Sehnsucht nach Freiheit

Unter dem Titel „Landgang“ ist der Briefwechsel zwischen Stefan Berg und Günter de Bruyn erschienen

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 1. Januar 1982 wandte sich ein 17-jähriger Schüler mit einem Brief an den Schriftsteller Günter de Bruyn, in dem er sich herzlich für die mutigen und ermutigenden Worte bedankte, mit denen der bekannte DDR-Autor auf der Berliner Begegnung zur Friedensförderung (13./14.12.1981) für die unabhängigen Friedensbestrebungen kirchennaher und anderer Gruppen in der DDR eingetreten war. Das Fazit von de Bruyns Rede im Kongresssaal des Ostberliner Hotels Stadt Berlin lautete damals: „So erfreulich die Unterstützung der westeuropäischen Friedensbewegung durch die DDR auch ist, so fraglich wird ihr Nutzen bleiben, solange der Eindruck entstehen muß, daß das drüben Bejubelte hüben unerwünscht ist.“

Den jungen Stefan Berg, der de Bruyn sein Schreiben eigenhändig in den Briefkasten gesteckt hatte, weil das Gymnasium, in dem er eben die 12. Klasse abschloss, gleich um die Ecke lag, bewegten de Bruyns Worte, an die er nur über Umwege kam, weil die DDR-Medien Kritisches vom Schriftstellertreffen verschwiegen, gleich in zweifacher Hinsicht. Zum einen sympathisierte er selbst – in seinem Elternhaus streng christlich erzogen – mit jenen Friedensbewegten, die der Staat nicht tolerieren wollte und permanent überwachen ließ. Zum anderen stand auch für ihn nach dem Abschluss der Schule und noch vor dem Beginn eines Studiums der so genannnte „Dienst an der Waffe“ an, jene mindestens 18 Monate bei der Nationalen Volksarmee der DDR, die jeder gesunde junge Mann zu absolvieren hatte. Und für diejenigen, die für die Zeit danach eine Karriere planten, war es sogar besser, sich gleich für drei Jahre als Unteroffizier zu verpflichten und damit zu signalisieren, dass auf sie in ideologischer Hinsicht Verlass war.

Für Berg kam Letzteres nicht infrage. Statt zu den bewaffneten Streitkräften meldete er sich unter Verweis auf seine christliche Erziehung zu den „Bausoldaten“. Die wurden als „Wehrdienstverweigerer“ noch strenger gehalten als die normalen Soldaten in den Kasernen. Allerdings blieb ihnen die Ausbildung an der Waffe erspart. In de Bruyns Einlassungen auf der Berliner Begegnung war auch von ihrem relativ rechtlosen Dasein die Rede. Indem der Schriftsteller dort einen „sozialen Friedensdienst“ (SOFD) ins Gespräch brachte, stellte er sich auf die Seite all jener – hauptsächlich kirchlichen – Kreise, die eine Art „Zivildienst“ auch in der DDR als Alternative für jene, die nicht zum Töten ausgebildet werden wollten, forderten. Berg dürfte den vielgelesenen Autor also als eine Art Verbündeten gesehen haben und öffnete sich ihm vom ersten Brief an voller Vertrauen und ohne die unter DDR-Bürgern sonst weit verbreitete Vorsicht im Umgang miteinander.

Die jetzt von Berg in einem schmalen Bändchen vorgelegten Dokumente eines fast zwei Jahre dauernden Briefwechsels – außer den 27 eigenen Briefen finden sich 16 meist kürzere Erwiderungen de Bruyns und knapp 20 Schriftstücke, die zeigen, wie engmaschig das Netz war, das die Staatssicherheit um einen einmal in Verdacht Gekommenen ziehen konnte – belegen, wie groß der Freiheitsdrang von jungen Menschen in einem gleichmacherischen System sein konnte. Wie sehr man sich nach Wahrheit sehnte und selbstentschieden zu handeln und zu denken einforderte. Sie sprechen aber auch davon, wie wichtig es war, in vielen als ausweglos empfundenen Situationen einen Gleichdenkenden an seiner Seite zu wissen und Hilfe zu finden, wenn der eigene Kopf keinen Ausweg mehr anzubieten hatte.

De Bruyns Unterstützung für den noch unfertigen jungen Mann, der sich ihm auf fast naive Weise in die Hände gegeben hatte, bestand vor allem in seiner Präsenz. Dass da jemand – in diesem Fall ein Schriftsteller – ist, dem man sich rückhaltlos öffnen kann – dieses Gefühl des Nicht-allein-in-der-Welt-Stehens scheint Stefan Berg durch die konfliktreiche Zeit als Bausoldat im Norden des Landes geholfen zu haben.

Wenn Berg in seinem Vorwort deshalb von der Funktion kritischer DDR-Schriftsteller als „Klagemauer“ spricht, versteht man diese Einschätzung umso besser, wenn man in den Briefen verfolgt, wie vor- und umsichtig der um 38 Jahre Ältere dem sich ihm Anvertrauenden antwortet, gelegentlich zu Vorsicht mahnt und sich müht, ihm eine schwierige Lebensphase durch seinen Beistand leichter zu machen. Was da ein Einzelner mit einem anderen Einzelnen tut, das haben Dutzende von DDR-Schriftstellern mit Tausenden ihrer Leser getan und sie dabei bekräftigt, in einem Land, das einen vorgefertigten Weg für alle anbot, ihre eigene kleine Schneise ins Unbegangene zu schlagen.     

Titelbild

Günter de Bruyn / Stephan Berg: Landgang. Ein Briefwechsel.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014.
146 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783100001566

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