Abwarten und Schwarztee trinken

Banana Yoshimotos Roman „Der See“ ist Coming-of-Age in Zeitlupe

Von Simone Sauer-KretschmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Sauer-Kretschmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für manche Bücher gibt es einen richtigen Zeitpunkt. Liest man sie zu früh, dann versteht man sie noch nicht, liest man sie zu spät, versteht man sie nicht mehr. Banana Yoshimoto, die verschiedentlich als Stimme der japanischen Jugend bezeichnet wurde, schreibt solche Bücher. Ihr im japanischen Original bereits 2005 publizierter Roman „Der See“ ist nun im Diogenes Verlag erschienen und wartet mit einer typischen Yoshimoto-Geschichte vom Erwachsenwerden und den damit verbundenen Schwierigkeiten auf.

Erzählt wird aus der Perspektive der Kunststudentin Chihiro, die in ihren Bildern, Träumen und Phantasien aufgeht, bis sie Nakajima kennenlernt. Der junge Mann lebt weitestgehend still und zurückgezogen in einer Welt aus Fleiß, Ehrgeiz und hochgesteckten beruflichen Zielen, die Chihiro zwar nicht recht versteht, von der sie sich aber umso mehr angezogen fühlt. Behutsam und vorsichtig gehen die beiden aufeinander zu, denn schon die leiseste Erschütterung könnte zerstören, was sich noch kaum in Worte fassen lässt. Chihiro und Nakajima verbindet die aus ganz unterschiedlichen Gründen schmerzhafte Erinnerung an ihre früh verstorbenen Mütter, die Leerstellen hinterlassen haben, mit denen sie vollkommen verschieden umgehen: Chihiro ist aufgeschlossen und neugierig, rekapituliert die Vergangenheit ihrer Familie im beiläufigen Plauderton, während Nakajima um jedes Wort, das er hergeben kann, ringen muss. ‚Zarte Bande knüpfen‘ ist die wohl am ehesten zutreffende Beschreibung für die entstehende Beziehung, die der Roman langsam entwickelt. Doch warum haben teilweise ähnliche Plots und Erzählverfahren der Autorin in „Kitchen“ oder „N.P“ so gut funktioniert und weshalb springt der Funke in „Der See“ nicht recht über?

Zum einen ist dies der veränderten Ausgangslage der Rezipientin geschuldet, die zwar zutiefst subjektiv ist, aber sicher nicht einzigartig unter ehemals begeisterten Banana-Yoshimoto-Lesern. Damals, auf dem Weg in die Sommerferien oder zum Abiball, war „Amrita“ der Hit, ähnlich aufgehoben fühlte man sich nur bei Salinger. Große Fragen, ausschweifend assoziative Antworten und am Ende dann der befriedigende Hoffnungsschimmer, dass alles, wirklich alles, noch entdeckt werden kann, auch wenn wir nicht ohne Blessuren und Verletzungen davonkommen würden.

Lässig, schnell und aufregend, das war Banana Yoshimoto in den Neunzigern. „Die See“ erscheint hier und heute hingegen als eine Variation des Feel-Good-Spiritualismus, auf den eigentlich Diogenes-Kollege Paolo Coelho abonniert ist. Aber abraten von Banana Yoshimoto? Nein, natürlich nicht, nur: lesen Sie eines ihrer frühen Werke und das am besten, so lange Sie noch die Füße unter irgendeinen Tisch strecken, den Sie nicht selbst bezahlt haben.

Titelbild

Banana Yoshimoto: Der See. Roman.
Übersetzt aus dem Japanischen vom Thomas Eggenberg.
Diogenes Verlag, Zürich 2014.
221 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783257068979

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