Ikonische Bild(er)geschichte

Über Laura Schütz’ Studie zu „Fiktionalen Transformationen politischer Märtyrerikonen von Benno Ohnesorg bis zu den ‚Toten von Stammheim‘“

Von Stephan KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Laura Schütz‘ Untersuchung „‚Dort ist nichts, aber es strotzt vor lauter Zeichen von uns‘“ nähert sich, ausgehend von der Beschreibung und Interpretation der jeweiligen Todes- beziehungsweise Tatortfotos, folgenden historischen Figuren bzw. Gruppen: Benno Ohnesorg, Rudi Dutschke und der ersten Generation der RAF, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Schütz widmet ihnen jeweils einen umfassenden Komplex ihres – dies sei schon hier vorausgeschickt – lesenswerten Buches. Diese drei Teile sind (anders als der erste theoretisch einführende) auf gleiche Weise aufgebaut. Zunächst bieten sie einen historisch orientierten Abschnitt, in dem konzis und sehr informativ die faktischen Zusammenhänge erläutert (und in Erinnerung gerufen) werden, in die die jeweils betrachteten „Märtyrerikonen“ gehören. Schütz geht hierbei von der allgemeinen, durch ihre mediale Verbreitung bedingten Kenntnis der untersuchten Fotografien aus. Gemeint sind das Foto des sterbenden Benno Ohnesorg vom 2. Juni 1967, das Foto vom Ort des Attentats auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 und die Fotos der ‚Toten von Stammheim‘ vom 8./9. Mai 1976 bzw. 18. Oktober 1977.

Schütz weist bei den Fotos der toten RAF-Mitglieder nachdrücklich darauf hin, dass, nachdem die Bilder etwa zehn Jahre lang nicht publiziert worden waren, ein Ansehen dieser Bilder erst nach deren Verarbeitung in seinem Gemäldezyklus durch Gerhard Richter wieder möglich wurde. Dies stelle einen wichtigen Unterschied zu den Bilderikonen von Ohnesorg und Dutschke dar. An diesen drei Bildikonen baut die Autorin das Programm ihrer Studie auf. Sie bietet im Anschluss an die Analyse dieser ikonischen Fotografien jeweils einen weiteren detailliert geschriebenen Abschnitt, in dem sie Fiktionalisierungen der genannten Figuren untersucht. Diese Abschnitte beinhalten das eigentliche Anliegen der Studie. Die Analyse und Interpretation fiktionalisierender Transformationsprozesse baut auf der Vorstellung und (medientheoretisch unterfütterten) Einordnung der durch ihre Ikonizität markierten Fotografien auf. Dabei verwundert es nicht, dass der Komplex über die RAF den weitaus größten Raum einnimmt und zudem die meiste Differenzierung erfährt. Hier untersucht Schütz unter anderem Texte wie Peter Paul Zahls „Die Glücklichen“ und einzelne seiner Gedichte, Geisslers „kamalatta“, Kuckarts „Wahl der Waffen“, von Erin Cosgrove „Die Baader-Meinhof-Affäre“ und Thilo Bocks „Die geladene Knarre von Andreas Baader“, Dramentexte von Heiner Müller, Elfriede Jelinek und Jörg Albrecht sowie nicht zuletzt Filme wie „Deutschland im Herbst“, „Die bleierne Zeit“ oder „Der Baader Meinhof Komplex“.

Diese zusätzliche Gewichtung der Studie von ihren Gegenständen her (die Autorin benennt diesen Umstand nicht nur einmal) widerspricht jedoch in keiner Weise Schütz‘ eigentlichem Anliegen, aufzuweisen, „wie die Märtyrerikonen in den verschiedenen Fiktionalisierungen tradiert werden“. Schütz gelingt es, das breite Spektrum der literarischen und filmischen Rezeptionsvarianten zu den von ihr beschriebenen Bildikonen so aufzufächern, dass nicht nur eine Kette von unterschiedlichen Versionen sichtbar wird. Vielmehr zeigt sie durch die konsequente Bezugnahme auf die ikonische Kapazität der Fotografien und das Nachweisen dieser Bezüge wichtige Zusammenhänge innerhalb des Ganzen der Narrative über die Studentenbewegung (und die APO) sowie die RAF auf.

Schütz arbeitet heraus, wie die Umsetzung der historischen Figuren in den Raum der Fiktion im permanenten Bezug auf die besondere Bildlichkeit ihres Todes rekurriert. Auch die mit größerem zeitlichen Abstand zunehmenden Modifikationen bleiben auf den „(Bild-)Raum der Tatortfotografien und den ‚Subtext‘ der Todesumstände“ bezogen. Schütz zeigt, wie die Fiktionalisierungen an keiner Stelle ohne das Vorhandensein der quasi zugehörigen Bilder denkbar sind. Vielmehr ist den Transformationsvorgängen die beinahe allgegenwärtige Bildlichkeit der toten Märtyrerfiguren geradezu eingeprägt. Schütz‘ Studie macht dies evident, nicht nur durch ihre vergleichende Perspektive, sondern auf der Grundlage eines breiten Korpus von fiktionalisierten Darstellungen der untersuchten Figuren, ihrer Todesumstände und vor allem deren fotografisch-ikonischer Nachwirkung. Mit Laura Schütz‘ Studie bietet sich ein aufschlussreicher und gerade auch durch seine interdisziplinäre Anlegung gewinnbringender Beitrag zu diesen Kapiteln deutscher Bild-, Literatur- und politischer Geschichte.

Titelbild

Laura Schütz: »Dort ist nichts, aber es strotzt vor lauter Zeichen von uns«. Fiktionale Transformationen politischer Märtyrerikonen von Benno Ohnesorg bis zu den ›Toten von Stammheim‹.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2014.
506 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783865253309

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