Gefrorene Sterne

Nic Pizzolattos beeindruckender Debütroman „Galveston“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„True Detective“ heißt eine amerikanische TV-Serie, die hierzulande nur auf Sky Atlantic zu sehen ist und die trotzdem bereits jetzt Kultcharakter zu besitzen scheint. Wieder einmal, wie schon bei „House of Cards“, „Breaking Bad“ oder „Homeland“, scheint dieses Format förmlich neu erfunden worden zu sein. Unter anderem liegt das wohl daran, dass der Drehbuchautor und Schriftsteller Nic Pizzolatto als einziger für das Buch zur Serie verantwortlich ist. Und dass er schreiben und Plots entwickeln, Figuren entwerfen und Spannung erzeugen kann, hat er bereits 2011 mit seinem Roman „Galveston“ bewiesen, der nach Erscheinen auf die Shortlist des wohl wichtigsten Krimipreises, des Edgar Award kam.

Das Buch handelt von einem ganz typischen Krimihelden, einem hart gesottenen Einzelgänger namens Roy Cady, der als Eintreiber für einen gewissen Stan Ptitko arbeitet, der eine große Nummer in der Unterwelt von New Orleans ist. Der Roman beginnt damit, dass Cady die niederschmetternde Diagnose einer Krebserkrankung erhalten hat, weswegen das Buch neben dem Töten immer auch noch diese ganz andere Dimension des Sterbens und des Todes mit erzählt. Doch in seinem Metier zeigt man keine Schwäche, Cady behält es für sich. Als er von seinem Boss gemeinsam mit einem Kollegen einen Auftrag zum Geldeintreiben erhält, bei dem sie explizit ihre Waffen zuhause lassen sollen, dämmert ihm, dass er wegen einer Frauen- und Eifersuchts- und Rivalitätsgeschichte abserviert werden soll. Und sein Instinkt stimmt. Wie ein echter Held (aus Literatur, Film und Comic) kommt er aus einer eigentlich unmöglichen Situation gerade noch so raus, lässt diverse Leichen zurück und hat auf einmal eine sehr junge Frau im Schlepptau. Mit ihr haut er Hals über Kopf ab und das Abenteuer beginnt. Unterwegs bittet sie ihn, an einem einsamen Trailer anzuhalten. Sie geht rein, es kracht ein Schuss, kurz darauf kommt sie, Rachel, genannt Rocky, mit einem kleinen Mädchen wieder raus.

Und weiter geht’s. Roy Cady, gerade noch ein knallharter Eintreiber, hat plötzlich eine Art Kleinfamilie an der Backe und weiß nicht recht, wie ihm geschieht. Und während er noch darüber nachdenkt, wann er abhauen wird und wie er das am besten anstellt, merkt der Leser auch schon, dass Nic Pizzolatto mit seinem Helden anderes vorhat. Eine Läuterung ist im Gange, denn Roy Cady sorgt sich um die kleine Tiffany, vor allem aber um Rocky, bei der er sieht, dass sie abzurutschen droht, was er verhindern möchte.

Wie in einer Zeitblase verbringen sie ein paar Tage in einem Motel, gehen an den Strand, spielen heile Welt. Doch alle wissen, dass es so nicht weiter gehen kann. Als Tiffany eines Abends in die Obhut freundlicher Damen gegeben ist, gehen Roy und Rocky aus. Sie will Spaß haben, er ihr einen Zukunftsplan schmackhaft machen. Als sie den Diner verlassen und er den platten Reifen an seinem Wagen registriert, ist es bereits zu spät: Sein Versuch, Stan Ptitko mit Insiderdokumenten zu erpressen, um so genügend Geld für die Mädchen zu haben, ist gründlich gescheitert, der Marsch in die Hölle beginnt.

Und dieses Mal kommt er nicht mit einer Schramme davon. Vielmehr taucht eine alte Bekannte auf, die ihm, einem Engel gleich, noch einmal den Weg ins Licht weist. Roy, völlig kaputt, zahnlos und zu Klump gehauen, entkommt seinen Peinigern mit knappster Not, wird zusammengeflickt und anschließend für viele Jahre ins Gefängnis gesteckt. Rocky hat es nicht geschafft. Nic Pizzolatto hat genau gesetzte Rückblenden auf die Geschehnisse in den 80er-Jahren eingebaut, die zeigen, dass sein manchmal an William Munny aus Clint Eastwoods Meisterwerk „Unforgiven“ erinnernder Held sowohl Gewalt, als auch Gefängnis, als auch den Krebs überlebt hat. Mittlerweile um die 60, hat er dem Alkohol längst abgeschworen, lebt mit ein paar wenigen Sozialkontakten und der Hündin Sage ein zurückgezogenes Leben, das abermals in Unruhe gerät, als mehrfach ein schwarzer Jaguar auftaucht, der Cadys alte Instinkte noch einmal auf den Plan ruft. Und kurze Zeit später sitzt eine junge Frau in seiner kleinen Wohnung, die wissen will, wer sie wirklich ist und was damals geschehen ist.

„Galveston“ hat alles, was ein überzeugender Roman braucht: eindrucksvolle Orte, starke Charaktere (auch in den Nebenrollen), einen sicher austarierten Wechsel von Spannung und Handlungsentwicklung, gute getimete Tempowechsel. Sprachlich wird Pizzolatto dem leicht melancholischen Grundton seines Erstlings meist gerecht, manchmal verrutscht ihm eine Beschreibung oder er gefällt sich in etwas zu expressionistischen Bildern, wie zum Beispiel diesem: „und die gefrorenen Sterne in meiner Brust können endlich explodieren.“ Doch solcherlei Einwände schmälern den sehr starken Eindruck nicht, den dieses Buch hinterlässt.

Titelbild

Nic Pizzolatto: Galveston. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Gunter Blank und Simone Salitter.
Metrolit Verlag, Berlin 2014.
256 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783849300975

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch