Warum hat der Mensch nichts, wenn nicht aus Angst?

Über den Roman Restwärme von Kerstin Preiwuß

Von Eileen EichstädterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eileen Eichstädter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine nüchterne Geschichte von dem dunklen Erinnerungssog des Aufwachsens, eine Familiengeschichte, die geprägt ist von Gewalt, Alkohol, Resignation und ein klein bisschen Liebe. Mit einer klaren, fast schon neutralen, doch harten Sprache wird aus Heimatidylle pure Brutalität und Trostlosigkeit. Es sind zumeist kurze knappe Kapitel und Beschreibungen von Familienszenen der Gegenwart und Vergangenheit, von dem Leiden der einzelnen Familienmitglieder, von ihrem Alltag, von ihren Beziehungen zu den Eltern und ihren Kindern – und doch hinterlassen sie einen intensiven Eindruck bei dem Leser. Oft reichen bloße Andeutungen aus: Gewisse Dinge – das vervollkommnet Preiwuß – müssen nicht bis ins Detail ausgemalt werden.

Obwohl es doch eigentlich um Marianne geht, die im Anschluss an eine Dienstreise zur Beerdigung ihres Vaters zur Mutter und zum Bruder in die Provinz der ehemaligen DDR fährt, wird recht schnell klar, dass es hier um mehr geht als das. Marianne wird von dem Schicksal ihrer Verwandten sowie ihrer eigenen Vergangenheit heimgesucht. An ihr wird ein Exempel statuiert, das besagt, dass niemand frei ist von seiner Herkunft und Vergangenheit. Der Vater war ein Schläger und Alkoholiker, die Mutter einerseits Opfer andererseits aber auch Verteidiger des Vaters. Der Bruder ist ein schwächlicher Junge, der seine durch den Vater erfahrene Angst und Wut an noch schwächeren Tieren und Kreaturen auslässt. Marianne selbst ist ein kluges Kind, das allerdings noch minderjährig schwanger wird und trotzdem die Oberschule als Drittbeste schafft, erfolgreich studiert und sich letztlich nach Berlin absetzt. Sie ist eine Einzelkämpferin, die sich durchbeißt und gegen die Lieblosigkeit kämpft, in der sie aufgewachsen ist. Im Hintergrund erlebt man die Brutalität des Ersten und Zweiten Weltkrieges: Kriegserfahrungen und Verletzungen, über die sich Mariannes Vater am Stammtisch immer wieder stolz austauscht und die ihn doch zum Säufer gemacht haben. Ein Rückblick in die Vergangenheit des Ersten Weltkrieges gibt Aufschluss: Mariannes Vater war ein unnahbarer blind-gewordener Flüchtling aus Russland, in das die Familie zuvor eingewandert war. Der Sohn wuchs als Halbwaise mit einem Vater auf, der ihm jegliche Zärtlichkeit verweigerte.

Umso mehr man von Mariannes Vater erfährt, so wundert einen nichts mehr, doch die Erinnerungen sind keine Verteidigung oder Entschuldigung und können Marianne ihrer Familie nicht näher bringen. Zwischen ihnen gibt es höchstens verstockte, leise Liebesgesten, doch die Sturheit aller Beteiligten verhindert ein glückliches Zusammenkommen. Es ist ein abgekühlter Hass, der in Resignation mündet. Eindrucksvoll ist dabei auch, wie Marianne auf ihren schwerkranken, sprachunfähigen Vater trifft und man förmlich zuschauen kann, wie sie ihrer Ungeduld und Verachtung nicht mehr Herr wird. Zwischen den Phasen eines gewaltbereiten und tyrannischen Vaters zeigt sich doch auch sein Beschützerinstinkt und Rührseligkeit, ein zartes Gefühl für seine Kinder.

Der erwachsene Bruder und die Mutter können Marianne ihren Weggang und Werdegang nicht verzeihen: Der eine äußert dies in Desinteresse und Wut und möchte sie von seinem Schutzort – dem Haus am See – fernhalten; die andere möchte ihr eigenes Erbe an die Tochter weitergeben und kann aufgrund ihrer Vorwürfe das eigenständige Leben der Tochter nicht akzeptieren.

Preiwuß zeichnet vielschichtige Charaktere, die in kurzen Sätzen und Bildern zu vollendeten Gestalten heranwachsen, die zu verurteilen nicht einfacher wird, umso mehr man in ihren Roman eintaucht. Dazu gibt es Anspielungen auf das Leben in der DDR und nach der Wende. Doch das dominiert nicht, sondern zieht vorbei wie die Landschaft, die Marianne auf dem Weg von und nach Berlin aus dem Zugfenster heraus beobachtet.

Eindrucksvoll sind nicht zuletzt die Tierbilder, die Preiwuß schafft, welche in der umgebenden Natur und im Arbeitsalltag von Vater und Sohn Hans eine wichtige Rolle spielen, so wie auch der misshandelte Hund, der Mariannes kleiner Tochter eine bleibende Narbe am Arm beibringt. Auch das ist ein weiterer Themenkomplex: die alleinerziehende Marianne mit ihrer pubertierenden Tochter Marie, die vom Tod ihres Großvaters nichts erfährt und auch nichts von der wahren Herkunft ihrer Narbe weiß. ‚Restwärme‘ trifft die unterkühlte Beziehung zwischen Marianne und ihrer Familie recht gut, ein kleines Stück Wärme ist noch vorhanden, man weiß aber nicht, wie lange noch. Ein Buch, dass sich zu lesen lohnt, wenn auch die vorherrschende Trostlosigkeit durchaus zu Schaffen machen kann.

Titelbild

Kerstin Preiwuß: Restwärme. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2014.
240 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783827012319

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