Zerbrechliche Idylle

Ulla-Lena Lundberg erzählt in ihrem Roman „Eis“ die Geschichte einer Pfarrersfamilie auf einer finnisch-schwedischen Inselgruppe

Von Elisabeth BökerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Elisabeth Böker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bei der Ankunft des neuen Pfarrers auf den Örar-Inseln, einer kleinen Inselgruppe in der Ostsee zwischen Schweden und Finnland, ist allen Bewohnern klar: „Mit dem wird es gut gehen“. Er wird herzlich empfangen. Nur einer macht sich Gedanken: Anton, der Postbote, der die Gabe besitzt, Dinge vorherzusehen. Er ist sich in seiner Beobachtung der Ankunft unsicher: „Der erste Eindruck ist günstig. Doch als er [der Pfarrer] an Land gehen will, schert das Boot ein kleines Stück vom Steg ab, so als ob die See ihn zurückholen wolle, und ein kalter Luftzug weht durch den Sund. Was das bedeuten soll, weiß ich nicht.“

Pfarrer Peter Kummel, der mit Frau und Kleinkind kommt, bringt Veränderungen. Die Geschichte spielt Mitte der 40er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Der Krieg ist erst seit Kurzem vorbei. Endlich – auch angestoßen durch die optimistische Einstellung des Pfarrers – beginnen die Insulaner wieder positiv in die Zukunft zu sehen. Die Pfarrersfamilie selbst glaubt im Paradies auf Erden zu leben: Sie wohnt bei einer kleinen Kirche auf der höchsten Anhöhe auf der Insel, hat ein Häuschen, Kühe, die frische Milch geben, und die Natur direkt um sich. Das ist ihr neues Zuhause. Hier lässt es sich leben.

Betrachtet man das Leben auf der Insel genau, merkt man jedoch, dass der Schein trügt. Zweigeteilt ist die Gemeinde, gar von „Vergiftung“ ist die Rede. Als der Kantor zum Pfarrer sagt: „In den Dörfern im Osten gibt es Leute, die würden einen aus dem Westen nicht aus dem Wasser ziehen, wenn er in einer Eisrinne am Ertrinken wäre“, überspielt dieser die Warnung mit Humor.

Für die Spannungen hat der Pfarrer keinen Blick. Zu zufrieden ist er, endlich die Worte Gottes an eine aufgeweckte Gemeinde weitergeben zu können, einen Pastorkollegen auf der Nachbarinsel zu haben, mit dem er angeregte theologische Diskussionen führen und ihn als wahren Freund bezeichnen kann. Noch dazu verbringt er mit seiner jungen Familie eine glückliche Zeit, zumal Nachwuchs erwartet wird. Doch wie der Postbote Anton bei seiner Ankunft wage vorhergesehen hat, währt das Glück nur wenige Jahre. Ein schlimmes, völlig unerwartetes Unglück zerstört die Idylle.

Mit „Eis“ hat die finnisch-schwedische Autorin Ulla-Lena Lundberg einen äußerst fulminanten Roman geschrieben. Erzählt wird dieser aus der Sicht eines allwissenden Erzählers. Hinzu kommen einzelne Szenen aus der Perspektive des Postmanns Anton, der die Gabe hat, die Verhältnisse zu deuten und die Zukunft zu sehen. Er ist ein sehr weiser Mann: Denn er ist es, der mit seinem Boot von Insel zur Insel fährt, Neuigkeiten von außen mitbringt und an seinen Stationen Neuigkeiten erfährt. Zwischen den Fahrten von Insel zu Insel hat er Zeit, seine Beobachtungen zu überdenken. Gerade diese Abschnitte verleihen dem Roman einen noch größeren Tiefgang. Darüber hinaus zeichnet sich „Eis“ durch den besonderen Handlungsort aus: Die kleinen Inselgruppen zwischen Schweden und Finnland mit ihrer rauen, eigentümlichen Natur, die Ulla Lundberg in zahlreichen Szenen genau beschreibt.

Titelbild

Ulla-Lena Lundberg: Eis. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Karl-Ludwig Wetzig.
Mare Verlag, Hamburg 2014.
528 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783866482067

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