Zähne zusammenbeißen, weitermachen

Schöne neue Welt: Die Protagonisten in Chimamanda Ngozi Adichies Erzählungen „Heimsuchungen“ müssen einiges in Kauf nehmen, um ihre Illusionen von Glück aufrecht zu erhalten

Von Jana BehrendsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Behrends

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Chinaza hat allen Grund, glücklich zu sein: Verheiratet mit einem in Amerika lebenden Arzt konnte sie ihre Heimat Lagos verlassen und auf der anderen Seite des Atlantiks ein neues Leben in Saus und Braus beginnen.

Chinaza hat allen Grund, unglücklich zu sein: Um ihre Verwandten zufrieden zu stellen, hat sie einen in Amerika lebenden Assistenzarzt aus Nigeria, den sie nie zuvor gesehen hat, geheiratet und ihre Heimat Lagos verlassen. Nun lebt sie mit ihm auf einem fremden Kontinent in einer schmierigen Wohnung, muss nachts seinen grunzenden, stoßenden Körper auf ihr ertragen und wird von ihm mehr gezwungen als gebeten, sich voll und ganz in dieses neue Leben zu integrieren und die alte Identität zu verleugnen – inklusive Namen und Kochgewohnheiten. „Sie warnen einen nicht vor solchen Dingen, wenn sie deine Ehe vereinbaren“, bleibt Chinaza nur als nüchterne Erkenntnis.

So oder so ähnlich geht es vielen Protagonisten in Chimamanda Ngozi Adichies „Heimsuchungen“. Die zwölf Erzählungen handeln oft von Nigerianerinnen, die ihre Heimat verließen. Die in den USA das große Glück suchten und merkten, dass Westafrika und Nordamerika mehr trennt als ein läppischer Ozean. Oft lautet dann die Devise „Zähne zusammenbeißen, weitermachen“, um etwas aufrecht zu erhalten: den Mann, den Job, die Erwartungen der anderen, den Traum vom besseren Leben.

Eine Rückkehr ist keine greifbare Alternative. Das weiß auch Nkem, die mit ihrem Ehemann aus Lagos in eine amerikanische Vorortstraße mit dem blumigen Namen Cherrywood Lane gezogen ist und in vermeintlich schwachen Momenten vom Heimweh zerrissen wird. Doch eine Bekannte weiß: „‚Wenn man so lange hier gewesen ist, ist man nicht mehr dieselbe, man ist nicht wie die Menschen dort […].‛ Und Nkem hatte sie verstanden, auch wenn sie ihre radikal ausrasierten Augenbrauen nicht mochte.“ Denn im Grunde hat sie nichts gegen ihr Leben in Amerika: „Diese Nachbarn und deren Leben gefielen ihr. Ein Leben, das Obiora oft ‚synthetisch‛ nannte. Doch sie wusste, dass auch er die eigenen Kinder wie die der Nachbarn aufwachsen sehen wollte – Kinder, die Essbares, das auf die Erde gefallen war, beschnupperten und es für ‚verdorben‛ erklärten.“ Nkem hält jedoch nur so lange an diesem „synthetischen“ Leben fest, bis sie erfährt, dass ihr Gatte in Nigeria, wo er die meiste Zeit des Jahres lebt, eine Geliebte hat. Eine Geliebte, die er nicht bittet, sich die Haare auf dem Kopf zu entkrausen und diejenigen im Intimbereich säuberlich zu kürzen und zu frisieren.

Erniedrigungen einer anderen Art muss die Protagonistin Ujunwa in „Jumping Monkey Hill“ – sicherlich eine der stärksten Geschichten – erleben. Sie nimmt an einem Workshop für afrikanische Schriftsteller im Umland von Kapstadt teil, der von einer Art modernen Kolonialherren geleitet wird. In seiner selbstgefälligen Art schreibt er den jungen Autoren nicht nur vor, wie „echte“ afrikanische Literatur auszusehen hat, sondern nähert sich der deutlich jüngeren Ujunwa mit unverhohlenem Sexismus.

In den Erzählungen Adichies angesprochen – mal deutlich, mal angerissen – werden außerdem Konflikte zwischen afrikanischen Ethnien, die politischen, kulturellen und ökonomischen Auswirkungen, die eine Abwanderung der Jungen und Gebildeten aus Nigeria hat, der Kampf um amerikanische Visa sowie der Elendstourismus der weißen Bessergestellten: „Du wolltest nicht, dass er Nigeria besuchte und es der Liste von Ländern hinzufügte, die er besuchte, um das Leben armer Leute zu begaffen, die niemals – zum Ausgleich – sein Leben begaffen konnten.“ Ein wenig Gehässigkeit über die „schöne neue Welt“ und ihre Bewohner scheint nicht nur gelegentlich zwischen den Zeilen durch: „weil Weiße, die Afrika zu sehr liebten, und die, die es zu wenig liebten, im Grunde gleich waren – herablassend.“

Aber: Auch wenn die Autorin, selbst 1977 in Nigeria geboren und nun in den USA lebend, scheinbar gegen alle Vorurteile und für das Recht aus Selbstbestimmung und Identifikation anschreibt, so tappt sie manchmal selbst in die Stereotypen-Falle. Bestes Beispiel ist die Figur Neil, ein weißer Jude, der zwar Spinatsaft für seinen Sohn kaufen mag, ansonsten aber jeglichen Bezug zu allem Natürlichen verloren hat und vor ständiger Sorge um die Unversehrtheit seines Jungen regelmäßig Schnappatmung bekommt.

Generell erwecken einige Geschichten den Eindruck, dass alle Amerikaner ihre Speisen ungewürzt und ihren Rasen kurz mögen. „Das Amerika“ muss aber aus mehr bestehen als aus Coke Zero, Schnellrestaurants und künstlichen Fingernägeln. Das ist schade, denn mit diesem Unterton schmälert die Autorin wieder etwas die von ihr zuvor mehrfach bewiesene Feinfühligkeit. Der Eindruck, den die Geschichten hinterlassen, wird dennoch kaum getrübt, da Adichie es schafft, ohne jeden Pathos und mit schnörkelloser Sprache sich besonders genau in ihre Figuren hineinzufühlen – und viele Dramen deutlich zu machen, die unter der Oberfläche wühlend mit bloßem Auge kaum erkennbar wären.

Titelbild

Chimamanda Ngozi Adichie: Heimsuchungen. Zwölf Erzählungen.
Übersetzt aus dem Englischen von Reinhild Böhnke.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2012.
301 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783100006257

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