Japan und der Rote Ritter

Eine Biografie erzählt zu seinem 80. Geburtstag von Adolf Muschgs Leben

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Als Profiteure der Marktgesetze sind wir praktizierende Neoliberale, die vom billigsten Angebot profitieren. Als verantwortliche Weltbürger beteuern wir, dass uns nicht am Preis der Dinge, sondern an ihrem Wert gelegen sei, den wir an der Würde des Menschen messen wollen und am Kriterium gemeinsamer Zukunftsfähigkeit. Aber auch die privilegierte Minderheit, die sich den Luxus geistiger Not mit ihren eigenen Widersprüchen überhaupt leistet, weiß im Grunde recht gut, dass sie eine Veränderung gar nicht wollen kann, die einen umfassenden Bruch ihrer Lebensgewohnheiten mit sich brächte“. Um deutliche Worte war Adolf Muschg nie verlegen. Schnell kommt er in seinen Essays und Reden auf den Punkt, und der heißt manchmal bei ihm „kapitalistischer Absolutismus“: die weltweite Ausbeutung und unser Profit. Unsere Bequemlichkeit, unser Dilemma, unsere Widersprüche.

Muschg bleibt nie beim Schwarz-Weiß stehen, höchstens in dem Sinn, dass er Schwarz und Weiß gleichermaßen betrachtet, Widersprüche und Offenheit zulässt. Selbst die Kunst ist nicht vereinnehmbar: „Das ist das Irritierende großer Kunst: sie sagt – wie Rilkes Apollo-Torso: ‚du musst dein Leben ändern‘, aber die Richtung dieser Änderung bleibt offen“.

Große Kunst hat Muschg nicht nur gesehen und als Germanistikprofessor gelehrt, sondern vor allem geschrieben. Sein Hauptwerk, der Roman „Der Rote Ritter“ z.B. ist eine grandiose Nacherzählung des Parzival-Epos, aber ins Moderne, ins Psychologische, ins Philosophische und ins mystisch Religiöse gewendet, eines der reichsten deutschsprachigen Bücher der letzten Jahrzehnte. Oft hat Muschg auch über Japan geschrieben, sein „Heimwehland“, in dem er gelebt und unterrichtet hat, das ihm stets fremd geblieben ist – und vielleicht hat er es damit besser verstanden als viele, die Japan hymnisch verklären.

Am 13. Mai feiert Adolf Muschg seinen 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass hat der Beck Verlag ihn mit einer Biografie geehrt (und auch einen Band mit seinen Essays und Reden publiziert). So manches erfährt man aus der Biografie: Seine Startbedingungen als Sohn eines strenggläubigen Vaters, der Primarlehrer war und Autor, als Halbbruder eines 30 Jahre älteren und schon berühmten Germanistikprofessors, Walter Muschg. Seine ersten Kontakte zu Japan über das Kinderbuch „Hansi und Ume unterwegs“ seiner Halbschwester Elsa, seine Ehen, die Psychoanalyse, seine Karriere, die über Tokyo, Göttingen und Cornell an die Universität Zürich führte. Vor allem sein schwieriger Weg zur Literatur und mit ihr bis zu den höchsten Ehren, dem Büchner-Preis und dem Vorsitz der Akademie der Künste in Berlin. Auch seine politischen Einmischungen werden erwähnt.

Was zu kurz kommt, ist aber auch viel: Seine Romane, die oft nur kursorisch thematisiert werden, die manchmal in einem Absatz abgetan, manchmal auch gar nicht genannt werden. Schon gar nicht ausführlich interpretiert werden. Denn, das ist das größte Manko der Biografie, Manfred Dierks beschreibt Muschg und seine Bücher aus einer eingeschränkten psychologischen Sichtweise. Es geht um Muschgs lebenslangen Versuch, sich am religiösen Schriftsteller-Vater abzuarbeiten. Dass Muschgs Persönlichkeit vielleicht doch noch vielschichtiger ist, dass seine Bücher fantasiereicher sind, Politik und Philosophie auf eine ganz spezielle Art und Weise verarbeiten. Dass sie einen ganz besonderen, schweizerisch gefärbten Muschg-Sound haben, das kommt in der Biografie ebenso zu kurz wie seine Ehen, die oft in einem Satz abgehakt werden, wie auch seine Freunde und Kollegen. Dafür ist manches andere redundant, wird fast wörtlich wiederholt, und ab und zu gibt es seltsame Formulierungen wie „zwei Frauen, deren Leben von ihm abhing“ – gemeint sind die Ex- und die neue Ehefrau – aber deren Leben hing durchaus nicht von ihm ab.

Da freut sich der Leser mehr an den Essays und Reden über Kunst, Literatur, Politik, die Muschgs Formulierkunst und sein Beharren auf Mehrdeutigkeit und einer grundsätzlich nicht zu Ende ausdeutbaren Welt auf dem Gipfel zeigen. Seine intellektuelle Durchdringung nimmt sich dabei selbst nie aus, und auch wenn er feste Meinungen hat, ist doch deutlich zu spüren, dass er auch die anderen, gegenteiligen Meinungen akzeptiert, dass er auch ihnen nachspürt und nachdenkt, dass er sich weigert, etwas einmal zu Ende gedacht zu haben.

Titelbild

Manfred Dierks: Adolf Muschg. Lebensrettende Phantasie. Ein biographisches Porträt.
Verlag C.H.Beck, München 2014.
312 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783406659621

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