Was zwischen Menschen steht

David Guterson ist mit „Zwischen Menschen“ ein beeindruckender Erzählband über die zwischenmenschlichen Unwägbarkeiten im Leben gelungen

Von Christopher HeilRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christopher Heil

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Momente, in denen die Distanz zwischen Menschen deutlich spürbar und zum Greifen nahe ist. In den Bildern Edward Hoppers sieht man in beklemmender Schönheit die Kälte, Einsamkeit und Traurigkeit in den Blicken der Menschen, deren Körperhaltung und Anordnung im Gemälde. Das gleiche Gefühl, wie beim Betrachten der Bilder Hoppers, stellt sich beim Lesen von David Gutersons „Zwischen Menschen“ ein – schlichtweg Ergriffenheit. Zehn Kleinode hält der Band bereit, die an große amerikanische Short-Stories eines Raymond Carver oder J.D. Salingers „Nine Stories“ erinnern.

Ein alltägliches Setting führt die Figuren in zwischenmenschliche Dilemmata. Erinnerungen können zu unüberbrückbaren Hindernissen werden und Vertrautheit im Keim ersticken. Dafür steht beispielsweise das Erzählen von der ersten großen Liebe in „Paradise“ zwischen zwei älteren Menschen, die sich im Internet über eine Partnerbörse kennenlernten. Auch in der letzten Erzählung des Bandes „Krasawize“ spielt die Vergangenheit eine bedeutende Rolle. Ein Sohn reist gemeinsam mit seinem Vater in dessen alte Heimat Berlin, für die dieser nur noch Verachtung übrig hat. Denn mit sechs Jahren musste der jüdische Vater im Sommer 1938 emigrieren. Die Verbitterung über das nationalsozialistische Deutschland zeigt sich in den Tiraden und Litaneien: „Fünfundvierzig Minuten im Vaterland, und mir stehen diese Judenmörder schon wieder bis hier“. Auch in der Gegenwart ist die Vergangenheit für ihn immer präsent. Die 28-jährige Reiseführerin Erika Wolf weiß zu gut um die Last, die auf den Schultern der Deutschen liegt. Auf die Bitte des Sohnes, die Beleidigungen des Vaters nicht persönlich zu nehmen, entgegnet sie bloß: „Er hat doch jedes Recht dazu. Ich nehme das Ihrem Vater nicht übel“. Ein Vergeben findet nicht statt. Doch im Kleinen, wie das Ende zeigt, geschieht eine Annäherung – auch wenn der Vater um den Irrtum, auf dem diese beruht, nicht weiß.

Den ganzen Band durchzieht die Problematik, die Grenzen zwischen Nähe und Distanz immer wieder neu auszuloten. „Still“ lebt zunächst von den schlagfertigen Dialogen zwischen dem alten, kauzigen Rottweilerbesitzer Lou Calhoun und der Hundesitterin Vivian Lee: „‚Wie sind Sie dazu gekommen, Hundesitterin zu werden?‘ ‚Ich bin ein Country-Song.‘ ‚Welcher?‘ ‚Alle zusammen.‘ ‚Betrunken, pleite, ziellos umherwandernd, geschieden, halb tot, frisch aus dem Gefängnis, verkatert, durchgeprügelt, betrogen – und jemand, der selbst betrogen hat.‘ ‚Fünfzig Prozent davon. Ungefähr‘“. Die rauen Eigenheiten des vereinsamten Lou weichen langsam auf und Vivian wird in seinem Alltag eine wichtige Stütze – aber auch umgekehrt profitiert sie von Lou. Die Erzählung entwickelt sich zu einem bedrückend-traurigen Stück Prosa.

„Schatten“ erzählt von einem Anwalt, der drei Monate nach seiner Pensionierung von seiner Demenz erfährt. Die übervorsichtige Fürsorge der Ehefrau und des ältesten Sohnes fechten seine Entscheidungen stets aufs Neue an. Der Weg zu einem Treffen mit dem jüngeren Sohn, einem Journalist und Weltenbummler, den er seit sechseinhalb Jahren nicht gesehen hat, führt zu einer tragischen Ereigniskette. Als Leser fühlt und leidet man mit den Protagnisten und ihrem Scheitern mit.

Guterson gelingt es durchweg, die emotionalen Spannungen bewegend zu inszenieren, wie auch in „Foto“. Dort reißt der Tod des 19-jährigen Paul Hutchinson auf einem Stellnetzkutter seine Eltern aus allen Bahnen. Die Trauer und Schuldzuweisung daran lässt die Ehe schließlich zerbrechen: „‚Ich will, dass du ausziehst‘, sagte sie. ‚Ich kann deinen Anblick nicht mehr ertragen‘“. Die Beschreibung der Todesumstände durch den Kapitän intensiviert das Gefühl der Unerträglichkeit, das Laura ihrem Ehemann gegenüber empfindet. Das Wir entzweit sich in ein Ich und Du.

Zwischen nüchternen Tönen, aber auch humorvollen Einsprengseln und einfühlsamen Beschreibungen entfalten die zehn Erzählungen über die zwischenmenschlichen Unwägbarkeiten im Leben ihre bedrückende Wirkung. In diesen verdichteten Momentaufnahmen liefert Guterson messerscharfe Figurenzeichnungen. Er durchleuchtet die Psyche der Protagonisten und zeigt deren emotionale Abgründe. Kein Wort, das in „Zwischen Menschen“ steht, ist zu viel. Vielmehr bestechen diese hinreißenden Texte durch das spannungsgeladene Ungesagte, das zwischen den Figuren steht, um das Unglück und die Trauer, die Einsamkeit und Verlegenheit und vor allem die zwischenmenschlichen Brüche darzustellen.

Titelbild

David Guterson: Zwischen Menschen. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Georg Deggerich, Gerlinde Schermer-Rauwolf und Robert A. Weiß.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2014.
208 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783455404814

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