Ein Klassiker der Weltliteratur – neu gelesen

Eike Schönfelds modernisierte Neuübersetzung von Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“

Von Yvette RodeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Yvette Rode

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1891 veröffentlichte Oscar Wilde seinen einzigen Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ (Originaltitel: The Picture of Dorian Gray). Ein Jahr zuvor war eine erste Fassung im „Lippincott’s Monthly Magazine“ erschienen, die – obwohl bereits zensiert – als anrüchig galt und öffentliche Debatten über Moral und Homosexualität auslöste. Wilde musste deshalb in der Vorbereitung der Buchfassung die homoerotischen Passagen entschärfen. Als diese 1891 erscheint, werden Roman und Autor über Nacht weltberühmt. „Das Bildnis des Dorian Gray“ wurde vielfach neu aufgelegt und seit 1901 über zwei Dutzend Mal ins Deutsche übertragen. Auch Eike Schönfeld, seit 1986 Übersetzer englischsprachiger Literatur, der mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt Übersetzerpreis, dem Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse und jüngst gemeinsam mit Nicholson Baker mit dem Calwer Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnet wurde, hat sich nun an Wildes Meisterwerk herangewagt.

Die Geschichte des wohlhabenden Dorian Gray, der nahezu besessen von dem Wunsch nach ewigwährender jugendlicher Schönheit ist, ist nicht nur eine Parabel auf Hedonismus und Narzissmus, sondern auch eine literarische Ästhetizismuskritik an der dekadenten Gesellschaft des Fin de Siècle. Dorian ist die Muse des Künstlers Basil Hallward, der ein Porträt von ihm malen will. Basils Freund, der Lebemann Lord Henry Wotton, will den unerfahrenen, gutmütigen Jüngling nach seinen Vorstellungen formen und einen Hedonisten aus ihm machen. Er erklärt ihm, dass Schönheit vergänglich ist und auch Dorian irgendwann alt und hässlich sein wird. Kurz darauf schließt Dorian einen Pakt mit dem Teufel und wünscht sich, dass nicht er, sondern sein Bild altern soll.

In den darauffolgenden Jahren entwickelt sich Dorian zu einem Abbild Lord Henrys. Nunmehr beurteilt er – wie sein Mentor – seine Umwelt nach ästhetischen Kategorien und pflegt einen ausschweifenden Lebensstil. Äußerlich verändert sich Dorian dagegen nicht. Erst nach zahlreichen tragischen Ereignissen und moralischen Verfehlungen realisiert er, dass ihm seine eigene Identität abhanden gekommen ist.

Eine stilistische Besonderheit von „Das Bildnis des Dorian Gray“ sind die zahlreichen Aphorismen und Bonmots der Figuren, die einerseits ihre Eloquenz verdeutlichen und gleichzeitig beim Leser für Belustigung sorgen. Schönfeld gelingt es mit seiner Übersetzung Wildes Klassiker in eine zeitgemäße Sprache zu übertragen. Dies wird besonders im Vergleich mit älteren Übersetzungen, wie der von Hedwig Lachmann und Gustav Landauer aus dem Jahr 1909, deutlich – etwa als Lord Henry mit Basil über Dorian spricht: „Dein geheimnisvoller junger Freund, dessen Namen du mir nie gesagt hast, dessen Bild mich jedoch wahrhaft bezaubert, denkt niemals […]. Schmeichle dir nicht, Basil: du hast nicht die mindeste Ähnlichkeit mit ihm.“ Soweit die Übertragung von Lachmann/Landauer. Schönfeld dagegen übersetzt diese Stelle pointiert und schnörkellos mit: „Dein mysteriöser junger Freund, dessen Namen du mir nicht verraten hast, dessen Bild mich aber wirklich fasziniert, denkt nie […]. Bilde dir nur nichts ein, Basil, du bist nicht im mindesten wie er.“ Schönfeld gelingt es, den Roman aus der viktorianischen Zeit mit seiner modernen Übersetzung fürs 21. Jahrhundert anschlussfähig zu machen. Die Formulierungen „wirklich fasziniert“ und „[b]ilde dir nur nichts ein“ muten informeller und zeitgenössischer an als „wahrhaft bezaubert“ und „[s]chmeichle dir nicht“, die im Vergleich übermäßig gekünstelt und steif wirken. Offen bleibt indes die Frage, ob nicht gerade das Gekünstelte und Steife unverzichtbar für den charakteristischen ‚Wilde-Sound‘ sind; darüber mögen fundamentalistische Anhänger des irischen Autors streiten –Schönfeld bezieht mit seiner Übersetzung eindeutig Position.

Der Vergleich mit Lachmann/Landauer zeigt, wie souverän sich die jüngste Übersetzung unterschiedlicher sprachlicher Register bedient, und auf diese Weise – selbst wenn man sich an gelegentlichen popliterarischen Anklängen stoßen mag – komische Effekte erzeugt, die dem Geist des Originals so nah wie irgend möglich kommen. Exemplarisch ist eine Passage, in der Lord Henry vor der ersten Bekanntschaft mit Dorian über dessen Physiognomie spekuliert. Er stellt sich unter Dorian Gray in der Übertragung von Lachmann und Landauer zunächst „ein Geschöpf mit einer Brille und herunterhängendem Haar […], dessen Gesicht furchtbar mit Sommersprossen übersät [ist] und der auf riesigen Füßen einher[tritt]“, vor (im Original „a creature with spectacles and lank hair, horribly freckled, and tramping about on huge feet“), während er in der Variante von Schönfeld an ein „Wesen mit Brille, strähnigen Haaren und fürchterlichen Sommersprossen“ denkt, „das auf riesigen Füßen herumtapst“.

Der Neuübersetzung von Schönfeld gelingt eine behutsame Modernisierung der Erzählpassagen wie auch der pointierten Dialoge, wobei Charme und Esprit des Originals unangetastet bleiben, ja die zahlreichen Aphorismen und Bonmots sogar an Prägnanz gewinnen. Die Neuauflage ist daher auch denjenigen Leserinnen und Lesern zu empfehlen, die den Roman bereits in einer anderen Übersetzung gelesen haben.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray. Roman.
Neuübersetzung.
Übersetzt aus dem Englischen von Eike Schönfeld.
Insel Verlag, Berlin 2014.
293 Seiten, 21,95 EUR.
ISBN-13: 9783458175964

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