Emmentaler Verwirrspiel

Francesco Micielis „Der Agent der kleinen Dinge“ – eine Detektivgeschichte, die keine ist

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den 1956 in Italien geborenen Berner Schriftsteller, Dozenten und Theater-Allrounder Francesco Micieli kennt man als gewieften, mit allen Wassern postmodernen Erzählens gewaschenen Autor. Immer wieder hat er in den letzten Jahren Prosatexte vorgelegt, in denen die Wahrnehmungsperspektiven und Erzählebenen blitzschnell wechseln, poetologische Reflexionen den Erzählfluss unterbrechen und umlenken, Figuren überraschend verschwinden, an anderer Stelle wieder auftauchen und ihr eigenes Tun kommentieren, kurz: in denen es fast nichts gibt, auf das sich der Leser wirklich verlassen kann. Micieli ist ein staunenswert belesener und, nicht zuletzt deshalb, ein fragender, ein zweifelnder Autor. Auch sein Alter Ego Angelo, der Protagonist seines jüngsten, auf vertrackt-ironische Weise mit dem Krimi-Genre spielenden Erzählexperiments, ist ein melancholischer Zweifler an sich und der Welt. Seine literarische Existenz übrigens verdankt er dem Privatdetektiv Kayankaya, der in den Büchern von Micielis unlängst verstorbenem Freund Jakob Arjouni sein Unwesen treibt. Micieli lässt Angelo sogar mit Kayankaya telefonieren – ja, in den eigenwilligen Texten dieses Autors ist vieles möglich!

Eigentlich ist Angelo am Ende: Seine Frau hat ihn verlassen, und Arbeit hat er auch keine. In einem Zeitungsinserat bietet er sich als Agent an, und siehe, es meldet sich eine Frau, die einen Zettel mit der Nachricht „Du wirst sterben“ gefunden hat. Stimmt das? Angelo zweifelt – auch an seinem ersten Auftrag, der ihn ins Emmental führt, den Schauplatz von Micielis Meisterwerk Schwazzenbach, an das ein Erzählstrang des Agenten der kleinen Dinge nahtlos anzuschließen scheint. Denn sobald sein Agentenleben spannend zu werden verspricht, wird Angelo von Bildern aus der Zeit eingeholt, in der er als Migrantenkind in die Schweiz gelangt war und niemand wissen durfte, dass er da war. Oft genug prallt erinnerte Vergangenheit auf erlebte Gegenwart: Wer ist eigentlich die ominöse Barbara, seine Auftraggeberin, deren Schönheit ihn „zu einem im Kellerregal vergessenen Apfel“ gemacht hatte? Was will eine höchst attraktive Kellnerin wirklich von ihm? Hat der rigorose Weltverbesserer Wenger, der Chef der „Moralischen Aufrüstung“, irgendetwas mit seinem Vater zu tun? Könnte es gar sein, dass Angelo in Wirklichkeit zum Ermittler in eigener Sache mutiert ist? Was für ein Verwirrspiel! Sprachlich elegant, literarisch anspielungsreich, mit Ironiesignalen nicht geizend – und das alles nach Mozarts Oratorium Die Schuldigkeit des ersten Gebots gegliedert!

Allerdings: Francesco Micieli übertreibt es ein wenig. Seinem postmodernen Experiment, das eine erzählerische Volte nach der anderen schlägt und letztlich mäandernd ins Nichts verrinnt, fehlt gelegentlich der Drive. Vielleicht auch ein Ziel. Was genau will dieser Angelo eigentlich? Man weiß es bis zum Schluss nicht wirklich. Hat Micieli in seine kleine Geschichte zu viel hineinpacken wollen? Man liest den Agenten der kleinen Dinge locker an einem Abend durch. Seine intellektuell durchaus reizvolle Unentschlossenheit kann den Leser aber auch rasch ermüden.

Titelbild

Francesco Micieli: Der Agent der kleinen Dinge.
Zytglogge Verlag, Oberhofen am Thunersee 2014.
100 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783729608771

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch