Sextremism

Die Femen haben ein Buch über sich selbst und ihre Aktionen geschrieben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Barbusiger Protest ist keineswegs eine Erfindung des 21. Jahrhunderts, wie manche der jüngeren Generation vielleicht glauben mögen. Bereits zur Zeit der Studierendenrevolte entblößten demonstrierende Frauen ihre Brüste. So entledigten sich etwa am 12. Dezember 1968 acht Studentinnen der „Projektgruppe Emanzipation“ in einem Hamburger Gericht ihrer Pullover, um barbusig ihre Solidarität mit der damaligen örtlichen SDS-Aktivistin Ursula Seppel zu bekunden, der wegen Hausfriedensbruch der Prozess gemacht wurde. Und schon wenige Monate später, am 22. April 1969, stürmte die spätere Kunsthistorikern Hannah Weitemeier gemeinsam mit zwei anderen Frauen während Theodor W. Adornos Vorlesung „Einführung in das dialektische Denken“ mit nacktem Oberkörper das Vortragspodest.

Ganz so neu ist die Aktionsform des barbusigen Protestes der Femen also nicht. Doch wurde sie nie zuvor ähnlich ausführlich und durchdacht begründet wie von ihnen. Ausgehend von der Erkenntnis, dass die völlige Kontrolle über den weiblichen Körper das zentrale Instrument zur Unterdrückung der Frauen ist, machen sie selbstbestimmte weibliche Nacktheit zu einem Symbol weiblicher Befreiung, mit dem sie das patriarchalische System untergraben wollen. Denn ihm, nicht etwa ‚den Männern‘ gilt ihr Kampf. Nicht nur die Begründung des barbusigen Protestes ist gut durchdacht, auch ihr Name und die verwendeten Symbole sind klug gewählt. Der bei den Aktionen getragene Blumenkranz – oder wie sie selbst sagen, die „crown of flowers“ symbolisiert als „crown of heroism“ Weiblichkeit und „proud disobedience“ und ihr Zeichen, der kyrillische Buchstabe Ф (F), bildet die Form weiblicher Brüste nach. Zudem ist er der Anfangsbuchstabe des Gruppennamens, der nicht nur gewählt wurde, weil er „tight“ sei, sondern auch, weil er dem französischen femme ähnele und außerdem eine Variante des lateinischen Wortes femur sei, wozu sich anmerken lässt, dass femur den Oberschenkel bezeichnet und auf das frühlateinische femen zurückgeht. Auch klinge er gut, da er kurz und mysteriös sei. Vor allem aber habe er einen „hard sound“, so wie die Femen selbst auch hart sein wollen. Auch eigneten sich seine fünf Buchstaben gut für grafische Darstellungen.

Dass alles klingt wohldurchdacht. Dabei verstehen sich die jungen Frauen völlig zurecht weit weniger als Theoretikerinnen denn als Aktivistinnen. Oder um es in ihren eigenen Worten zu sagen, „a modern incarnation of the Amazons, fearless and free“ und „crack troops of feminism“. Mag dies auch etwas großspurig klingen, so ist es doch keineswegs übertrieben, wenn man sich Aktionen der Femen etwa in Weißrussland vergegenwärtigt, bei denen sie nicht nur ihre Freiheit, sondern, im wahrsten Sinne des Wortes Leib und Leben riskierten.

Die Forderungen, für die sie dies tun, lassen sich ohne Abstriche unterschreiben. An erster Stelle nennen sie „the immediate political reversal of all dictatorial regimes that create intolerable living conditiones for women“, wobei sie insbesondere „the rule theocratic Islamic states practising sharia and other forms of sadism vis-à-vis women“ im Auge haben. Zum zweiten fordern sie „the total eridication of prostituion, the most brutal form of women’s exploitation, by criminalizing the clients, investors and organizers of this slave trade“. Die Prostitution betreffend, finden sie das schwedische Modell sehr effektiv. Auch wenn es keine „complete answer“ auf das Problem sei, so sei es doch ein großer Schritt dazu, die Prostitution zurückzudrängen. Zum dritten fordern sie „the absolute and universal seperation of Church and state“.

Ihre Taktik des barbusigen Protests bezeichnen die Femen als „sextremism“, den sie als „female sexuality that has risen up against patriarchy by embodying itself in extreme political acts and direct action“ und „non-violent but highly aggressive form of activism“ beschreiben. Dass er eine „super-powerful, demoralizing weapon“ sei, dürfte allerdings allzu optimistisch sein. Und wenn sie ihre Mission darin sehen, „to provoke patriarchy into open conflict by forcing it into demonstrate its anti-human, aggressive essence“, so erinnert das ungut an die linksradikale Ansicht von ehedem, man müsse den Kapitalismus zwingen, sein faschistisches Wesen zu offenbaren.

Im Ganzen nachzulesen sind die Forderungen und Taktiken der Femen in einem Manifest, mit dem sie ihr soeben auf Englisch erschienenes Buch mit dem lakonischen Titel „Femen“ eröffnen. Ihm sind auch alle anderen bisherigen Zitate entnommen. Verfasst wurde es von Inna Shevchenko, Sasha Shevchenko (beide sind nicht miteinander verwandt) Oksana Shachko und Anna Hutsol, den vier Urmüttern der Organisation, unter Mithilfe von Galia Ackerman, die zudem sowohl ein Vor- wie auch ein Nachwort beisteuerte.

Genau genommen haben die vier Gründungsfemen das Buch nicht selbst geschrieben. Vielmehr formte Ackerman aus zahlreichen mit ihnen geführten Interviews einen einheitlichen Text, der die Grundlage des Buches bildet. Der Band selbst gliedert sich in die beiden Hauptteile „The Gang of Four“ und „Action“. Im ersten berichten die vier Femen von ihrem jeweiligen Werdegang bis zur Gründung der Organisation, wobei deutlich wird, dass sie – mit Ausnahme der Jüngsten unter ihnen – bis vor wenigen Jahren dazu neigten, die letzten Jahre der Sowjetunion zu beschönigen, was sie damit erklären, dass sie ihre Kindheit in ihr verbrachten, und die werde nun mal als schönste Zeit des Lebens bezeichnet. Auch mag die beschönigende Erinnerung aufgrund der Erfahrungen mit dem in den 1990er-Jahren um sich greifenden maviösen Wild/West-Kapitalismus der Staaten der ehemaligen UdSSR durchaus verständlich sein. Gemeinsam ist ihnen darüber hinaus, dass sie sich als Jugendliche politisch links, ja im marxistischen Lager verorteten. Zu ihren Lektüren zählten dabei nicht nur Werke von Marx, sondern vor allem August Bebels Buch „Frau und Sozialismus“. Es sei „our bible“ gewesen, die sie „allmost by heart“ lernten, bekennen zwei der Aktivistinnen rückblickend. Schon damals, Jahre vor Gründung der Femen, war Victor Svyatski der „Marxist mentor“ und ein „very close friend“ einer der Frauen. Zudem habe ihnen eine gender-theoretische Anthologie „a good idea of bourgois femnism“ gegeben. Heute allerdings verständen sie es, ihre Lektüren wesentlich kritischer zu lesen. So biete Bebel nicht wirklich eine Theorie, doch immerhin „an extraordinary history of women through the ages“.

Der zweite Teil des vorliegenden Buches zeichnet die Entwicklung der Femen und ihre Aktionen nach. In den ersten beiden Jahren nach Gründung der Gruppe 2008 protestierten sie noch nicht barbusig. Um Aufmerksamkeit zu erregen, reichte es damals in der Ukraine etwa noch, sich als Prostituierte zu verkleiden und dabei Schilder zu zeigen, die besagten „I’m not a prostitute“. Doch mussten sie erfahren, dass die Medien nur so lange an feministischen Themen interessiert sind, wie ihnen eine spektakuläre Show geboten wird. Ohne die Anwesenheit der Medien aber verpuffe eine Aktion, als habe sie nie stattgefunden.

Verständlicherweise bildet die Kampagne „Ucraine is Not a Brothel“ einen der Schwerpunkte des zweiten Teils. Ebenso ihre Aktionen in Russland und Weißrussland, wobei sie vor allem bei letzterer ein sehr großes Wagnis eingingen. Tatsächlich verschleppten weißrussische Folterknechte sie nach einer Aktion gegen den dortigen Diktator in einen Wald, wo sie die Frauen einer sexistischen Folter unterzogen, in deren Verlauf sie sich entkleiden mussten. Schließlich wurden ihnen Hakenkreuze umhängt und sie wurden gezwungen, in die Kamera zu lächeln. All dies wurde gefilmt, um sie zu desavouieren. Wie überall auf der Welt sind jedoch die Folterer die Desavouierten, nicht die Gefolterten. Neben den weißrussischen Folkerknechten taten sich insbesondere christliche und muslimische Eiferer durch außerordentlich brutale Attacken hervor, bei der die Femen so manchen Zahn verloren.

Dass die Femen derart unerschrocken auftreten, bedeutet nicht, dass sie sich der Gefahren, denen sie sich in Russland, der Ukraine und vor allem Weißrussland aussetzten nicht bewusst gewesen wären oder sie angstfrei durchgeführt hätten. Es heißt vielmehr, dass ihre Überzeugung und ihr Mut die Angst überwogen.

Zu den wichtigeren Aktionen der Femen zählt auch das Fällen eines Kreuzes in der Kiew. Eine Aktion, die zur Unterstützung der Angeklagten Frauen von Pussy Riot gedacht war, denen damals gerade der Prozess gemacht wurde. Umso enttäuschter waren die strikt atheistischen Femen, als die drei Angeklagten vor Gericht ihren tiefen christlichen Glauben betonten. Dass jedoch von ihnen das gefällte Kreuz seinerzeit zur Ehre von Opfern des Stalinismus errichtet worden sei, ist einer der vielen Lügen, mit der Antifeministen die Femen zu diskreditieren versuchen.

Zwar positionieren sich die Femen als „defenders of European values, democracy and feminism“, doch gerade darum sahen sie allen Grund, auch in Westeuropa zu protestieren – etwa gegen Dominique Strauss-Kahn, Silvio Berlusconi und den Vatikan.

Am Ende des Buches erzählt jede der Frauen von ihren heutigen Träumen und Idealen. Das heißt, es sind die des Jahres 2012. Denn in diesem Jahr wurden die Interviews geführt. So kommt es, dass gerade die für die Femen so einscheidenden Ereignisse des Folgejahres nicht zur Sprache kommen wie etwa die durch falsche Anschuldigungen erzwungene Flucht der Femen aus der Ukraine, einige auch innerhalb der Femen umstrittene Aktionen in Westeuropa oder Kitty Greens umstrittenes Film-Porträt der Femen „Ukraine is Not a Brothel“, in dem deren Mentor Viktor Sviatski als machistischer Tyrann der Frauen erscheint.

So ganz unerwähnt bleiben diese Ereignisse aber doch nicht. Galia Ackerman widmet sich ihnen im Nachwort „One Year Later“. Die sich 2013 häufende Kritik an den Aktionen der Femen führt Ackerman dort zunächst einmal darauf zurück, dass diese nicht besonders „ladylike“ auftreten. Vor allem aber seien sie wegen ihres bisherigen Lebens in der brutalen postkommunistischen Ukraine nicht auf die „complexe, subtle, general tolerant and multicultural Western society“ vorbereite gewesen und hätten ihre Aktionsziele und -formen daher der westlichen Gesellschaft nicht anpassen können.

Insgesamt liest sich das Nachwort beinahe wie ein Nachruf, konstatiert Ackerman doch das Ende der Femen-Bewegung „in its historical form“, da die Gruppe ihren „speed and internal cohesion“ verloren habe. Dessen ungeachtet aber habe die Gruppe dem Feminismus eine „new freshness“ verliehen.

Titelbild

Femen / Galia Ackerman: Femen.
Translated by Andrew Brown.
Polity Press, Cambridge 2014.
240 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9780745683225

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