Verrückt erzählt

Will Selfs Roman „Regenschirm“ über die Psychiatrie und wie man ein Leben in der Zeit verlieren kann

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein sich zur Ruhe gesetzter Psychiater erinnert sich an seine Patienten und an seine Arbeit in den Siebzigerjahren. Das ist der Ausgangspunkt der Geschichte in Will Selfs Roman „Regenschirm“. Im Zentrum steht Zachary Busner, der Psychiater. Er entdeckt 1971 bei der Aufnahme seiner Arbeit in einem neuen Hospital eine dort seit knapp fünfzig Jahren vor sich hin vegetierende alte Dame, deren Krankheit – die Schlafkrankheit – nie richtig behandelt wurde. Wie viele Patienten im frühen 20. Jahrhundert landete sie mit falschen Diagnosen in psychiatrischen Anstalten. Er kann sie mit der richtigen Behandlung zurückholen und auch Audrey Death, die Patientin kann sich erinnern. Sie war der Europäischen Schlafkrankheit im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zum Opfer gefallen und ihr Leben wurde abrupt unterbrochen. Ende des Ersten Weltkriegs arbeitete sie in einer Londoner Waffenfabrik, pflegte einen lockeren und emanzipierten Umgang mit Männern und war bekennende Sozialistin und Feministin.

Dem Leser begegnen also drei Erzählebenen. Ein alter Psychiater beginnt die Erzählung in der Gegenwart, die Erinnerungen des Psychiater an seine Arbeit Anfang der Siebzigerjahre und die Erinnerungen von Audrey Death, die von einer verschwundenen Welt um 1918 erzählt, die ihr so nah ist, als liegen diese Erinnerungen nur ein paar Tage zurück. Trotzdem kann sie nicht mehr in ihr Leben zurückfinden. Die Tragik, die durch die Verbindung der Erzählebenen deutlich wird, kann nicht aufgelöst werden.

Für den Leser tut sich aber noch ein weiteres Problem auf. Alle drei Ebenen der Erzählung sind in einem langsam vor sich hinsprudelnden Prosastrom verbunden. Manche Teile sind kursiviert abgesetzt, aber letztendlich muss man sich aus den inhaltlichen Bruchstücken das Puzzle der Erzählung zusammensetzen. Dies ist an vielen Stellen unklar und fügt sich oft erst rückblickend zusammen. Das macht die Lektüre etwas holperig und trotz der guten Geschichte ist das Buch über weite Teile sehr ermüdend. Hier hat sich kein Lesespaß eingestellt und die Erklärung, worum das Buch mit dem metaphorischen gebrauchten Begriff „Regenschirm“ betitelt wurde, würde daran auch nichts ändern.

Titelbild

Will Self: Regenschirm. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Gregor Hens.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2014.
496 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783455404623

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