Kunst oder Leben?

Wolfgang Herles‘ Roman „Susanna im Bade“ erzählt von der Unmöglichkeit, von Schönheit zu erzählen

Von Gunnar KaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gunnar Kaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Für eine Frau ist Schönheit unbedingt wichtiger als Intelligenz, denn für Männer ist Sehen leichter als Denken.“ Dieses Bonmot Lil Dagovers zu bestätigen scheint Wolfgang Herles’ neuer Roman angetreten zu sein. Von der Tragik, dass manche Männer über ihr Sehen auch noch nachdenken, und zu allem Unglück darüber sprechen wollen, weiß „Susanna im Bade“ ein beredtes Zeugnis abzulegen.

Es ist aber auch eine Crux mit der Beschreibung im Allgemeinen, und im Besonderen mit der von Schönheit und schönen Formen: Wie wenig wirken die Wörter, wie schal scheinen die Sätze, wie unangemessen jede Umschreibung von dem, was man „geschaut“ zu haben meint. Und wenn man sich wie Hans Achberg, der Protagonist in Herles’ Roman, für feingeistig und kunstbeflissen hält, für einen „Connaisseur des Schönen“, gleichzeitig aber zwischen der Skylla des Älterwerdens und der Charybdis männlichen Begehrens (in dieser Kombination gern „Lüsternheit“ genannt) hin und her geworfen wird, sieht man sich genötigt, seine Leidenschaft für die Schönheit in Worte zu fassen – und sei es nur, um sich vor einer Frau für sein Handeln zu rechtfertigen. Wie vergeblich diese Liebesmüh ist – wer hätte es geahnt –, davon  erzählt „Susanna im Bade“ auf selbstironische, leicht überzeichnete Weise.

„Älter werdende Männer, die nach Unsterblichkeit streben und sich auf der Hühnerleiter abkämpfen, haben auch etwas Komisches“, sagt Herles in einem Interview und sein Protagonist, ein Kunstsammler mit Faible für schöne Frauen (in der Kunst wie im Leben), muss nun als Dummy herhalten, um das zu exemplifizieren. Dabei ist es Herles gelungen, aus seinem Hans Achberg ein wandelndes Klischee zu machen – das recht erwartbare Stereotyp des begüterten Kunstsammlers eben, dem Sehen leichter fällt als Denken und der im Nachsommer seiner Lebens noch einmal die Nöte seiner unstillbaren Leidenschaft durchmachen muss; Finanzkrisen, Bindungsängste, Beziehungsprobleme inklusive –, gleichzeitig aber diese Schablonenhaftigkeit immer wieder zu ironisieren, ja sich ihrer zu bedienen. Natürlich sind das Typen, natürlich ist das Satire, natürlich wird hier ein Milieu gnadenlos überzeichnet, in dem man im echten Leben lieber nicht verkehren will, nämlich das der Kunstszene mit ihren internationalen Ausstellungen von Miami bis Basel, ihrem Jet-Set-Wichtigtuer-Gehabe und den Floskeln, die sie selbst nicht mehr für echte Gefühle und Gedanken halten. Entlastung bietet da noch am ehesten die Figur der Klara, einer Hotelbesitzerin, die auch irgendwie im Kunstbetrieb mitmischt. „Für sie sprechen Alltagskompetenz, praktischer Sinn für das Leben, zupackende Güte und ein Dutzend Hotels“, wie Achbergs Urteil über sie lautet. Das macht sie für ihn zwar nicht gerade zur Grazie und auch für Leserin und Leser nicht zur Identifikationsfigur, aber doch zu einem beschreibbaren und glaubhaften Menschen inmitten des Romanpersonals von Renommisten aus der Kunstszene, die anscheinend keine echten Probleme haben.

Aber, und das ist eben die Ironie der Geschichte, was als Satire gedacht ist und als solche wirkt, wird von der Wirklichkeit ja eher noch übertroffen. Solche Menschen gibt es, und sie reden wirklich so. Herles’ Roman weiß das; so lässt er uns auch teilhaben an der Innenwelt einer solchen Person, die dann zwar „uneigentlich“ im Heidegger’schen Sinne ist, aber andererseits in dieser Uneigentlichkeit auch authentisch, sit venia verbo. Fällt auch die Identifikation mit einem attrappenhaften Menschen wie Achberg so schwer wie ihn zu verlachen leicht fällt, so gibt es doch Momente, da man mitfühlt mit den Nöten dieses Mannes. Dieses von Selbstgefälligkeit entfernte Mitgefühl ermöglicht Herles seinen Leserinnen und Lesern, indem er ihnen einen Plot bietet, der zugleich verwickelt und überschaubar, spannend und belustigend, absehbar und kurios ist. Indem er ihnen Dialoge voller Halbbildung und Selbstentlarvung bietet, die in ihren stärksten Momenten an Woody-Allen-Filme erinnern. Noch stärker wirkt in diesem Roman allerdings der Kunstgriff seines Autors, sich unablässig von sich selbst und dem Text zu distanzieren. Nichts, was geschrieben steht, muss so gemeint sein, wie es da steht. Alles kann Zitat sein, von einem „alten Franzosen, Flaubert vielleicht“, von einem Maler, Botero, oder von einem ehemaligen Arbeitskollegen oder von Achberg oder Herles selbst.

Auf diese Weise entkommt der Roman auch an den meisten Stellen dem überall um die Ecke lugenden Kitschverdacht. Der Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit, von Schönheit zu sprechen – so zu sprechen gar, dass die Rede von ihr ein verwandtes Bild in der Vorstellung des Hörers heraufbeschwört – ist sich Herles bewusst, trotzdem will er nicht darauf verzichten. Wozu soll Literatur denn sonst noch gut sein, wenn sie nicht einmal über das Wichtigste noch reden kann?

Das Mittel der Wahl in diesem Dilemma ist freilich nicht erst seit der Romantik die Ironie, und so gelingt es Herles, die zwischen Empfindsamkeit und Kennerschaft pendelnden ästhetischen Beobachtungen, Gedanken und Gefühle Achbergs in Worte zu fassen, sie mit der anderen Hand aber wieder zurückzunehmen, indem er sie als Zitat markiert oder gleich als banal abwertet. Oder eben ihre Unbeschreibbarkeit beschwört. So schreibt er über die Geliebte Achbergs, eine derart schöne und graziöse Gestalt, dass von Beginn an klar ist, dass jeglicher an Worte und Sprache gebundene Darstellungsversuch der Lächerlichkeit anheim gegeben ist: „Susans Schönheit nicht zu rühmen, wäre unmöglich. Sie will aber partout nicht ihrer Schönheit wegen gerühmt werden. Unentwegt angesungen, angeschwärmt, angebetet zu werden, ist für sie kein Vergnügen. Weil es nichts ist als die reine Wahrheit, langweilt es sie. Das Selbstverständliche ist das Banale.“

Trotzdem kann er, der moderne Minnesänger, es nicht lassen und versucht es mit einem Schönheitskatalog à la Petrarca. Und was für die weiblichen Reize gilt, darin ganz Männerfantasie, gilt dem Roman auch für die artifiziellen: „Das Schönste an der Kunst ist, dass sie das Unverstehbare verständlich macht, ohne es zu erklären. Wäre es nicht banal, würde Achberg sagen: Es ist wie mit den Frauen und der Liebe.“

Tja, wäre es nicht banal, aber leider ist es das ja. Was bleibt mir anderes übrig. Das macht Herles’ Roman unangreifbar, weil er jeden Kitschvorwurf mit dem Schlagwort „Ironie“ kontern kann. „Seid nicht so naiv“, sagt er jedem, der Beschreibungen wie „Ihre Haut schimmert wie eine frisch angebrochene Tafel hochprozentiger Schokolade“ für manieriert, schwülstig oder einfach unfreiwillig komisch hält, „es geht mir doch nicht um die platte Beschreibung! Ich reflektiere über die postmoderne Unmöglichkeit des Schreibens selbst!“

Hans Achberg ist darin wie der Roman, als dessen Anti-Held er herhalten muss. Er ist sich seiner Lächerlichkeit und der Vergeblichkeit seines Unterfangens bewusst, macht sich diese aber dienstbar, indem er sie thematisiert und sich auf sie stellt. So ist wenigstens ein kleines bisschen Erhabenheit noch möglich.

Titelbild

Wolfgang Herles: Susanna im Bade. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2014.
272 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783100331885

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