Sprachlos

Jürgen Trabant sieht in „Globalesisch oder was?“ die europäische Sprachenkultur durch die Dominanz des Englischen bedroht

Von Rafael Arto-HaumacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rafael Arto-Haumacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mehrsprachigkeit als Strafe: In der alttestamentarischen babylonischen Sprachverwirrung, welche die eine, gemeinsame Sprache der Tempelbauer durch einen göttlichen Strafakt auflöste, dokumentiert sich nicht zuletzt auch ein Urwunsch des Menschen, in einer gemeinsamen Sprache über Länder- oder Völkergrenzen hinweg miteinander zu kommunizieren. Die Globalisierung hat diesen Zustand fast schon erreicht: Englisch ist als Kommunikationssprache allgegenwärtig. Für Jürgen Trabant, als renommierter Linguist ist er ausgewiesener Fachmann für die Entstehung und Entwicklung von Sprachen, liegt genau hier die Bedrohung für die weitere Existenz der europäischen Sprachen: Da das Englische mittlerweile alle wichtigen Diskurse in Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft dominiert, nimmt die Relevanz der europäischen Sprachen ab; diese vormaligen Kultursprachen verkümmern tendenziell zu minderwertigen „Vernakularsprachen“ ohne kultursprachlichen Anspruch. Trabant geißelt die allseits propagierte Zweisprachigkeit – Muttersprache und Englisch – als faktische Einsprachigkeit, da nur noch Englisch Relevanz besitzt, wenn die Muttersprache an Bedeutung verliert.

Für Trabant bedeutet der Verlust der europäischen Sprachen auch einen Kulturverlust: Für ihn tragen die europäischen Sprachen jeweils ein kulturhistorisches Erbe, reflektieren und bestimmen individuelle Denkschemata ihrer Sprecher, hängen also auch direkt mit der intellektuellen Vitalität und Vielseitigkeit ihrer Sprachgruppe zusammen. Dabei stellt Trabant keineswegs den Nutzen des Englischen als allseits genutzte Kommunikationssprache in Frage, er unterscheidet vielmehr, ob eine Sprache nur zur Kommunikation eingesetzt wird oder für eine kulturelle Identität steht. Gegen die Verkümmerung der europäischen Sprachen schlägt er eine echte Mehrsprachigkeit vor: Neben der Muttersprache und dem Englischen soll jeder eine weitere Sprache lernen, um so den Zugang zu einer anderen Kultur, Denkweise und Tradition zu erhalten. Wenn etwa der Franzose Deutsch lernt und der Deutsche Französisch, ist dies im Trabant’schen Sinne ein wechselseitiger Beitrag zur Erhaltung der jeweiligen Nationalsprache.

Trabants Plädoyer für die europäischen Sprachen ist mit großer Sachkenntnis geschrieben, im Vorbeigehen erfährt man viel Aufschlussreiches über die Entstehung und Entwicklung der europäischen Sprachen, so etwa, dass das Französische als Hochsprache in Frankreich erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts etabliert war. Die Argumentation – aus einer pessimistischen Haltung heraus und eher sprachphilosophisch als empirisch angelegt – ist nachvollziehbar, auch wenn man der düsteren Zukunftsprognose vielleicht nicht in jedem Punkt zustimmen mag. Der aufgezeigte Trend ist in jedem Fall vorhanden. Trabants Befunde sind bedenklich, nicht nur weil sie offensichtlich zutreffen, sondern auch weil sie offenbaren, dass es kein Patentrezept gibt, den Prozess aufzuhalten oder umzukehren.

Trabants Vorschlag, eine weitere Fremdsprache zu lernen und zu praktizieren, kann hier ein Baustein sein, wird aber kaum den geschilderten Prozess aufhalten. Ohnehin stellt sich die Frage, ob der Spracherhalt gleichzeitig und zwingend einen Kulturerhalt bedeutet; Sprache ist zwar ein wichtiger prägender Faktor von Kultur, aber nicht der einzige. Vielmehr dürften generelle Maßnahmen zum Erhalt der europäischen Kulturen auch die Erhaltung der Kultursprachen befördern. Das hat beileibe nichts mit Nationalismus zu tun, sondern beispielsweise viel mit Bildung und Bildungspolitik. Solange die Bildungsausgaben in den größeren europäischen Ländern gerade vier bis fünf Prozent der Gesamtausgaben ausmachen, Bildungshaushalte zum Teil etwa nur ein Drittel der Verteidigungsetats betragen (wie in Deutschland) und Bildungsinvestitionen aufgrund von Krisensituationen rigoros zusammengestrichen werden, darf bezweifelt werden, dass Europa auf dem richtigen Weg zum Kultur- und Spracherhalt ist. Trabants lesenswertes Buch liefert wichtige Denkanstöße, das Weiterdenken muss nun in viele Richtungen erfolgen.

Titelbild

Jürgen Trabant: Globalesisch, oder was? Ein Plädoyer für Europas Sprachen.
Verlag C.H.Beck, München 2014.
235 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783406659904

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