oder Persiflieren, zeigt Helles kluger Sprachgebrauch, wie Sprache heute verwendet wird, oftmals gedankenlos, sinnentleert und von Floskeln überfrachtet. Der ehemalige Werbetexter Helle, dem Klang und Sprache besonders wichtig sind, hat mit „Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin“ einen sehr modernen, zeitgemäßen und stilistisch kompromisslosen Roman geschrieben, der die Vorfreude auf weitere Texte dieses Autors schürt.

Titelbild

Heinz Helle: Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin. Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
159 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783518423981

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