Die Kunst an der Front

Ein von Bernd Küster herausgegebener Ausstellungskatalog untersucht die vielfältigen Beziehungen deutscher Künstler zum Ersten Weltkrieg

Von Rainer ZuchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Zuch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des 1. Weltkrieges erscheinen naturgemäß eine ganze Menge Publikationen. Die meisten sind historisch ausgerichtet, kunstgeschichtliche Veröffentlichungen sind da schon deutlich rarer. Meistens widmen sie sich dem Verhältnis der künstlerischen Avantgarden der klassischen Moderne zum Krieg wie etwa der Katalog der Ausstellung Die Avantgarden im Kampf in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, die allerdings schon im Februar zu Ende ging. Publikationen wie diese beziehen sich damit auf ein bekanntes, abgesichertes Programm und unterstreichen die Bedeutung, die der Krieg für die künstlerischen Entwicklungen und Künstlerbiografien der kunsthistorisch abgesicherten Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts hatte. Das ist wichtig, verbleibt aber im kunsthistorischen Mainstream. Die Konzentration auf die Avantgarden verstellt nämlich den Blick auf eine kunsthistorische Landschaft, die wesentlich vielschichtiger war. Die zeitgenössische Bedeutung der vielen Künstler, die in der Kunstgeschichte eher im Hintergrund stehen, war viel größer. Hierzu zählen unbekannt gebliebene Expressionisten und die vielen Künstler, die realistisch oder naturalistisch arbeiteten und deshalb künstlerisch konservativer erschienen, und die erst seit einigen Jahren zunehmend wiederentdeckt werden.

Der Ausstellungskatalog, um den es hier geht, leistet einen wichtigen Beitrag dazu. Die von Bernd Küster kuratierte Ausstellung „Der erste Weltkrieg und die Kunst“ fand bereits 2008 im Landesmuseum Oldenburg statt. Der Katalog wird aus aktuellem Anlass unverändert wieder aufgelegt – und das zu recht.

Der Titel „Der Erste Weltkrieg und die Kunst“ irritiert ein wenig, suggeriert er doch eine umfassende Behandlung des Ersten Weltkrieges in der Kunst; tatsächlich aber geht es um Arbeiten deutscher Künstler während des Krieges. Die Beschränkung auf den Zeitraum von 1914 bis 1918 ist durchaus sinnvoll, weil damit die direkte Wirkung des Krieges auf die künstlerische Produktion im Mittelpunkt steht und nicht, wie so oft, dessen nachträgliche Verarbeitung während der Weimarer Republik. Außerdem schafft dies die Basis für die Aufnahme zahlreicher meist wenig bekannter Künstler, bei denen die Größe des Namens nicht das Ereignis überdeckt, sondern den Zusammenhang des Krieges umso deutlicher hervortreten lässt. Bekannte Namen wie Otto Dix, Max Liebermann oder Ludwig Meidner erfahren so eine sinnvolle Relativierung. Deshalb kann der Katalog der Beziehung von Kunst und Krieg ganz besonders nahe kommen.

Der Einband zeigt ein eindrückliches Bild: Auf einer nahezu monochrom roten Fläche erkennt man Kopf und Beine eines Löwen mit blutigen Tatzen, zum Teil von Rauch oder Nebel verschleiert. Die Farbe Rot hat hier zwei Bedeutungen: Sie ist grafische Signalfarbe und sie assoziiert Blut, was unmittelbar auf den Krieg verweist. Es ist eine Lithografie von Willibald Krain mit dem bezeichnenden Titel „Blutrausch“ aus seiner Mappe „Krieg“ von 1916.

Die Katalogtexte geben zuerst einen historischen Überblick, widmen sich dann dem eigentlichen Thema und schließen mit Untersuchungen zu Spezialthemen ab. Den Auftakt macht ein recht gelungener historischer und soziologischer Text von Mareike Witkowski zum Verlauf des Krieges. Passend zum Ausstellungsort ist er mit Informationen zur Regionalgeschichte unterfüttert. Das liest man auch als Nicht-Oldenburger mit Gewinn, denn das Muster ist praktisch überall das gleiche: Kriegsbegeisterung zu Anfang; baldige Ernüchterung an der Front, als die schnellen Vormärsche der deutschen Armeen in einen brutalen Stellungskrieg münden; der eklatante Unterschied zwischen den Kriegsereignissen an der Front und dem, was man davon in der Heimat mitbekam; das Grauen der Grabenkämpfe ab 1915, die in apokalyptische und sinnlose Massenschlächtereien ausarteten und schließlich der Zusammenbruch 1918.

Den mit Abstand größten Teil, der etwa 150 Seiten umfasst, nimmt ein Text des Herausgebers Bernd Küster ein, der sich dem eigentlichen Thema widmet: deutsche Künstler im Ersten Weltkrieg. Küster erscheint dafür prädestiniert, weil er monografische Arbeiten zu mehreren der von ihm angeführten Künstler vorweisen kann, so zu Max Liebermann, Heinrich Vogeler und Otto Ubbelohde. Außerdem beschäftigte er sich mehrfach mit dem Expressionismus, der in der Verarbeitung des Ersten Weltkrieges ja eine herausragende Rolle spielt. Küster geht chronologisch vor, was die Einordnung der Künstler und ihrer Arbeiten in den Kriegskontext erleichtert und es ihm ermöglicht, Zeitpanoramen zu entwerfen. Um ein möglichst umfassendes Bild zu gewinnen, werden sehr viele Künstler in den unterschiedlichsten Positionen einbezogen: Kriegsfreiwillige, Kriegsmaler und privat Arbeitende; Künstler an der Front und in der Heimat verbliebene; Propagandisten und Gegner; schonungslose Realisten und Idylliker; freie Künstler und Gebrauchsgrafiker.

Küster beginnt mit der Situation unmittelbar vor Kriegsausbruch. Neben den vorahnend-apokalyptischen Bildern eines Ludwig Meidner dominieren kulturpolitische Diskurse das Feld, die den Krieg als den Weg aus einer Kulturkrise sehen, indem er alle deutschen Künstler unter dem nationalen Banner zusammenrufe und damit der (vor allem französischen) Überfremdungsgefahr sowie der modernen Zersplitterung von Leben und Gesellschaft entgegenwirke. Immer wieder wird gerade in Kunst- und Kulturzeitschriften wie dem „Kunstwart“ der Krieg als vereinigende und reinigende Kraft beschworen, der die Schaffung eines deutschen Nationalstils befördere, ein Horn, in das selbst die international ausgerichteten Sezessionisten aus München, Düsseldorf und Berlin fast unisono stießen. Nicht umsonst finden sich gerade unter Künstlern so viele Kriegsfreiwillige.

Küster gliedert seinen Text in historische Überblicksteile und Abschnitte zu einzelnen Künstlern. Ihre Kriegserfahrungen bringen ganz unterschiedliche Bilder hervor, in denen sich die verschiedenen Facetten der „Kriegskunst“ zeigen: Alltag im Schützengraben, der Frieden in den Feuerpausen, der Terror der Kampfhandlungen, explodierende Granaten, Massengräber. Neben direkten Bezügen auf Alltagserlebnisse stehen Blätter, die Hass, Zerstörung und Barbarei in Allegorien und Metaphern gießen und das Kriegsgeschehen in Bildern fundamentalen Leidens symbolisch überhöhen. Andere Bilder zeigen die gänzlich neuen Qualitäten des Krieges als technologisches Ungeheuer und als ständige Überforderung und Überwältigung der Sinne, wozu gerade die Formensprache expressionistischer Künstler in der Lage ist.

Und dann gibt es noch die künstlerische Propaganda, die zum Teil von denselben Künstlern praktiziert wird. Die Grenzen zwischen Propaganda und Widerstand verschwimmen, zumindest personell. Es entstehen Offiziers- und Feldherrenportraits (allen voran natürlich Hindenburg), öffentlichkeitswirksame Plakate, die zu Materialsammlungen für die Front oder zur Zeichnung von Kriegsanleihen aufrufen, oder Beiträge für Zeitschriften. So ergibt sich ein sehr facettenreiches Bild der Situationen von Künstlern im Krieg, das überdies gut geschrieben und reich bebildert ist.

Der nachfolgende Artikel von Bernd Apke über religiöse Ikonografie in Kriegsbildern ist besonders schön zu lesen. Dabei stellt sich heraus, dass viele Künstler zur Verdeutlichung ihrer Haltung zum Krieg auf ganz bestimmte christliche Leitfiguren zurückgriffen: die Heiligen Sebastian, Michael und Georg und Christus; dazu kommen apokalyptische Szenen, die sich auf das Buch der Offenbarung beziehen. Grob gesagt verkörpern der von Pfeilen gespickte Sebastian und die Passion Christi Klage, Trauer und Wut über das sinnlose Gemetzel, während die Ritterheiligen Michael und Georg zum Kampf aufrufen. Der Verwendung religiöser Metaphern liegt dabei ein Verständnis des Krieges als schicksalhaftes Verhängnis, als Katastrophe und als Prüfung des Volkes zugrunde. Der Krieg wird in ein überzeitliches Phänomen verwandelt und aus der Geschichte herausgelöst. Solche Verwandlungen historischer Ereignisse in allegorische und symbolische Bilder stellen ein regelrechtes Charakteristikum der Kunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts dar.

Anschließend analysiert Katja Stolarow die deutsche Karikatur während des Krieges. Der Text fällt gegenüber dem vorangehenden stilistischen Höhepunkt leider deutlich ab und hat etwas von einer Seminararbeit. Inhaltlich gibt er aber einen recht guten Überblick über die Hauptströmungen und die wichtigsten publizistischen Organe der deutschen Kriegskarikatur, geht dabei besonders auf den „Simplicissimus“ und den „Kladderadatsch“ ein und arbeitet das Phänomen der fast durchgängigen ideologischen Gleichschaltung aller Blätter heraus, die fast immer aus eigenem Antrieb geschah – oder den aus der allgemeinen Kriegsstimmung resultierenden wirtschaftlichen Druck zu berücksichtigen hatte.

Zum Schluß schlägt Jörg Meissner in seiner Besprechung des Zyklus „Verdun“ von Robert Schneider eine Brücke zur Gegenwart. Die realistischen Kohlezeichnungen thematisieren weniger den Krieg selbst, sondern vielmehr Verdun als Erinnerungsort und Ort des Gedenkens.

Die Qualität der durchweg in den Text integrierten Abbildungen ist recht gut, was angesichts des dafür nicht optimalen Papiers durchaus eine Erwähnung verdient. Zwei Kritikpunkte sind jedoch noch zu vermerken. Bei den Bildangaben fehlen die Maße. Das ist in einem Ausstellungskatalog nicht nur prinzipiell ein Fehler, sie wären auch deshalb interessant gewesen, weil sich der Krieg unmittelbar auf die Formate auswirkte: Künstler im Feld konnten materialbedingt fast nur kleinformatig arbeiten. Auch das verwendete Material selbst ist wichtig: Die Künstler arbeiteten meist mit Bleistift, Tuschefeder oder Aquarellfarben, also Materialien, die man leicht transportieren und verarbeiten konnte. Die Kohlezeichnungen Schneiders lassen aufgrund ihres Detailreichtums und ihrer Monumentalität Großformate vermuten, aber man wüsste es halt gerne. Außerdem fehlt – wie leider bei vielen Ausstellungskatalogen – ein Register.

Das ist aber Kritik auf hohem Niveau. Der Katalog ist ein verdienstvolles Werk, der facettenreich die engen Verflechtungen von Kunst und Ersten Weltkrieg herausarbeitet. Wer sich mit der Beziehung von Kunst und Krieg beschäftigt, wird an ihm nicht vorbeikommen.

Titelbild

Bernd Küster (Hg.): Der Erste Weltkrieg und die Kunst. Von der Propaganda zum Widerstand.
Merlin Verlag, Gifkendorf 2014.
240 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783875362664

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