Das verwaltete Universum

Dietmar Dath beschreibt in seinem Roman „Feldeváye“ die kommende Auferstehung der Kunst

Von Malte VölkRSS-Newsfeed neuer Artikel von Malte Völk

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Phantasmagorische Zukunftsvisionen, die verspielt-enthusiastische Erwartungen bezüglich der technischen Entwicklungen ausdrücken, sind seit den 1960er-Jahren seltener geworden. Der massenhafte Einsatz von Kernreaktoren für den Individualverkehr hat sich ebenso wenig durchgesetzt wie Besiedlungen des Meeresbodens oder anderer Planeten realisiert wurden. So fokussieren sich ähnliche Erwartungen, wenn sie überhaupt noch anzutreffen sind, heute meist auf den Bereich der Computertechnik. Umso überraschender ist es, auf welche Weise Dietmar Dath im Rahmen dieses Genres in die Vollen greift. Sein Roman Feldeváye ist ein megalomanischer Zukunftsentwurf. Von dessen bis zum Exzess detailliertem Einfallsreichtum ist man zunächst beeindruckt, bevor sich das Gefühl einer bedrückenden Überfrachtung einstellt.

Die Szenerie ist zeitlich mindestens 600 Jahre in der Zukunft angesiedelt, umfasst räumlich im Grunde das ganze Universum, konzentriert sich aber auf den Planeten Feldeváye. Menschen haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von 240 Jahren; Techniken der Biomodifikation sind weit vorangeschritten und es gibt zahlreiche vorher unbekannte Lebewesen. Überhaupt wurde das „alte Menschenwissen“ längst überflüssig durch neuere Forschungs- und Anwendungskomplexe wie „Nomophysik“ oder „Lamontik“. Das ist alles sehr praktisch und komfortabel. Man reist auf fliegenden Inseln mit autonomen Ökosystemen durchs Universum, Krankheiten sind nur noch anekdotisch vorhanden, für das Schwimmen in Flüssen und Seen wachsen den Menschen spontan funktionierende Kiemen und Schwimmhäute. Und möchte man nachts schwimmen: schnell eine „Leuchthautessenz“ gespritzt und man spart sich die Taschenlampe, indem der eigene Körper zur Lichtquelle wird. Wenig überrascht es da, dass auch das Internet („Noos“) in der Zwischenzeit irgendwie mit den menschlichen Gehirnen direkt verbunden wurde – ohne Umweg über lästige Telefonanbieter, möchte man fast spötteln. Kontaktplatten im Hinterkopf ermöglichen es, Informationen unmittelbar ins Bewusstsein gesetzt zu bekommen. Ein solches Verfahren versucht Dath offenbar auch bei seinen Lesern anzuwenden. Diese Vermutung drängt sich auf, da ständig Fantasiebezeichnungen ganz selbstverständlich genannt werden, ohne irgendeine Erklärung dazu anzubieten. Namen für Orte, Lebewesen oder biotechnologische Verfahren werden einfach so eingestreut: Was es mit dem Thomasstreifen, den Urbeen, Pfannkucheninseln, Omphalos, Noos, Padurn, Lapithen, Menneskern, Laschew, Rengi, Storema und dergleichen mehr auf sich hat, kann man sich als Leser im Verlauf der Lektüre selbst zusammenreimen – oder eben auch nicht, wenn es an Leidensfähigkeit mangelt. Denn mag auch dieses Herausdrängen der Romanwelt aus dem Buch nicht ohne Reiz sein, so ist es doch mit erheblichen rezeptiven Anstrengungen verbunden. Schließlich können wir Heutigen ja nicht Informationen auf so gänzlich unvermittelte Weise einfach integrieren. Hier vernachlässigt die Erzählerinstanz ihre Pflichten und lässt eine kaum noch zu überblickende Fülle von Einfällen und Details allzu großzügig herabregnen. Wohl sind solche Vorgehensweisen als Stilmittel nicht grundsätzlich zu verwerfen; sie können aber eben auch ins Obskurantische oder gar Willkürliche kippen, so dass im ungünstigen Fall die zum Lesen erforderliche Anstrengung in keinem glücklichen Verhältnis mehr zum künstlerischen Wert steht.

Besonders problematisch ist hier überdies, dass diese vorsätzliche Kompliziertheit nicht zu dem beiträgt, was der Roman inhaltlich vollführen möchte, sondern dem geradezu entgegensteht. Schließlich ist alles genau durchgeplant, die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Akteuren, Gruppen, Lebewesen und die Verläufe der Entwicklungen bleiben keineswegs im Dunkeln oder der freien Denkbewegung des Lesers anheimgestellt, sondern lassen sich stets exakt bestimmen und auflösen. Mit diesem merkwürdigen Widerspruch bewegt sich Dath jedenfalls hart an der Grenze zum Unlesbaren, was durch den maßlosen Romanumfang noch forciert wird. Ein Schreiben in Extremen, das jedoch nicht von konventionellen Erzählmustern lassen will.

Aber worum geht es eigentlich? Der Kernpunkt des Romans besteht darin, dass in diesem eigentümlichen Zustand des Universums die Kunst gänzlich abgeschafft wurde, da sie als „verwirklicht“ gilt. Kunstwerke werden gemeinhin nur noch als esoterische Spinnerei lange zurückliegender Zeiten angesehen. Sie sind allerdings noch von archäologischem Interesse. Die im ganzen Universum aufgeklaubten Relikte werden nach Feldeváye geschickt, wo für die Auswertung, was hier Begutachtung und formale Klassifikation meint, Fachkräfte bereitstehen. Eine dieser Gutachterinnen, eine junge Frau namens Kathrin, kommt schließlich, unterstützt von ihrem Freund Severin, auf die Idee, die Kunst wiederzubeleben. Sie publiziert im virtuellen Internet einen Aufsatz, in dem sie die bahnbrechende These vertritt, Kunst habe einen „Inhalt“: „Diese Inhalte sind, lautet das stille Einverständnis aller damit Befassten, sozialer Art, was immer das sei“.

Auf jeden Fall führt die Entdeckung dieser Inhalte sozialer Art zu gesellschaftlichen Unruhen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Situation ist durch einen schon ewig schwelenden Konflikt besonders brisant, den man als kosmischen Klassenkampf verstehen kann: die Gruppe der Produzierenden („Prodisten“) führt eine Auseinandersetzung mit der verwaltenden Klasse, den „Admins“. Am Ende werden die Konflikte beigelegt und man ist zudem gewissermaßen wieder in der Kunst. Die Heldin Kathrin kann sich zufrieden zurücklehnen: „Kathrin genoss den Sonnenuntergang allein, da Severin trotz Schwangerschaft, vier Monate vor Umbettung der erwarteten Tochter in die Arpla und damit fünf Monate vor ihrer Geburt, zusammen mit Lukas und Ryad im Kutter aufgebrochen war, um abermals um die befreiten Eilande zu schippern, ein wenig zu fischen und die Handelsbeziehungen zu vertiefen, die Einbaum mit der Midraistadt Messentu unterhielt. ‚Es ist, wie du es dir immer gewünscht hast, nicht?’, neckte das Haus sie sanft.“ Um eine solche Idylle mit neckischen Häusern, entspannenden Sonnenuntergängen und Tauschhandel zu erreichen, muss man sich durch 800 Seiten in solcher Sprachgestalt hindurcharbeiten. Vielleicht ist man da ohne Kunst doch besser bedient.

Titelbild

Dietmar Dath: Feldeváye. Roman der letzten Künste.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
807 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783518465103

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