Gemeinsam stark

Feministische Autorinnen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen diskutieren auf hohem Niveau über die Debatten der deutschen Frauenbewegung seit den 1970er-Jahren

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die innerfeministischen Debatten und Kontroversen der letzten vierzig Jahre waren auch hierzulande zahlreich und wurden gelegentlich geradezu intransigent geführt. Erinnert sei nur an diejenige zwischen der „EMMA“ und der „Courage“, den Heteras und der lesbischen Avantgarde, an die Auseinandersetzungen um das Müttermanifest oder Judith Butlers Thesen, an „die neue F-Klasse“ und die „Alpha-Mädchen“ sowie an die gerade in jüngster Zeit wieder heftig umstrittene Frage der Prostitution. Sie alle zeugen von der anhaltenden Vitalität des feministischen Diskurses.

Andererseits konstatieren Barbara Rendtorff, Birgit Riegraf Claudia Mahs nicht ganz zu Unrecht eine „widersprüchliche Gemengelage der Einschätzungen von Relevanz und Aktualität des Feminismus“. Darum mahnen sie „zum Innehalten und zur reflexiven Selbstvergewisserung, zur Bestandsaufnahme und zum Rückblick auf das Erreichte, das noch nicht Erledigte, und zur Aufmerksamkeit für neue Gestalten von Ungleichheiten und Ungleichzeitigkeiten zwischen den Geschlechtern“. Mit einem von ihnen herausgegebenen Buch über „40 Jahre feministische Debatten. Resümee und Ausblick“ möchten sie zu eben dieser reflexiven Atempause einladen.

In dem schmalen aber gleichwohl inhaltsreichen Band blicken einige teils sehr namhafte feministische Theoretikerinnen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen auf vier „Themenfelder der ‚Feministischen Debatten‛“: „Gewalt im Geschlechterverhältnis“, „Arbeit und das Geschlechterverhältnis“, Gerechtigkeit im Geschlechterverhältnis“ und „Feministische Bewegung und feministische Theorie“. Der überzeugenden Konzeption der Herausgeberinnen gemäß geschieht dies je in einem „Dreischritt“. Der erste Beitrag eines jeden „Themenabschnitts“ misst den infrage stehenden Gegenstand aus und zieht eine vorläufige Bilanz, der folgende zeichnet die jeweilige Debattengeschichte nach, der dritte und abschließende „setzt einen spezifischen Akzent und hebt einen aktuellen Aspekt hervor“.

Bei einigen der Beiträge handelt es sich um überarbeitete Fassungen früherer Publikationen. So beruht der Aufsatz von Herta Nagl-Docekal über „philosophische Perspektiven“ auf die Frage nach der feministischen Theorie ebenso auf einer Veröffentlichung der letzten Jahre wie der gemeinsame Beitrag von Hilge Landweer und Catherine Newmark „zum Verhältnis von Theorie, Empirie und Methodik in der Geschlechterforschung“ oder auch Irene Pimmingers Text über „Geschlechtergerechtigkeiten“.

Den vier Themenfeldern vorangestellt sind zwei Beiträge zur „Feministischen Theorie und Praxis“. In einem dieser beiden ‚propädeutischen‛ Texte hebt Elisabeth List den „Perspektivwechsel“ „von der Wissenschaftskritik zur Transformation des Wissens“ hervor, während Ilse Lenz im anderen die feministische Geschichte der letzten 40 Jahre unter dem Titel „Geschlechter in Bewegung“ nachzeichnet und in vier Phasen unterteilt: die der „Bewusstwerdung und Artikulation (1968-1976)“, der „Pluralisierung und Konsolidierung“ (1976-1980), der „Professionalisierung und institutionellen Integration“ (1980-1989) sowie der bis heute andauernden der „Internationalisierung, Vereinigung und der Geschlechterkonstruktionen“, deren Beginn sie im Jahr 1898 verortet. International war die Frauenbewegung allerdings bereits in den 1960ern. Die weit spätere Datierung durch die Autorin liegt wohl darin begründet, dass es Lenz insbesondere um die „externen Impulse“, die der „interne Wandel der Geschlechterordnungen“ durch die Globalisierung erfuhr, und die so evozierte „grundlegende Transformationen“ im Geschlechterverhältnis geht. Lenz’ „Grundthese“ zufolge transformiert sich die bislang „differenzbegründete“ Geschlechterordnung zu einer „flexibilisierten“. Eine Entwicklung, an der die Neuen Frauenbewegungen „in widersprüchlicher Weise“ gestaltend teilhaben. Letztendlich aber fasst Lenz die Entwicklung der Neuen Frauenbewegung in das Bild „einer großen Spirale“. Denn nach vier Jahrzehnten sei sie „wieder an eine wesentliche Startforderung, nämlich die Gleichheit für Mütter im Beruf, zurückgekehrt“.

Der erste der vier Themenkomplexe wird von Carol Hagemann-White mit einem Beitrag über „Gewalt gegen Frauen als Schlüsselthema der neuen Frauenbewegung“ eröffnet, in dem sie konzis die Geschichte der Frauennotrufe und vor allem der Frauenhausbewegung nachzeichnet. Wie sie herausstellt, hat die Thematisierung von Männergewalt einen „besonderen Stellenwert für die Frauenbewegung. Denn sie „bündelte verschiedene Aspekte des Aufbegehrens mit einer herausragenden symbolischen Dichte und emotionaler Intensität“.

Margit Brückner geht sodann in einem nicht weniger erhellenden Beitrag den (feministischen) „Transformationen im Umgang mit Gewalt im Geschlechterverhältnis“ nach. Sei zu Beginn der Frauenbewegung die weibliche Thematisierung der damals tabuisierten Männergewalt noch als Selbstermächtigung verstanden und erfahren worden, so werde Frauen heute „schnell die Inanspruchnahme der Opferrolle unterstellt und /oder vorgeworfen“, wenn sie Männergewalt thematisieren. Mehr noch, bestimmte Gewaltformen gegen Frauen, wie etwa die Prostitution und Frauenhandel werden „heute eher als Teil liberalen Selbstverständnisses in einer Gesellschaft normativ fast unbegrenzter Selbstverwirklichungsvorstellungen“ ausgegeben. Brückner schließt ihren Beitrag mit der Aufforderung, die in den 1970er-Jahren propagierte Parole „‚Frauen gemeinsam sind stark“ im „Kampf gegen Männergewalt“ durch die Erkenntnis „feministische Frauen und Männer gemeinsam sind stark“ zu ergänzen.

Anna Lena Götsche macht in ihrem Beitrag über Recht und Geschlechterverhältnisse zunächst deutlich, wie Ungleichheiten im Geschlechterverhältnis zu Änderungen juridischer Normen, aber auch gesellschaftlicher Normalitäten führen, um sodann die These, „dass Recht durch Geschlechterverhältnisse gemacht wird“, um den Aspekt zu erweitern, „dass Recht selbst Geschlechterverhältnisse und damit Ungleichheiten erzeugt“.

Rita Casale wiederum vertritt in Abgrenzung zu Judith Butler und Miriam Gebhardt die These, dass „Differenz sowie Gender“ das „System der Repräsentanz“ nicht mehr dekonstruieren, sondern ganz im Gegenteil „das Selbstverständnis der Gegenwart“ ausdrücken, nämlich das „einer unrepräsentierbaren Gesellschaft“. So evoziere der Gender keine Utopie mehr, sondern werde zum „Träger einer nicht intendierten Verdinglichung der Vielfalt“.

Die Beiträge des vorliegenden Debatten-Bandes bewegen sich insgesamt auf hohem theoretischen Niveau und sind mit Gewinn zu lesen, wenngleich sicher nicht alle vertretenen Thesen anschlussfähig sind.

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Barbara Rendtorff / Birgit Riegraf / Claudia Mahs (Hg.): 40 Jahre Feministische Debatten. Resümee und Ausblick.
Juventa Verlag, Weinheim 2014.
228 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783779929314

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