Vom kleinen Meldegänger zum großen Militär

Henrik Eberle skizziert Adolf Hitlers militärischen Werdegang

Von Clarissa HöschelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clarissa Höschel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Personen, über die zu schreiben auf den ersten Blick undankbar scheint, weil bereits endlose Regalmeter Bücher über sie und ihre Werke und Taten existieren. Im Falle Adolf Hitlers kommt hinzu, dass jener – der Begriff „Persönlichkeit“ mag der Rezensentin partout nicht passend erscheinen –  gleichsam Symbol und Synonym des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte ist, eine historische Figur, die auf ungesunde Art fasziniert und gleichzeitig jede gesunde Seele abstößt. Wer es dennoch wagt, ein weiteres Buch über Hitler zu präsentieren, sieht sich nicht nur einer immensen Konkurrenz ausgesetzt, sondern auch einem großen Kreis von Fachleuten und einem Publikum, das kritisch darüber wacht, dass sich beim Thema „Hitler“ auch ja niemand im Ton vergreift.

Henrik Eberle, selbst ausgewiesener Fachmann für das „Dritte Reich“, hat es, im Kontext des 100. Jahrestages des Beginn des Ersten Weltkrieges, mit seinem Buch „Hitlers Weltkriege“ gewagt und eine – (Teil-)Biografie? – Hitlers vorgelegt, die, so suggeriert der Untertitel, nachzeichnen soll, wie aus dem deutschnational gesinnten, im Ersten Weltkrieg vom Freiwilligen zum Gefreiten aufgestiegenen, kunstliebenden Österreicher ein (deutscher?) Feldherr oder (wie es auf den Webseiten sowohl des Verlages als auch des Autors nachzulesen ist) Diktator geworden ist.

Der Haupttitel „Hitlers Weltkriege“ liefert dazu sowohl den Zeitrahmen als auch den Kontext – die beiden Weltkriege und (implizit) auch die Zeit dazwischen. Nun umspannen gerade die Jahre von 1914 bis 1945 eine außergewöhnlich tragische und historisch komplexe Zeitspanne in der deutschen (und europäischen) Geschichte; der Fokus auf die zentrale Figur Adolf Hitler macht die Annäherung wahrlich nicht einfacher. Was darf der Leser also erwarten von Eberles knapp 350 Seiten?

Leider hilft uns der Autor an dieser Stelle nicht weiter, denn Vorwort oder Einleitung, die Aufschluss geben könnten über Fragestellungen und Absichten des Buches, fehlen. Dies ist umso schmerzlicher, als uns noch immer die Frage nach Schuld und Verantwortung für die Gräuel des „Dritten Reiches“ schwer und unverdaut im Magen liegt. War Hitler das alles überschattende „Monster“, von dem man sich gerade in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende nur allzu gerne und allzu dezidiert distanziert hat? Oder waren – im Gegenteil – die militärischen Strategen an dem Schlimmsten schuld, wie es sich für viele spätestens seit der Wehrmachtsausstellung der 1990er-Jahre dargestellt hat? Oder war es das einfache Volk – unsere Groß- und Urgroßeltern –, das diese Zeit erst möglich gemacht hat, wie sich viele Nachfahren seit Jahren fragen?

Die Forschung hat in diesem Punkt bereits ein ordentliches Stück steinigen Weges hinter sich, ohne deshalb bislang an einem Ziel angekommen zu sein. Konsens besteht immerhin insoweit, als inzwischen und unabhängig von persönlichen Befindlichkeiten klar geworden ist, dass das Phänomen „Drittes Reich“ zum einen ein höchst komplexes ist, in dem unendlich viele Rädchen ineinander laufen mussten, und zum anderen, dass dieses „Dritte Reich“ auch im historischen und gesellschaftlichen Kontext gesehen werden muss. Das mindert zwar weder seine Tragik noch seine Grausamkeit, trägt aber wichtige Aspekte zu einer Annäherung an das schwer fassbare Ganze bei.

Eberle bietet in seinem ersten Kapitel zwar einen kurzen Abriss zur Hitler-Forschung, der in groben Zügen den Paradigmenwechsel skizziert, durch den Hitler vom Alleinschuldigen sukzessive zum Hauptverantwortlichen geworden ist. Der Autor klinkt sich in die Forschungsströmungen an der Stelle ein, an der das zuvor kolportierte Bild vom militärisch ungebildeten Hitler revidiert wird. Nur: Genau das haben andere auch schon getan. Und: Ist dies die Fragestellung, die einem biografisch unterfütterten Buch über Hitler guten Gewissens zugrunde gelegt werden kann, ohne Gefahr zu laufen, dass sich Antworten auf diese Fragestellung lesen wie Rehabilitierungsversuche zum „Oberbefehlshaber Hitler“? Diesen Eindruck gewinnt man zuweilen bei Eberle, und dennoch: Das ist es nicht, was der Leser wünscht und braucht, um das Phänomen Hitler auch nur ansatzweise greifen zu können.

Orientieren wir uns also am Inhaltsverzeichnis, in der Hoffnung, dass dort der rote Faden des Werkes ersichtlich ist. Die Überschriften der zehn Kapitel suggerieren zumindest schon eine „runde“ Sache, denn der „Feldherr“ aus der Überschrift des ersten Kapitels erscheint wieder in der des letzten.

Dem aufmerksamen Leser fallen allerdings Nachlässigkeiten in den Terminologien beziehungsweise den Begriffspaaren auf, die aufgrund des Titels die grundlegende inhaltliche Struktur des Buches bilden (sollten). Gegenübergestellt werden dem „Gefreiten“ („Meldegänger“ auf der Buchrückseite) wechselweise die Begriffe „Feldherr“, „Diktator“ und „Oberbefehlshaber“, die beileibe keine reinrassigen Synonyme sind. Während der „Oberbefehlshaber“ semantisch als wertneutrale Bezeichnung eines militärischen Ranges durchgeht, lässt sich der „Diktator“ zum einen nicht auf den militärischen Bereich reduzieren, verweist zweitens auf eine persönlich-charakterliche Komponente und impliziert drittens Gewalt und Gewaltherrschaft – ist also stark negativ konnotiert.

Demgegenüber steht der „Feldherr“, der sich zwar wiederum auf einen militärischen Kontext beschränkt, die Rolle des so Bezeichneten aber doch eher in einem positiven, wenn nicht gar glanzvollen Licht erscheinen lässt. Fragt man weiter, wer denn auf die kühne Idee kommt, Hitler als einen Feldherrn zu bezeichnen, stößt man zunächst auf den ehemaligen Generalstabschef Franz Halder (1884-1972), der Hitler im Nachhinein ausdrücklich als „keinen Feldherren“ bezeichnet hat, und auf dessen 1949 erschienenes Buch „Hitler als Feldherr“.

Dann erscheint aber auch der verurteilte und hingerichtete Kriegsverbrecher Alfred Jodl (1890-1946); ihn zitiert Eberle in seinem Untertitel und auch in der Überschrift des letzten Kapitels, das von genau jener „Seele des Feldherrn“ handelt, die Jodl bei Hitler ausgemacht haben will. Jodls Zitat wird damit zu einem metaphorischen Impuls für Eberles gesamte Betrachtung. Ob dieser Kunstgriff glücklich zu nennen ist, sei dahingestellt.

Und wenn wir gerade dabei sind: Die Bezeichnung „Machtergreifung“ ist heutzutage eines seriösen Historikers unwürdig, auch wenn Joachim Fest in seiner 1973 erschienenen Hitler-Biografie sein gesamtes fünftes Buch mit diesem Begriff überschreibt. Inzwischen sind wir deutlich differenzierter in der Terminologie, und dieser Begriff suggeriert Gewalt, etwa durch einen Putsch, oder Illegalität, etwa durch Wahlbetrug. Beides war aber nicht der Fall; es handelt sich, auch wenn dies im weiteren Kontext dessen, was ab 1933 in Deutschland geschieht, viel zu harmlos klingt, um die legale Übertragung der Regierungsgewalt auf die NSDAP, bestenfalls also um eine Machtübernahme, wie es Eberle an anderen Stellen seines Buches korrekterweise nennt.

Womit wir wieder bei der Textgattung beziehungsweise bei der Frage wären, inwieweit wir eine Lebensbeschreibung in den Händen halten. Im Falle Hitlers ist eine Lebensbeschreibung so eng mit der sie umgebenden Geschichte verwoben, dass sie fast zwangsläufig zum historischen Skizzenbuch werden muss. Und das wiederum stellt den Autor vor die nächsten Probleme, dem der Positionierung (der Hauptfigur) und dem der Grenzziehung (zu den verschiedenen Teilbereichen und -aspekten des historischen Kontextes).

Dem versucht Eberle mit wechselnden Sprachstilen beizukommen – von einem biografischen Erzählstil hin zu sachlich-militärischen Analysen und zurück zu einem fast philosophischen Schluss. Dieser Stilmix lässt sich, je nach Rezeptionshaltung, sowohl positiv als auch negativ werten. Positiv deshalb, weil der jeweils unmittelbare Kontext auch sprachlich unterstrichen wird, was das Leseerlebnis insgesamt abwechslungsreicher macht. Negativ aber deshalb, weil gerade der militärisch-analytische Stil sukzessive die Oberhand gewinnt, was den stilistischen Erwartungen an eine Lebens- oder zumindest „Karrierebeschreibung“ entgegensteht. Und auch deshalb, weil gerade der vermeintlich philosophisch gefärbte Schluss einschließlich des Rückgriffs auf Goethes „Faust II“ – Eberle nennt Hitler in einer Zwischenüberschrift des letzten Kapitels einen „Homunkulus der Reichswehr“ – seinem eigenen Anspruch nicht gerecht wird und oberflächlich bleibt, wo ein in die Tiefe gehendes Fazit wünschenswert gewesen wäre.

Anerkennenswert ist demgegenüber Eberles Bemühen, auch die Interaktion zwischen dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht und seinen direkten Untergebenen zu skizzieren, denn dies unterstreicht die Wechselseitigkeit von Aktion und Reaktion, die ebenfalls eine wesentliche Rolle in der (nicht nur militärischen!) Eskalationsspirale spielt.

Ebenfalls zugute zu halten ist Eberle, dass er immer wieder auf Zitate aus „Mein Kampf“ zurückgreift, denn die Verwendung dieser Quelle trägt hoffentlich dazu bei, dieses Buch zu enttabuisieren und es zu sehen als das, was es ist: ein wirres Konglomerat von zusammengewürfelten Zitaten, Abschreibereien verschiedensten Ausmaßes, irrgeleiteter Überheblichkeit und dokumentiertem Größenwahn. Eberles Aussage, das Kriegspropaganda-Kapitel sei „eines der dichtesten und klarsten in dem sonst recht unübersichtlichen Buch“ ist in diesem Sinne – also sehr relativierend – zu verstehen.

Schwachstellen des Buches finden sich dagegen sowohl im Konzept als auch im Inhalt. So fällt gleich zu Beginn das Inhaltsverzeichnis auf, das in seiner Gliederung durchgehend auf Unterpunkte verzichtet und damit nicht nur den ersten Überblick erschwert, sondern auch den roten Faden nur leicht rötlich schimmern lässt. Beim Durchblättern des Buches freut man sich über den zentralen Bildteil, muss dann jedoch feststellen, dass die Abbildungen nicht nummeriert sind, obgleich im Text durchaus auf Nummern verwiesen wird. Hier wäre ein aufmerksamer Lektor vonnöten gewesen! Und auch der ordentlich gestaltete Anhang, der aus Anmerkungen, Personenregister und einer Literaturauswahl besteht, hätte durchaus noch einige Seiten Sachregister und eine chronologische Übersicht vertragen.

Inhaltliche Nachlässigkeiten finden sich beispielsweise auch in der Chronologie. Diese wird immer wieder aus thematisch-inhaltlichen Gründen durchbrochen, was grundsätzlich legitim ist. Trotzdem darf das nicht dazu führen, dass innerhalb eines Kapitels zunächst der Hamburger Prozess (1932) und dann die Boxheimer Dokumente (1931) erwähnt werden, danach erst die noch vor dem Hamburger Prozess gehaltene Düsseldorfer Rede (1932). Noch schwerwiegender ist es allerdings, wenn die Überschrift etwas ankündigt (zum Beispiel den Haltebefehl vom 16.05.1940), das im nachfolgenden Kapitel mit keinem Wort erwähnt wird.

Die beiden zentralen Fragen an Eberles Biografie sind denn auch inhaltlicher Natur: Zum einen, ob das zu Beginn Thematisierte – Hitlers Weltkriegserfahrung und die daraus gezogenen Lehren – gegen Ende zu einem Konsens geführt wird, und zum anderen, ob die formulierte Conclusio „Diktatur statt Monarchie“ – die im Kontext eines Europa fast voller Diktaturen zu sehen ist – als Lehre eines einzelnen Visionärs oder doch eher als Quintessenz von Zeitgeist und Nachahmung, vor allem Mussolinis, Francos und Stalins, zu deuten ist.

Beide Antworten fußen auf demselben Grund: der nicht stringenten Chronologie und dem fehlenden gesamthistorischen Kontext. Gerade die als Lehre IV formulierte Entscheidung zwischen Diktatur und Monarchie begründet Eberle auf gerade einmal zweieinhalb Seiten und größtenteils mit Zitaten aus „Mein Kampf“. So weit, so gut. Allerdings übersieht Eberle an dieser Stelle, dass diese Quelle erst 1925/26 publiziert wurde. Das bedeutet, dass zwischen dem Erstem Weltkrieg und Hitlers Formulierung seiner „Ansichten und Einsichten“ rund 10 Jahre liegen, in denen zudem Europas Diktaturen florieren. So ist beispielsweise Hitlers Münchner Putschversuch von 1923 weitaus weniger mit einer dieser Lehren in einen direkten Bezug zu setzen, sondern vielmehr mit Mussolinis 1922 erfolgtem Marsch auf Rom.

Je nach Perspektive des Lesers weist Eberles Werk also mehr oder weniger Schwächen auf; die Leseempfehlung gilt deshalb vor allem für militärisch Interessierte. Sie werden auch am ehesten ermessen können, inwieweit das Buch die einschlägige Forschung bereichert.

Titelbild

Henrik Eberle: Hitlers Weltkriege. Wie der Gefreite zum Feldherrn wurde.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2014.
349 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783455502657

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch