Eine Erfolgsgeschichte

Anhand der Biografien einiger prominenter Frauen entwirft Barbara Beuys ein Panoramabild des feministischen Aufbruchs zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frauenbewegung gilt als eine der erfolgreichsten sozialen Bewegungen überhaupt, auch wenn selbstverständlich noch immer sehr viel im Argen liegt und Emanzipationsbewegungen ihr Ziel vermutlich nie so ganz und gar und ein für alle mal erreichen. Jedenfalls erstaunt es wenig, dass die Historie der Frauenbewegung von Barbara Beuys als „Erfolgsgeschichte“ erzählt wird. Jedenfalls die, deren erste Welle zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende die Frauen und die Gesellschaft Deutschlands erfasste. Denn Beuys Buch „Die neuen Frauen“ behandelt die Zeit der „Revolution im Kaiserreich 1900-1914“, wie der Untertitel denn doch etwas zu überschwänglich formuliert.

Dass „der Aufbruch der Frauen, die sich als ‚Neue Frauen‘ empfanden“, eine „Erfolgsgeschichte“ war, kann man vielleicht so sehen, auch wenn Vieles, wie etwa das Frauenstimmrecht, nicht erreicht wurde. „Im Rückblick zählen“ – der Autorin zufolge jedenfalls – „die radikal neuen Lebensentwürfe, die Frauenvereine erkämpften und einzelne Pionierinnen lebten“. Da hätte es sich natürlich angeboten, auch die von Beuys ganz verschwiegene Bohemienne Franziska zu Reventlow vorzustellen. Welche Frau ihrer Zeit hätte ein unkonventionelleres Leben geführt? So war es denn auch keineswegs nur „eine bürgerlich etablierte Minderheit, die im offenen Partnertausch, bei dem Männer und Frauen gleichberechtigt waren, ihr Glück suchten und sich nicht um die traditionelle Moral scherte“. Die Verehrung der ledigen Mutterschaft in Kreisen der Schwabinger Boheme und die matriarchats-theoretisch begründete Propaganda der Promiskuität des anarchistischen Psychoanalytikers Otto Gross scheinen der Autorin ebenso unbekannt wie die ‚Freie Liebe‘ der Außenseiter auf dem Monte Verità.

Jedenfalls zeichnet die Autorin die Geschichte der weiblichen „Revolution im Kaiserreich“ anhand der Biografien einiger prominenter Zeitgenossinnen nach, bei denen es sich allerdings nicht immer um Protagonistinnen der Frauenbewegung handelt. Dabei setzt Beuys nicht strikt mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts ein. Vielmehr erzählt nicht weniger als ein Drittel ihres Buches die „Vorgeschichte“, befasst sich also mit den Jahrzehnten vor dem Jahrhundertwechsel.

Beuys schildert die Biografien der Frauen nicht als jeweils in sich abgeschlossene, sondern springt, sofern sie Zeitgenossinnen sind, immer wieder zwischen den Lebenswegen und Schicksalen ihrer rund zwei Dutzend Protagonistinnen hin und her, wobei ihr manches etwas zu anekdotisch gerät. Die Anlage des Buches, die Lebensgeschichten eingebettet in historische Ereignisse parallel zu erzählen, führt zudem zu einigen kleineren Wiederholungen. Im großen Rahmen jedoch folgt sie der Chronologie der historischen Entwicklung.

Manches klingt nur an, wie etwa das 1897 erschienene „Vademekum für Radfahrerinnen“, in dem Beuys zufolge konstatiert wurde, dass das neue Betätigungsfeld der Frauen „das Verhältnis zwischen den Geschlechtern gewaltig verändert“ habe. Doch bleibt die so geweckte Neugierde auf weitere Details unbefriedigt. Etliche solcher Einzelheiten sind nicht von sonderlicher Relevanz. So etwa, dass im Jahr 1900 erstmals eine Frau in Berlin die Lackiererei von Siemens leitete, was „ein großer Schritt Richtung Gleichberechtigung“ gewesen sei, oder dass die Frankfurter „Loge Sokrates“ 1908 einen „großzügig eingerichteten Frauenclub“ schuf. Offensichtlich fiel es Beuys nicht leicht, auf die Veröffentlichung all der von ihr zusammengetragenen kleinen Fakten zu verzichten, wofür man ja durchaus Verständnis haben kann.

Der leichte Ton, den die Autorin anschlägt, ist zwar angenehm zu lesen, doch trifft er nicht immer das rechte Wort. Hedwig Dohms Schriften „aufmüpfig“ zu nennen, nimmt sie nicht ernst genug, sondern verniedlicht sie geradezu.

Einige ihrer Protagonistinnen haben noch immer klangvolle Namen oder dürften zumindest feministisch interessierten Menschen nicht unbekannt sein, wie etwa die genannte Dohm, Helene Stöcker, Helene Lange oder die aus Dänemark stammende Stummfilmschauspielerin Asta Nielsen und die Sozialistin Clara Zetkin. Aber auch Lebenswege weniger bekannter Frauen wie derjenige der unglücklichen Chemikerin Clara Immerwahr, die den Weg aus der Ehe mit dem misogynen Erfinder der Kriegsführung mittels Kampfgas und späteren Nobelpreisträger Fritz Haber erst im Suizid fand, werden nachgezeichnet. Nicht wenige zu ihrer Zeit prominente, inzwischen aber längst vergessene Frauen werden zumindest kurz angesprochen. So etwa Maria Manckes, die in den Jahren von 1893 und 1916 nicht weniger als siebzig – allerdings meist konservative Geschlechterrollen propagierende – Romane für Mädchen schrieb.

Ausführlicher geht die Autorin auf einen der Romane von Gabriele Reuter ein, der stets im Schatten ihres großen Erfolgs „Aus guter Familie“ stand. 1908 literarisierte die der Frauenbewegung nahe stehende Literatin in dem Roman „Das Tränenhaus“ Schicksale von ledigen Frauen ‚in anderen Umständen‘. Aufgrund von Reuters eigener unehelicher Mutterschaft, liest Beuys das Buch als „Schlüsselroman“. Das scheint denn doch zu viel gesagt, wenngleich biografische Inspirationen für den Roman nicht bezweifelt werden sollen.

Besonders positiv hebt Beuys Männer hervor, die der Frauenbewegung nahe standen. Allen voran den Sozialisten August Bebel. Aber selbstverständlich werden auch einige der misogynsten Ausfälle prominenter Zeitgenossen zitiert. So darf etwa Max Plancks Verdikt „Amazonen sind auch auf geistigem Gebiet naturwidrig“ nicht fehlen.

Allzu wenig Beachtung schenkt Beuys hingegen ganz eindeutig dem radikalen Flügel der Frauenbewegung, dessen Protagonistinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann gerade einmal beiläufig erwähnt werden. Etwas ausführlicher gewürdigt wird immerhin Helene Stöcker. Recht eingehend stellt Beuys die „heftigen Diskussionen“ vor, die in der Frauenbewegung um ‚Neue Ethik‘ und ‚Freie Liebe‘ sowie um mögliche Segnungen und Gefahren der Eugenik geführt wurden.

Anlässlich des Kampfes um das Frauenstimmrecht wirft Beuys einen Blick über die deutschen Grenzen hinaus auf die Britische Insel. Allerdings berichtet sie über die dortigen Suffragetten in einem Duktus, der nicht eben von Sympathie zeugt. So beschreibt Beuys Emmeline Pankhurst als „Antreiberin, Heldin und radikale Strategin“, unter deren „autoritärer Führung“ die Suffragetten so lange „aggressive Aktionen“ durchführten, bis Großbritannien „1913 endgültig ein Land im Bürgerkrieg“ gewesen sei. Da sei es nur „verständlich“, dass sich der „Bund Deutscher Frauenvereine“ von ihnen distanzierten.

Überhaupt scheinen der Autorin die deutschen Frauenrechtlerinnen vom gemäßigten Flügel weit näher zu stehen als die Radikalen. Vor allem Gertrud Bäumer wird allzu positiv gezeichnet. Konferiert die Frauenrechtlerin etwa zu Beginn des Ersten Weltkriegs „mit Beamten des preußischen Innenministeriums“, so kann man sicher sein, dass sie sich „auf ganzer Linie durchsetzt“. Ihr Ansinnen bestand allerdings nicht etwa darin, sofort die Kriegshandlungen zu beenden. Derlei pazifistische Bestrebungen, wie sie die radikalen Feministinnen um Augspurg und Heymann vertraten, lagen der Vertreterin des gemäßigten Flügels fern. Vielmehr wollte sie „federführend einen Nationalen Frauendienst aufbauen“, „um in Kriegszeiten alle gesellschaftlichen Kräfte zu bündeln“. Das, so wird ihr Vorhaben von Beuys gelobt, „machte Sinn“. Auch geht sie mit Bäumer völlig d’accord, wenn sie befindet, „der gemeinsame Einsatz aller Frauen setzte voraus, dass während des Krieges in den jeweiligen Ländern auf Aktionen und emanzipatorische Forderungen verzichtet wurde“. Außerdem habe „Die Kriegssituation“ von den Frauen als „Bewährungsprobe genutzt“ werden können.

Die feministischen Pazifistinnen vom radikalen Flügel der Frauenbewegung scheint die Autorin hingegen nur recht widerstrebend zu nennen. Jedenfalls werden sie nur in aller Kürze und nicht sehr positiv erwähnt. Über Augspurg erfährt man etwa, sie sei eine „allseits bekannte und umstrittene Persönlichkeit in der Frauenbewegung gewesen“. Natürlich war sie als prominenteste Vertreterin der Radikalen „allseits bekannt“. Wieso aber wird sie dann auf Seite 337 zum ersten und fast schon letzten Mal erwähnt? Und selbstverständlich war sie umstritten. Welche Feministin ihrer Zeit wäre das nicht gewesen? Gerade sie mit diesem Attribut zu belegen, kann daher nur darauf abzielen, sie als fragwürdig erschienen zu lassen.

Beuys entwirft ein breit angelegtes Panoramabild, das sie aus unzähligen kleinen Mosaiksteinchen zusammenfügt. Man erfährt von ihr auf leichte Art allerhand über die Anfänge der Frauenbewegung im 20. Jahrhundert und legt das Buch mit einem deutlicheren Bild über den Alltag und die Werke der feministischen Protagonistinnen am Vorabend des Ersten Weltkriegs aus der Hand. Wie es Mosaiken jedoch so eigen ist, hat das von ihr entworfene Bild allerdings auch seine Nachteile. Tritt man etwas näher heran, wird es unscharf und wirkt grobschlächtig. Zudem hat es manche fast schon blinde Flecken. Und was die Zeit des beginnenden Krieges betrifft, so mag man Beuys’ Sichtweise kaum teilen.

Vielleicht aber wird durch die Lektüre ein erstes Interesse geweckt, sich mit der einen oder anderen der vorgestellten Frauen, diesen oder jenen Aktivitäten der Frauenbewegung oder bestimmten Sachverhalten näher zu befassen. Dann hat sich Beuys’ Buch durchaus gelohnt.

Titelbild

Barbara Beuys: Die neuen Frauen - Revolution im Kaiserreich. 1900-1914.
Carl Hanser Verlag, München 2014.
382 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783446244917

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