Emotionale Loops

Über Gifs

Von Dominik SchöneckerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dominik Schönecker

„Addiction at its finest“ steht als Slogan über der Internetseite von gif.tv und tatsächlich kann man mit Gifs wundervoll Zeit vertrödeln, mit kleinen Loops (= Schleife; wiederholte Wiedergabe eines begrenzten Ausschnitts in Musik und Film) aus Einzelbildern, die zu einer Sequenz verbunden werden, die dann vor dem Auge des Betrachters immer und immer wieder abläuft. Das ist unterhaltsam und bisweilen lustig, aber kann man sich eine Kommunikation in Gifs vorstellen?

Sehen Sie sich bitte zunächst folgende zwei Gifs an und versuchen Sie, die Frage zu beantworten: Was möchte der Autor dieser Zeilen bzw. der Erzeuger des Gifs mitteilen?
[http://www.gif.tv/#/giftv-1132-facepalm]
[http://www.gif.tv/#/giftv-1869-stagefallbump]

Die kommunikativen Möglichkeiten und Fallstricke, die in diesen filmischen Loops stecken, untersuchen derzeit zwei junge Forscher am MIT, dem naturwissenschaftlich-technischen Elite-Institut der USA, wofür sie aktuell eine Gif-Datenbank aufbauen, die mithilfe der User den einzelnen Gifs 17 elementare menschliche Emotionen – von „Amusement“ über „Fear“ bis „Surprise“ – zuordnet. Ziel des Vorhabens ist ein emotionales Alphabet aus Gifs und damit letztlich eine internationale Bildsprache menschlicher Gefühle. Travis Rich und Kevin Hu, die dieses Projekt betreuen, schreiben in ihrem Internetauftritt: „An animated gif is a magical thing. It contains the power to convey emotion, empathy, and context in a subtle way that text or emoticons simply can’t. GIFGIF is a project to capture that magic with quantitative methods. Our goal is to create a tool that lets people explore the world of gifs by the emotions they evoke, rather than by manually entered tags.“ [http://gifgif.media.mit.edu]

Dieses Vorhaben und die bisherigen Ergebnisse stellen jedoch zunächst die Überforderung seiner Initiatoren zur Schau. Ein Gif ist zwar durchaus in der Lage, komplexe Emotionen gebündelt auszudrücken, es kann Kontexte hinzufügen oder ausblenden, soll aber doch in erster Linie Aufmerksamkeit erzeugen. Eine Sprache aus Gifs könnte man sich zwar als eine sehr komplexe Hieroglyphenschrift vorstellen, als Ideographie einer auch emotional globalisierten Welt. Das Gif, als animierte Reihe von Einzelbildern, jedoch nur als sprachlich-emotionales Zeichen zu behandeln, greift zu kurz, weil prinzipiell jedes Gif bereits selbst der Loop einer komplexen Mitteilung ist, die zwar international verständlich ist, weil sie sich allein in Bildern mitteilt, aber sicherlich nicht intersubjektiv und von selbst verstanden wird. Richtig ist, dass Texte nicht international verständlich und Emoticons wenig hintergründig sind. Die Kommunikation mittels Gifs, so wie sie sich Rich und Hu vorstellen, entspricht aber in gewisser Weise einer Kommunikation mittels Lyrik, denn auch ein Gedicht ist nicht selten ein magisches Gebilde, das Emotionen hintergründig übermittelt. Gifs verhalten sich zu Emoticons wie Gedichte zu Kochrezepten.

Wenn man die Vorstellungen von Rich und Hu zu Ende denkt, spiegeln sich in einem solchen Verständnis von Gifs die überbordende Komplexität der Welt, die seit dem Ende des zweiten Jahrtausends immer offensichtlicher wird und dem Menschen ebenso offensichtlich mehr und mehr über den Kopf wächst, sowie die Sehnsucht nach den einfachen Formen einer Bilderschrift. In Chaträumen kann man den Verfall der Orthographie in Echtzeit erleben und in den sozialen Netzwerken wird mittlerweile hauptsächlich über Bilder kommuniziert. Das Gif ist nur ein weiterer Ausdruck einer emotionalen Sprachlosigkeit oder -armut, die sich ins Bild flüchtet und für die Rich und Hu ein Tool bereitstellen, das bestimmte und unbestimmte Emotionen in Gifs übersetzt. Sie stellen sich für ihre Erforschung der Gifs zwar grundsätzliche Fragen von breitem Interesse, z.B. ob es kulturelle Unterschiede in der emotionalen Rezeption bestimmter Gifs gibt, aber letztlich verschreibt sich ihr Vorhaben dem klaren und dienstleistungsorientierten Ziel eines potentiellen Start-ups: „we just want to build a better way to find gifs that capture that exact emotion you’re looking for.“ Aus gleichzeitig bis zu fünf Emotionen, die man einzeln in einem Gitternetz nach ihrer emotionalen Ausprägung abstufen kann, lässt sich in der Datenbank nach demjenigen Gif suchen, das dem gewünschten Gefühlsausdruck am nächsten kommt [http://gifgif.media.mit.edu/search]. Hier wird das Scheitern des Projekts jedoch offensichtlich, denn erstens sind die als passend angebotenen Gifs untereinander hochgradig verschieden und zweitens überwiegen die bildlich relativ einfach einzufangenden Emotionen wie Ärger oder Erlösung. Amüsant sollte ein Gif überdies immer sein, sodass sich auch bei teilweise gravierender Veränderung einzelner Parameter die vorgeschlagene Auswahl nur minimal verändert. Trotz allem bildet die Datenbank ihrem Selbstverständnis nach ein Regelwerk heraus, das durch den aktiven Gebrauch der User Bedeutungen herstellen will.

Ein solches Selbstverständnis mag unserem Bedürfnis nach ausufernder Kommunikation geschuldet sein, aber es beschneidet die Möglichkeiten, die im Gif stecken. Und diese bestehen nun nicht so sehr im beschreibbaren Inhalt als vielmehr im Zusammenhang des Inhalts mit seiner Form; auch darin gleicht es dem sprachlichen Ausdruck im Gedicht. Indem das Gif aber in der kreisförmigen, zugleich begrenzten Form des Loops immer wieder dasselbe erzählt, wird die Rezeption verschoben, denn Gifs können den eigenen Blick verändern, indem sie selbst gleich bleiben müssen. Zorn, Angst, manische Zustände, Einsamkeit, Traurigkeit, Empathie usw. werden in Bilder ausgelagert, die mitteilen sollen, wie wir uns fühlen, was wir uns wünschen, was wir vielleicht hassen und wen wir lieben. Aber es geht immer um uns selber. Wir sind Narzissten. Als Mitteilung funktioniert ein Gif deshalb nur in Form des Selbstgesprächs. Auch wenn man aus der Datenbank dasjenige Gif heraussucht, das nach der quantitativen Methode von Hu und Rich am besten z.B. Ekel ausdrückt [http://gifgif.media.mit.edu/gif/gluHeuOwnv4Ry], ist es fraglich, wie diese Botschaft letztlich aufgefasst wird, wenn sie mitgeteilt wird. Aber das Gif als Ausdrucksform ist auch schön, denn es erzählt meist den größten Schrecken als Witz, den nicht zuletzt die Wiederholung hervorbringt [http://www.gif.tv/#/giftv-651-hotiron]. Im Gif zeigt sich die ironische Distanz zur eigenen Tragik und die gleichzeitige Tendenz zur Oberfläche des bloß Unterhaltsamen, die aber durch die endlose Wiederholung tragisch gebrochen ist.

Jorge Louis Borges schreibt sinngemäß, dass ein kreisförmiges Labyrinth schrecklich, dass aber eines, das nur aus einer Geraden besteht, aus der reinen, sinnlos verstreichenden Zeit, noch schrecklicher sei. Unsere gegenwärtige, naturwissenschaftliche Sicht auf die Welt lässt aber eigentlich nur diese Gerade zu. Die emotionalen Loops, die das Gif bereitstellt, können den Schrecken der Geraden lindern, weil sie kreisförmig sind und ihren tragischen, komischen oder einfach nur unterhaltsamen Erzählkern endlos wiederholen. Vielleicht gibt es seit jeher eine Sehnsucht nach dem Kreis; und weil Erzählungen immer auch die Sehnsüchte ihrer Zeit abbilden, ändern sich zwar die Hintergründe, aber die Form bleibt gleich. Genauso gibt es diese Sehnsucht nach dem Happy End, das dann aber ebenso gut als kitschig oder unzeitgemäß wahrgenommen werden kann. Wir lassen uns treiben und suchen in Ermangelung eines Ziels und der Unmöglichkeit eines umfassenden Happy Ends den Zirkelschluss – etwa indem wir werden wie unsere Eltern. Geht es nach Diederichsen, landen wir früher oder später sowieso alle im Loop: „Wer nur aufbrechen will, ohne Ziel, landet im Loop. Es bleibt nur, dessen Kreise in Schönheit abzuschreiten.“ [www.gif.tv/#/EOWBmgk]

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen