Glamour ohne Zauber

Geordie Greig über Kunst und Sex in Lucian Freuds Leben

Von Galina HristevaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Galina Hristeva

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 „Verspielt“, „eigenwillig“, „impulsiv“ und in höchstem Maße verschwiegen der Künstler, „verstörend drastisch“ sein Werk. Mit souveränem Gestus und sich der Gefügigkeit seiner journalistischen Sprache jederzeit gewiss, reiht der jetzige Redakteur der Zeitung „The Mail on Sunday“ und ehemaliger „Tatler“-Herausgeber Geordie Greig ein Adjektiv an das andere, um Lucian Freud – den wohl größten britischen Maler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und den „größten realistischen, figürlichen Maler des zwanzigsten Jahrhunderts“ – zu beschreiben. Leicht und unbeschwert klingt Greigs Prosa, beinahe unbekümmert. Aber er nimmt seine Aufgabe ernst – hatte er doch schließlich viele Jahre auf die Gelegenheit gewartet, Lucian Freud zu sprechen. Bei Rosinenbrötchen, Porridge, Rührei auf Toast, Tee und Cappuccino trafen sich die beiden dann jahrelang zum Frühstück im feinen Londoner Lokal Clarke’s.

Lucian Freuds Leben spielte sich zwischen seinem chaotischen Atelier und Clarke’s ab, zwischen aristokratischer Lässigkeit und seinen unersättlichen Begierden. Greig durchbricht die „schützende Mauer des Schweigens“, die Freud um sich errichtet hatte, um diese faszinierende und schockierende Welt zu enthüllen. Seinen privilegierten Zugang zu Freud versucht er auch auf den Leser zu übertragen und die Insider-Perspektive durch zahlreiche Aussagen von Freunden und Bekannten des Malers zu verstärken. Das Ergebnis lässt viel zu wünschen übrig: Lucian Freud bleibt trotz mehrerer eingebauter Interview-Fragmente seltsam abwesend, seine (laut Greig) „hypnotisierende“ Stimme geht in dem Stimmengewirr anderer Personen und Meinungen unter. Während Freud zunehmend verstummt, wird Greig nicht müde, dessen Marotten, Allüren und Eskapaden zu unterbreiten und zu belegen, etwa mit Mark Fischs Aussage aus dem Jahre 2011: „Zahllose Ehemänner und Freundinnen hätten Grund gehabt, ihn umzubringen. Eigentlich sehr erstaunlich, dass er achtundachtzig wurde.“ Oder mit dem Kommentar Anne Dunns, der Tochter des kanadischen Industriellen Sir James Dunn: „Er war einfach nicht aufzuhalten. Er nahm sich, was oder wen immer er haben wollte.”

Greig ist mit diesem Buch zweifellos ein Glanzprodukt gelungen. Eins aber, dessen Glanz und Glamour weniger aus Freuds Persönlichkeit oder Werk hervorgehen als aus den zahlreichen High-Society-Stories, die das Gros des Textes ausmachen. Was Greig dem Leser präsentiert, ist dazu noch Glanz ohne Wärme und Glamour ohne Zauber. Dem mit vielen pikanten Details gespickten Buch mangelt es trotz der vielen Turbulenzen in Freuds Leben auch an Dynamik. Und auf Dauer wirkt es trotz der vielen flotten Sprüche (so etwa: „Lucian war der Atomkern, um den wir alle kreisten“) eintönig und ermüdend. Selbst der von Greig intendierte „persönliche Blick“ auf Lucian Freud will sich nicht einstellen. Hinter der glänzenden, klischeehaften Fassade dieses Buches lässt sich Lucian Freud, der hier lediglich zum „charismatischen Außenseiter“ stilisiert wird, nicht entdecken.

Es ist ein Buch ohne Tiefe, das man schnell vergisst, da es nur den Gesetzen des literarischen Konsums zu folgen scheint, den Horizont des Lesers nicht sonderlich erweitert, dafür aber spektakuläre Details erbarmungslos ausbeutet (etwa Lucian Freuds angeblichen Antisemitismus), Unterhaltung und Entspannung in Form ,packender’ Geschichten bieten will und allzu eloquent und mit mehr als einem Hauch von gekünstelter Eleganz und flamboyanter Exzentrik immer wieder befremdet. Und immer wieder sowohl mit Floskeln (beispielsweise über Lucian Freuds Stimme: „Diese Stimme hat mich völlig umgehauen.“) als auch mit einem fast haarsträubend vulgären Kunstverständnis irritiert, wie etwa: „Um Lucian Freud in seiner ganzen Komplexität zu verstehen, muss man sich auf seine Malerei konzentrieren. Die Bilder erzählen, mit wem er schlief und zusammen war. Die Namen bleiben meist unerwähnt, aber die Darstellungen lügen nicht.“

Was aber nach der Betrachtung der im Buch veröffentlichten Fotos und Bilder im Gedächtnis haften bleibt und an die Stelle des durch Greig künstlich zum Faszinosum hergerichteten Lucian Freud tritt, sind der stechende, gnadenlose Blick des Malers, sein leidenschaftliches, satyrhaftes Wesen, das jede Sicherheit und Konvention verabscheute und die Großartigkeit dunkler Lust als Urgrund des Lebens feierte sowie die Wucht seiner Werke, hinter denen sich Abgründe auftun.

Titelbild

Geordie Greig: Frühstück mit Lucian Freud.
Übersetzt aus dem Englischen von Matthias Fienbork.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2014.
272 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783312006090

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