Ein Spiel

Andre Georgi hat in seinem Thriller „Tribunal“ schlimme Zeiten und Leute im Visier

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Serbienkrieg ist lange vorbei. Serbien, Montenegro, Kroatien – all diese Länder, die aus dem vormaligen Jugoslawien entstanden sind, drängen heute in die Europäische Union. Die Massaker, die Christen an Muslimen und umgekehrt verübt haben, sind aber nicht vergessen. Sie sind ein schlimmes Erbe, das diese Länder und die Union mit sich herumschleppen.

Das ist für den Thriller ein ungeheuer fruchtbares und furchtbares Feld: Dabei gibt diese Szenerie – wenn soviel Distanz sein darf – Gelegenheit, sehr hergebrachte und dabei immer noch skandalöse Gegensätze miteinander zu konfrontieren: Gewalt, Grausamkeit versus Zivilisation und Friedfertigkeit. Die Nähe von unvorstellbaren Gewalttaten und einer Grausamkeit, die ihresgleichen sucht, mit dem was wir Zivilisation gewohnt sind zu nennen, ist so groß, dass das eine das andere zu kontaminieren scheint und dass das Zivilleben von der Gewalt überwältigt wird.

In David Peaces „Red Riding Quartett“ ist diese Hinterlegung der Normwelt durch eine irrationale und von Macht und Selbstsucht bestimmte Unterwelt grandios vorgeführt. Andre Georgis „Tribunal“ übertrifft die düstere Welt von Peace noch, und zwar nicht weil er größere Grausamkeiten vorführt, sondern weil der Krieg in Südosteuropa – nur einen Katzensprung entfernt von Wien – näher an der zivilen Welt ist als die eines englischen Serienkillers. Serienkiller sind vielleicht die Alpträume der Zivilgesellschaft, Kriege aber sind ihr Untergang.

Es sind dabei eher die kleinen Hinweise, die das demonstrieren, etwa die auf die Uniformen, die im Feld getragen werden müssen, damit ihr Träger ein wirklicher Mann ist. Es sind denn auch Männer, die dieses Leben führen, finstere Kampagnenfürsten und -soldaten, die ihren Zug nie verlassen haben.

Jetzt, zehn Jahre nach Ende des Krieges, sind sie seit Jahren auf der Flucht. Geschützt von ihren Landsleuten, die ihnen eine heroische und grausame Zeit verdanken, überleben sie, haben Macht und Einfluss. Aber die Rückkehr ins Zivilleben ist ihnen ebenso versperrt, wie die zum Krieg selbst – der ist verloren und vorbei. Die meisten wollen ihn vergessen. Nur die nicht, die am meisten vom Krieg profitierten und dort ihre größte Zeit hatten, mit der Macht über Leben und Tod.

Insofern sind die Soldaten jenes ehemaligen Truppenführers Kovać verlorene Gestalten, ein Trupp im Niedergang, der sich mit aller Macht und großer Zähigkeit dagegen wehrt. Das ist allerdings eine Wahrnehmung, die gegen die Handlung des Romans Georgis gesetzt ist: In deren Fokus steht eine serbischstämmige, aus Deutschland kommende Agentin des Internationalen Gerichtshofs, Jasna Brandič, die einen Kronzeugen gegen eben diesen Kovać zum Gericht bringen will.

Kovać ist nach Jahren endlich ausgeliefert worden, er sitzt in Den Haag. Das Verfahren gegen ihn ist zäh und langatmig. Die offensichtlich korrekten Vorwürfe müssen bewiesen werden – was bislang nicht gelungen ist. Immer wieder springen Zeugen ab oder verschwinden, sie werden bedroht oder ermordet.

Dieser Zeuge aber, der aus direktem Umfeld von Kovać stammt, wird auf der Fahrt zur Gerichtsverhandlung Opfer eines ausgeklügelten Attentats. Das gesamte Wachpersonal bis auf Jasna Brandič kommt dabei ums Leben. Ein Anschlag, der im friedlichen Den Haag besonders aus dem Rahmen fällt. Im USA-Thriller, Schauplatz Washington keine Seltenheit und ungemein plausibel – aber in Den Haag?

Die Ermittlerin sieht sich um Jahre ihrer Arbeit betrogen – und als sie einen Tipp erhält, dass ein weiterer Adjutant Kovać als Kronzeuge zur Verfügung steht, geht sie wieder los. Das setzt eine rasante Handlung in Gang, in der die persönliche Geschichte der Ermittlerin mit der dieses neuen Kronzeugen verknüpft wird. Das ist nicht wirklich wahrscheinlich, aber dafür umso bedeutungsschwangerer. Dass dieser Kronzeuge und diese Ermittlerin enger miteinander verknüpft sind, als anfangs eingeräumt wird, merkt man schnell. Der Brisanz der erzählten Geschichte tut das keinen Abbruch, bis hin zum Showdown, an dem dann endlich der Zerfall dieser Resttruppe des chauvinistischen Kriegerlebens feststeht.

Es ist eine der Merkwürdigkeiten der westlichen Zivilisation, dass sie der aggressiven Attacke kaum Widerstand zu leisten scheint: zu weich, zu zivilisiert, zu wenig Gewalt. Und doch siegt sie am Ende. Weil sie ihre Repräsentanten doch mehr zu verpflichten weiß, als jene Horrortruppen, bei denen nicht klar ist, wer vor wem mehr Angst hat. Georgi führt das in seinem kleinen Exempel von der Gewalt und ihren Kindern bewundernswert vor. Dass der Mann für den biederen „Tatort“ Drehbücher zu schreiben pflegt, kann man da kaum glauben. Die erzählerische Stringenz und visuelle Drastik seines Thrillers ist jedoch ungeheuerlich.

Titelbild

André Georgi: Tribunal. Thriller.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
318 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783518465158

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