Radikal und skandalös

Julia Korbik fordert in „Stand up“ feministische AnfängerInnen und Fortgeschrittene auf, sich zu erheben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit einiger Zeit macht sich auf den Straßen ein neuer Modetrend bemerkbar. Ausnahmsweise sogar einer der wenigen erfreulichen. Denn immer mal wieder tragen – meist junge – Frauen T-Shirts mit dem Slogan „Feminism is the RADICAL notion, that WOMEN are PEOPLE“ durch die Straßen der Städte. Wer ihn erdacht hat, ist nicht ganz unumstritten, zumal er gelegentlich auch in einer Variante überliefert ist, die von einer „outrageous notion“ spricht. Wahrscheinlich aber hat ihn Marie Shear in der zuerst zitierten Version aus der Taufe gehoben, und in zwar in einer Rezension des „Feminist Dictionary“ von Cheris Kramarae, Paula A. Treichler und Ann Russo, die 1986 in der Zeitschrift „New Directions for Women“ erschien.

Nun hat der Denkspruch – sicher nicht zum ersten Mal – Eingang in ein Buch über Feminismus gefunden. Es erschien 2014, wurde von Julia Korbik verfasst, trägt den treffenden Titel „Stand Up“ und richtet sich laut Untertitel an feministische „Anfänger und Fortgeschrittene“. Zwar firmiert das Werke im Klappentext als „Wegweiser für alle – auch für harte Jungs“, doch wie die Sprache und die Comic-durchtränkte Aufmachung des Buches deutlich machen, hat die Autorin als Zielgruppe ihrer Einführung keineswegs Menschen aller Altersgruppen und Geschlechter im Auge, sondern offensichtlich vor allem weibliche Teens und Twens.

Das Buch gliedert sich in zwei Teile, die von einem „Vorwort“ und einem „Anhang“ umrahmt werden. In ersterem erörtert Katja Kullmann „Das verfluchte ‚F-Wort‛-Problem“, in letzterem laden ein „Feministisches Glossar“ sowie eine Liste mit Hinweisen auf „Literatur & Adressen“ zum Nachlesen und -schlagen ein. Die beiden Hauptteile wiederum firmieren unter den Überschriften „Grundlagen“ und „Gleichberechtigung – Wo der Schuh drückt“. Dem eigentlichen Text sind zahlreiche Graphiken und verschiedene Rubriken zwischengeschaltet wie etwa „Kurz und Knackig“, in der pointierte Erklärungen von Begriffen und Sachverhalten geboten werden, oder „Fünf feministische Fragen an…“, deren Titel sich selbst erklärt. In wieder einer anderen werden Menschen mittels eines Zitates vorgestellt und in wenigen Zeilen ihr „Feministisches Verdienst“ gewürdigt.

Etliches von dem, was die Autorin ihrem anvisierten Publikum nahebringen möchte, lässt sich ohne weiteres unterschreiben. So definiert sie Feminismus etwa als „politische Bewegung, die nach gesellschaftlicher Veränderung strebt“, um „Chancengleichheit unabhängig vom biologischen oder sozialen Geschlecht“ zu erreichen. Mit seiner Hilfe, so erklärt sie, „können wir Dinge, die um uns herum passieren, die wir fühlen und tun, besser verstehen und einordnen“. Vor allem aber will er „das Leben besser machen“. Dies bedeutet auch, auf „mehr Freiheiten und Wahlmöglichkeiten“ sowie ein „höheres Maß an Eigenständigkeit und Selbstbestimmung“ hinzuarbeiten. All das ist natürlich richtig und begrüßenswert. Aber eben darum, da Feminismus Freiheit und somit Vielfalt der Standpunkte und Meinungen bedeutet, wird sich schwerlich auch nur ein Mensch – sei es eine FeministIn oder nicht – finden, der mit allem, was in dem Buch behauptet wird, einverstanden ist. Und das ist natürlich auch gut so. Korbiks überraschendes Lob für das Buch „Wir Alphamädchen“ etwa teilt selbst eine seiner Autorinnen, Meredith Haaf, schon lange nicht mehr. Erst kürzlich zeigte sie sich in einer – übrigens recht kritischen – Rezension des vorliegenden Buches davon überzeugt, dass ihr jüngeres Ich, die Mitverfasserin der „Alphamädchen“, eben „nicht – wie erhofft – schon Teil der Lösung, sondern noch Teil des Problems“ war.

Auch der Autor der vorliegenden Rezension hat das eine oder andere an Korbiks Buch zu monieren. So trifft es zwar fraglos zu, dass sich die Geschichte der deutschen Frauenbewegung „in einem einzigen Kapitel nicht komplett erzählen“ lässt. Dennoch hätten sich die personellen Schwerpunkte dieser kurzen Geschichte der Frauenbewegung durchaus anders setzen lassen. Dies gilt insbesondere für die Zeit um und nach 1900, in der die erste Welle der Frauenbewegung über Europa und die USA schwappte. So räumt die Autorin der orthodoxen Kommunistin Clara Zetkin reichlich Raum ein, radikalen Feministinnen wie Anita Augspurg und ihrer Mitstreiterin Lida Gustava Heymann hingegen gar keinen.

Ganz zweifellos ist Geschichte der Frauenbewegung tatsächlich, wie von Korbik behauptet, „verdammt spannend“. Warum aber findet dann ausgerechnet Victoria Woodhull, die vielleicht spannendste aller Feministinnen, keine Erwähnung? Auch trifft nicht zu, dass erst die in den 1970er-Jahren das Patriarchat überrollende zweite Welle der Frauenbewegung für die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen gekämpft hat. Vielmehr setzte sich beispielsweise schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts Helene Stöcker mit ihrem Entwurf einer „Neuen Ethik“ genau hierfür ein. Doch auch ihren Namen sucht man in dem Buch vergebens. Und schließlich ist die feministische Szene nicht erst heute „sehr divers“. Die Erste und die Zweite Wellen der Frauenbewegung waren es keineswegs weniger.

Geht es im ersten Teil des Buches um die Geschichte und andere Basics des Feminismus, so spricht der zweite zahlreiche Themen und Problemfelder an wie etwa Frauen in der Politik, im Musikgeschäft, in Video-Games, in Film und Fernsehen, aber auch Mutterschaft, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ‚häusliche‛ Gewalt, Vergewaltigung und Schönheitswahn. Auch hier lässt sich vielem zustimmen, einigem aber auch wieder nicht und manches ist sogar heftig zu kritisieren. Zwar versucht Korbik offenbar, neutral und ‚objektiv‛ über die konkurrierenden feministischen Positionen und Haltungen zu informieren. Doch gelingt das nicht immer. So erklärt sie etwa in der Rubrik „kurz & knackig“ unter dem Stichwort „sex-positiv vs. sex-negativ“: „Feministinnen streiten sich über vieles – aber über Pornografie besonders heftig. Auf der einen Seite stehen die, die Pornografie als einen Pfeiler des Patriarchats und als Ursache für Gewalt gegen Frauen betrachten. In Abgrenzung dazu betont der sex-positive Feminismus die Vielfalt einvernehmlicher sexueller Ausdrucksformen zwischen Erwachsenen und fordert mehr sexuelle Freiheiten. Das beinhaltet auch Aufgeschlossenheit gegenüber Pornografie.“

Das kann in mehrfacher Hinsicht nicht ganz unkommentiert bleib. Zum einen übernimmt Korbik das Vokabular der ‚Sex-positiven‛ Seite, die sich selbst als solche und die anderen polemisch als ‚sex-negativ‛ bezeichnet. Keine der Pornografie-KritikerInnen würde sich hingegen selbst das Etikett „sex-negativ“ umhängen. Vielleicht aber würde ja sogar gerade umgekehrt ein Schuh draus und diejenigen, die sich selbst sex-positiv nennen, wären tatsächlich weit treffender als sex-negativ zu bezeichnen. Denn schließlich sie es doch, die negative Seiten von Sex wie Pornografie und Prostitution propagieren.

Jedenfalls sind GegnerInnen der Pornografie ebenso wie deren feministische BefürworterInnen für mehr sexuelle Freiheit, insofern handelt es sich hierbei nicht um ein Unterscheidungsmerkmal, wie Korbik insinuiert. Vor allem aber verwenden beide Seiten einen grundlegend unterschiedlichen Pornografie-Begriff. Nur leicht verkürzt gesagt, bezeichnen die vermeintlich ‚sex-positiven‛ jede explizite Darstellung von Sexualität mit dem Ziel, die RezipientInnen zu erotisieren, als pornografisch. Ihre GegnerInnen wenden hingegen einen weit engeren Pornografie-Begriff an. Unter ihn fallen nur Darstellungen expliziter sexuellen Handlungen, in denen Frauen erniedrigt werden oder ihnen Gewalt angetan wird, um die RezipientInnen zu erotisieren. Im Haupttext selbst outet sich Korbik eindeutig als Verfechterin der ‚sex-positiven‛ Seite und erklärt: „Was wir brauchen, ist eine größere Bandbreite an Ausdrucksformen von Sexualität. Auch und grade in der Pornografie.“

Doch selbst „schlecht gemachtem Mainstream-Porno“ gewinnt sie noch etwas Positives ab. Denn er könne „eine wunderbare Gelegenheit sein, offen über Sex und Sexualität, über die Auffassung von Männlichkeit und Weiblichkeit in unserer Gesellschaft“ zu sprechen. Das erinnert dann doch etwas an den leicht abgestandenen Scherz, alles sei zu etwas gut, und sei es nur als schlechtes Beispiel. Ähnlich schwach wie Korbiks Ausführungen zur Pornografie sind nur noch ihre Anmerkungen zur Prostitution. Eine Koinzidenz, die sicherlich kein Zufall ist.

Trotz dieser teils handfesten Kritik ist das Buch Jugendlichen – und vielleicht sogar gerade „harten Jungs“ – durchaus zur gelegentlichen Lektüre zu empfehlen. Allerdings muss am Schluss auch noch einmal gemeckert werden: Der nicht etwa schwarze, sondern graue Druck und die blass-orangen Fußnoten sind nicht eben lesefreundlich. Zumal, wenn sich die Lesenden dem Buch womöglich bei Dämmerschein widmen, was ihm ja durchaus angemessen wäre. Denn schließlich gilt es – und das ist ganz Ernst gemeint –, der titelstiftenden Aufforderung Folge zu leisten: Stand Up!

Titelbild

Julia Korbik: Stand up. Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene.
Rogner & Bernhard Verlag, Berlin 2014.
416 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783954030446

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