Zu dieser Ausgabe

Fällt Ihnen etwas zu Finnland ein? Also außer den Filmen von Aki Kaurismäki, in denen man schweigende Männer vor Schnapsgläsern sitzen sieht? Dieses Jahr ist Finnland zu Gast bei der Frankfurter Buchmesse: Alle diejenigen, die noch nicht mitbekommen haben, was in diesem kühlen Teil Europas so alles los ist, haben dort Gelegenheit dazuzulernen. Auch wir geben Nachhilfe: In unserer Oktober-Ausgabe, die wie immer einen Themenschwerpunkt zur Frankfurter Buchmesse bringt, findet sich eine Finnland-Rubrik mit Rezensionen zu belletristischer Literatur.

Hinzu kommen Besprechungen jener Bücher, die für den deutschen Buchpreis nominiert wurden: Über die bereits rezensierten Titel hinaus wird unsere Sammlung laufend ergänzt – auch wenn es dieses Jahr bereits viel Schelte für die Jury und ihre Auswahl gegeben hat. Wie immer gilt: Es gibt auch noch ein literarisches Leben außerhalb des Rummels um den deutschen Buchpreis. Darüber zu berichten, ist uns mindestens ebenso wichtig wie sogenannte Long- und Shortlists.

Zumal man sich überlegen kann, wie viele der Titel, die bisher einmal für einen deutschen Buchpreis nominiert wurden, man in 10, 20 Jahren überhaupt noch lesen wird. Daran schließt sich allerdings eine weitere, sehr viel grundlegendere Frage an: Wie wird man sie, wenn überhaupt, in Zukunft lesen? Das heißt: Wie weit und wie schnell wird die Digitalisierung unseres gesamten Kulturlebens voranschreiten und welche konkreten Folgen wird dies haben? Wird man 2030 zum Beispiel überhaupt noch Bücher drucken? Mehr noch: Wird man am Ende sogar über iPads und iPhones nur noch so müde lächeln wie über altmodische Gerätschaften seniler Großväter, die versonnen auf ihre gute, alte Kuckucksuhr blicken? Was aber wird danach kommen?

Dies sind Fragen, die man auf der Buchmesse diskutieren kann, und sie dürften auch die Zukunft unserer Zeitschrift literaturkritik.de betreffen. Zwar sind unsere Artikel seit Anbeginn online erschienen, aber wenn sich das gesamte Lesen aufgrund der skizzierten medialen Revolution weiter verändern sollte, würde sicher auch die Literaturkritik allgemein nicht mehr dieselbe bleiben: Könnte es doch schon bald viel machtvollere Filter- und Auswahlprozesse geben, die solchen ästhetischen Bewertungsformen zuvorkommen und sie obsolet erscheinen lassen.

Eines muss klar sein: Wenn man sich darüber selbst in der „Bild“-Zeitung den Kopf zerbricht, dürfte auch dem letzten Zeitgenossen dämmern, dass tiefgreifende Umwälzungen im Gange sind. „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann konstatiert, dass sich die Konsumgewohnheiten nun einmal auch innerhalb der digitalen Welt verändert hätten. „Heute wird nicht mehr gesucht“, zitiert ihn der österreichische „Standard“ aus einem Wiener Vortrag über Google und Co., in dem Diekmann erklärte, dass man die Konsumenten mittlerweile aktiv ansprechen müsse, um sie überhaupt noch zu erreichen: „Die Smartphone-Welt“ sei das Gegenteil einer Gesellschaft, in der man noch nach Nachrichten irgendwelcher Art selbst recherchiere. Stattdessen gebe es „geschlossene Ökosysteme“: „Die junge Generation hat längst gelernt: Findet mich der Inhalt nicht, ist er auch nicht relevant für mich.“

Nun sind „Generationen“ bekanntlich Konstrukte, und es bleibt die Frage, ob wirkliche alle ,jungen Leute heutzutage’ bereits so denken. Falls dies zuträfe, wäre das allerdings fatal: Sollte tatsächlich eine ganze „Generation“ nur noch das glauben, was ihr etwa die „Bild“-Zeitung serviert, ohne dass sie selbst es noch für nötig hielte, auf eigene Faust nach alternativen Informationen zu suchen, hätte die politische Kultur dieser Gesellschaft ein Problem: Wer nur noch das zur Kenntnis nimmt, was das Medium seiner Wahl ihm ganz von alleine übermittelt, entmündigt sich selbst und wird fortan jeder Propaganda glauben, die ihm auf diese Weise mehrheitsfähig erscheint oder seine Gefühle erfolgreich zu manipulieren versteht.

Allerdings haben wir immer noch ein anderes Publikum, als es Kai Diekmann vor Augen hat: Die meisten Leserinnen und Leser von literaturkritik.de sind nach wie vor Menschen, die im Netz gezielt nach bestimmten Informationen über literarische oder wissenschaftliche Themen suchen. Unsere Online-Abonnenten nutzen dabei gerne die erweiterten Recherche-Angebote unserer Seite, die es ihnen erlauben, Texte in dem stetig wachsenden Archiv von literaturkritik.de zu finden. Was sich dort innerhalb der letzten 15 Jahre zu bestimmten Büchern, Autoren, Themen und Kontroversen an Information und Einschätzungen angehäuft hat, kann sich sehen lassen. An unserer Absicht, auch die außeruniversitäre Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen, was die Literatur- und Kulturwissenschaften an den Universitäten bewegt, halten wir fest: Wir bedanken uns für Ihr Interesse und Ihre Unterstützung unserer Arbeit und wünschen Ihnen einen anregenden Bücherherbst.

Herzlich
Ihr
Jan Süselbeck