Fast ein Meisterwerk

Nino Haratischwilis „Das achte Leben (Für Brilka)“ beschreibt die Geschichte einer Familie von 1900-2006

Von Roman HalfmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Halfmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die 1983 geborene Autorin und Theaterregisseurin Nino Haratischwili hat mit ihrem dritten Roman ein sagenhaft ambitioniertes, in der Anlage geradezu lateinamerikanisch anmutendes Epos vorgelegt, das jedoch deutlich schwächelt. Wobei auf den ersten Blick alles vorhanden ist: Mit Georgien ist immerhin eine höchst interessante Szenerie  als Hauptschauplatz gefunden und auch die Familie, die der Roman über sechs Generation und acht Hauptpersonen begleitet, liefert eine wohlfeile Mischung aus tragischen, skurrilen und komödiantischen Elementen. Auch der magische Realismus kommt in Gestalt einer geheimnisvollen Rezeptur für Schokolade ins Spiel, welche unvergleichlichen, ja überirdischen Genuss verheißt. Und über all dem dräut und brodelt der Kommunismus, der Wohl sowie Wehe aller Protagonisten gleich einem düsteren Strippenzieher bestimmt. Zudem leiten kluge Zitate jedes Kapitel sorgfältig und bildungsbeflissen ein – weshalb jeder zufrieden sein dürfte, es aber nicht wirklich ist.

Oberkante Unterlippe

Nun ist es sicherlich schwer, den Atem über 1.300 Seiten zu halten, weshalb es also kaum verwerflich wäre, würde der Roman gegen Ende absacken oder sich zunehmend in den Handlungsfäden verlieren. Oftmals gewinnt ein Epos ja auch durch einen derartigen Schwächeanfall an Statur und Autor oder Autorin an Natur. Aber dies ist nicht das Problem Nino Haratischwilis, die stets überaus kontrolliert und bewundernswert ökonomisch zu Werke geht. Mit nicht nachlassender Kraft bezwingt sie so einen Zeitraum von 1900 bis 2006 – eine sicherlich erstaunliche Leistung. Das kommt dann alles sehr konventionell, chronologisch und ohne jede Spielerei daher – doch nichts gegen gescheite Konventionalität! Postmoderne Bagatellen stehen dem Leser ja bekanntlich bis Oberkante Unterlippe.

Nein, die Schwierigkeit des Romans liegt in der Erzählsituation verborgen, also in seiner DNS. Die Geschichte wird vom zweitletzten Glied der familiären Kette, der hochintelligenten Niza erzählt, dem bisher letzten, eben der im Titel erwähnten Brilka. Brilka nämlich möchte wie Niza in Deutschland bleiben und also ihrem Heimatland den Rücken kehren, weshalb Niza nun also zu erklären versucht, woher sie beide stammen. Das ist sicherlich einerseits eine geschickte Konstellation, kann Niza doch die meisten Begebenheiten nur vom Hörensagen berichten und ist also auf Vermutungen, Ausschmückungen und Erklärungen angewiesen. Hilfreich sowie klug ist dies dann, wenn der Autor/die Autorin es vermeiden möchte, authentisch und also in diesem Fall historisch zu erzählen. Ist es auf diese Weise doch einfacher, eine Art anrüchige Allwissenheit zu installieren, also Vor- oder Rückgriffe vorzunehmen und sich also frank sowie frei im Plot zu bewegen.

Durch die Lappen

Allein, Nino Haratischwili hat diese Perspektive wohl aus einem anderen Grund gewählt; so kommandiert sie zwar Niza als Stellvertreterin an die Front, verzichtet aber so gut wie gänzlich auf die sich nun bietenden Freiheiten. Stattdessen wird Leben für Leben in einem eben doch quasi-authentischen Ton ausgebreitet, da Niza bereitwillig hinter die jeweilige Hauptperson tritt. Den delegierten Anspruch aber, nämlich ganz mit der Hauptperson zu verschmelzen, kann diese eben so wenig einlösen wie ihre Schöpferin: Zwar bemüht Niza sich, so lebendig, so farbig und so nah am Mann/an der Frau wie irgend möglich zu erzählen, fällt aber immer wieder mit Sentenzen aus der Rolle, die abstrakt und beziehungslos umherdümpeln, ja, manches wirkt gar wie aus einem Lexikon abgeschrieben und von dem jeweiligen Protagonisten mehr referiert als erlebt. Womit sich das Authentische zur Oberflächlichkeit wandelt und die Figuren außerhalb ihres historischen Settings im Nichts agieren. Da drängt sich der Verdacht auf, dass die Autorin mit der gewählten Erzählhaltung eine Unsicherheit zu kompensieren trachtet, aus der heraus sie es nicht wagt, das Romanpersonal selbst zu Wort kommen zu lassen

So chargierte der Roman in der Genese zwischen zwei Möglichkeiten: Nämlich eine postmoderne Erzählung mit zweifelhaftem Erzähler zu sein oder eben ein klassischer historischer Roman. Er ist nun beides und das kann nicht gut gehen. Dass Nino Haratischwili sich zu keiner Möglichkeit klar bekennt, ist ihr vorzuwerfen, denn angesichts ihres allseits waltenden enormen Talents scheint uns wohl ein Meisterwerk durch die Lappen gegangen zu sein, was ja stets recht unerfreulich ist.

Titelbild

Nino Haratischwili: Das achte Leben (Für Brilka). Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2014.
1280 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783627002084

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